Boersenblatt.net-Umfrage auf der Frankfurter Buchmesse

Wie funktioniert die Messe ohne Messestand?

15. Oktober 2018
von Börsenblatt
Same same but different: Hat es einen negativen Effekt, auf den eigenen Stand zu verzichten? Oder flutscht alles wie immer, mit deutlich weniger Aufwand und Kosten? Wir haben uns in den Hallen und auf der Agora umgehört.

Warten auf Godot | Roman Pliske (mdv, Halle/Saale):

"Der Mitteldeutsche Verlag war immer in Frankfurt, daran wollte ich nichts ändern, als ich 2004 die Geschäftsführung übernommen hatte. Aber es fühlte sich oft schon so an wie 'Warten auf Godot': Man freute sich über jeden, der einmal die Stunde vorbeikam. 'Ach, euch gibt’s noch?' Aber ich war immer gern hier – und hätte es als Niederlage verbucht, wenn wir nicht mehr gekommen wären. 2010 war es dann soweit, wir haben die Teilnahme ausgesetzt. Und damit immerhin einen PR-Coup gelandet: Ich wurde in Frankfurt von einem Kamerateam des MDR begleitet, die drehten unter dem Motto 'Ein Verleger ohne Stand auf der Buchmesse'. Seit letztem Jahr sind wir nun wieder mit einem eigenen Stand in Halle 4.1 vertreten. Der Hintergrund: Wir haben unser Programm seit zwei Jahren, beginnend mit Litauen, stark für internationale Titel geöffnet. Mit unserer Messeteilnahme 2017 haben wir den Gastlandauftritt Georgiens 2018 vorbereitet; dazu wollten wir alte Nachbarschaften pflegen, der Frankfurter Übernachtungs-Freund musste reaktiviert werden (lacht). Und nun sind wir mit rund 40 neuen Büchern hier angereist, darunter zehn Georgien-Titeln aus den letzten 12 Monaten. Damit ist die Teilnahme nicht für alle Zeiten gesetzt, wir müssen jeweils in unser Programm schauen, ob uns der Auftritt hier nützt. Es bleibt ein Kraftakt, auch finanziell: Wir kommen zu dritt, sind im Schnitt mit 15.000 Euro dabei, davon gehen 5.000 Euro für den Stand drauf. Allerdings wird es nach dem Auslaufen der bisherigen Dreijahres-Verträge und besonderer Frühbucher-Rabatte auch in Leipzig deutlich teurer; dort waren wir bislang mit einem größeren, von Design-Studenten der Burg Giebichenstein umgebauten Stand vertreten."

Arbeitsmesse | Peter Haag (Kein & Aber, Zürich):

"Es war ein volles Jahr, wir hätten natürlich den Container-Turm wieder machen können, haben uns dann aber anders entschieden: Wir bereiten etwas fürs nächste Jahr vor, dafür brauchen wir etwas Zeit, und docken diesmal am Schweizer Gemeinschaftsstand an. Eine Arbeitsmesse: Man trifft sich, bespricht sich, die Bücher sind auch da. Und dann geht es in die anderen Hallen. So viel hat sich für mich also nicht verändert, im Gegenteil: es ist fast etwas entlastender. Das Ganze hat nichts mit dem Thema 'Sparen' zu tun. Ich gebe gern Geld aus, aber ich gebe es am liebsten aus, wenn ich merke: Die Sache schlägt ein, sie macht uns Spaß. Ich möchte nicht in einer Koje sitzen und sagen 'Ich war da.' Die Buchmesse ist für unsere Branche ein wichtiges Asset; die ganze Republik kümmert sich in dieser Woche um das Buch. Wir wären verrückt, wenn wir darauf verzichten würden. An dauernde Absenzen glaube ich nicht."

 

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Status-Update | Sarah Mirschinka (Director E-Commerce & Digital, Gräfe und Unzer, München):

"Ich habe an früheren Berufsstationen beide Messe-Perspektiven gehabt: Auf Ausstellerseite im Sales-Bereich am Stand, terminlich durchgetaktet von morgens bis abends. Oder, etwa bei beam, die Sicht des Shop-Managers, der Verlage besucht; anders anstrengend, da man immer von A nach B flitzen muss. Wenn man wie ich im Digitalgeschäft unterwegs ist, fragt man sich schon mal: Ist es nötig, sich auf der Messe zu treffen, wo es meist laut und die Luft schlecht ist? Ja, denn es geht ums Netzwerken: Wo sonst hat man die Möglichkeit, mit allen Geschäftspartnern noch einmal − quasi im Schnelldurchlauf – zu sprechen? Man hat die Möglichkeit, sehr relevant, sehr kondensiert Input auszusenden und zu bekommen. Das ist anstrengend – aber höchst effizient. In diesem Jahr war Gräfe und Unzer, wie alle Verlage der Ganske Verlagsgruppe, nicht mit einem eigenen Stand in Frankfurt; Hintergrund ist die Arbeit an einem umfänglichen neuen Standkonzept, das erst 2019 umgesetzt werden kann. Da ich erst vor rund vier Wochen in meiner neuen Position in München gestartet bin, habe ich sehr spontan Termine gemacht; dank des guten Netzwerks hat das wunderbar geklappt."  

Marktforschung | Karin Schmidt-Friderichs (Verlag H. Schmidt, Mainz):

"Wir sind seit 1992 durchgehend mit einem Stand auf der Buchmesse, aber mit einigen Entwicklungen alles andere als glücklich: Da sind vor allem die noch mal gestiegenen Eintrittspreise; wenn man selbst online bestellt, sind es 74 Euro für die Fachbesuchertage. Ärgerlich, denn für uns sind Fachbesucher wie Grafik-Designer oder Gestalterinnen ja immer auch Endkunden. Zum anderen halten wir die thematische Zusammenstellung der Stände für, gelinde gesagt, unglücklich; es wurden immer mehr Randbereiche integriert: Ich finde die Handtaschen in Halle 4.1 ja ganz schön, aber deshalb geht man ja nicht auf die Buchmesse! Wir haben deshalb in diesem Jahr einen neuen Standort in Halle 3.1 ausprobiert. Und wir haben Kunden und Freunde des Verlags auf unserer Messe-Einladung vorab gefragt, ob 'die Messe (noch) der Ort ist', an dem man Neues entdecken und mit uns ins Gespräch kommen will. Es gab eine unerwartet intensive Resonanz, darunter lange Mails und Anrufe, insgesamt über 300 Reaktionen – die 100 Typodiarien, die wir als kleines Dankeschön beiseitegelegt hatten, müssen wir nun verlosen. Der Grundtenor: Ihr könnt uns das nicht antun, nicht zu kommen! Aber paradoxer Weise auch: Wir denken selbst darüber nach, nicht mehr nach Frankfurt zu fahren."  

Die fetten Jahre sind vorbei | Robert Höllein (Geschäftsführung CPI Buchbücher.de, Birkach):

"Wir stemmen die Messe mit einem etwas kleineren Team, je nach Tag sind wir nur mit 11 bis 22 Kollegen vor Ort; mit Messestand wären es noch einmal zehn mehr, da haben wir letztlich über einen sechsstelligen Betrag gesprochen. Und das ist angesichts der steigenden Preise in der Papierindustrie und der starken Verdichtung im Maschinenmarkt nicht wenig. Allein den Kostendruck als Erklärung für unsere Stand-Absenz in diesem Jahr zu bemühen, wäre aber zu kurz gesprungen: Wir wollten einfach mal ein Signal senden, gewissermaßen den Trog von der Weide ziehen. Das scheint funktioniert zu haben: Es gibt faktisch kein Kundengespräch, in dem nicht gefragt wird, warum wir nicht mit einem eigenen Stand auf der Messe sind. Für uns führt das dazu, dass wir die Messe intensiver erleben; wir sind aktiver, ein Stand kann auch zu Bequemlichkeiten verführen. Und noch etwas: Über die ungewohnte Situation kommen wir mit unseren Partnern ganz schnell ins Gespräch über neue Geschäftsmodelle: Natürlich bleibt unsere Kernkompetenz das gedruckte Buch. Aber wir wollen die Dienstleistungen drumherum ausweiten. 'Was wollt ihr in Zukunft machen?', diese Frage habe ich hier in Frankfurt oft gehört. Das ist genau die Diskussion, die wir auslösen möchten."

Wohin denn ich? | Rudi Deuble (freier Verlagsvertreter, Frankfurt/Main):

"Ein wenig heimatlos fühle ich mich jetzt schon, obwohl ich auch früher viel rumgekommen bin auf der Messe. Aber ich konnte immer wieder auf die Stroemfeld-Homebase zurück, Halle 3.0, Gang A, gleich an der Tür. Hier kamen viele rein, die einen gleich besucht haben. Jetzt trifft man sich zufällig oder macht Termine. Wo kann man die Tasche hinstellen, wo die Bücher deponieren? Das sind die äußeren Umstände, aber natürlich ist es auch ein innerer Verlust – das ist meine erste Buchmesse ohne Stand seit 1986. Der einzige Vorteil: Ich muss am Sonntag nicht abbauen. An Sonntagen wusste man: Ab vier fängt das große Einräumen an, es galt, das Verlagsauto mühsam auf die Messe zu bringen – eine Bürde, die einen den ganzen letzten Messetag über begleitet hat."

Wetter gut, Tasche schwer | Sebastian Grebe (Plassen Verlag, Kulmbach):

"Wir waren 2009 erstmals auf der Buchmesse, seitdem durchgehend. Es war ein mittelgroßer Stand in Halle 3.1, besetzt mit vier bis fünf Kollegen. In diesem Jahr habe ich dienstags im 'Frankfurter Hof' angefangen und bleibe bis Samstag; ein Kollege aus dem Lektorat hat mich unterstützt. Am Mittwoch hatte ich einen Platz im Business Club der Messe gebucht, das war vom Gefühl her so wie in den Jahren mit Stand: Eng getaktete Termine. Donnerstag und Freitag hatte ich Termine bei internationalen Verlagen und Agenturen – auch das Lizenzanbahnungsgeschäft lief also ähnlich wie in den Vorjahren. Spannender wurde es, wenn man sich mit Kollegen treffen wollte, die, wie die Einkäufer der größeren Buchhandlungen, auch keine eigenen Stände hatten. Da musste man sich dann Treffpunkte überlegen: Das Café an der Gourmet Galerie, oder lieber der Pulled-Pork-Brötchenstand? Das Beste war das Wetter, ich habe ein Gutteil der Termine spontan nach draußen verlegt. Wir werden uns nun im Verlag zusammensetzen und auswerten. Für mich persönlich hat es sich ähnlich angefühlt wie sonst – es war halt anstrengender. Irgendwann wird die Tasche schwerer."   

"Eigentlich liebe ich Rituale" | Katharina Meyer (Merlin Verlag, Gifkendorf):

"Wir haben letztes Jahr noch die Torte für 50 Jahre Messebeteiligung bekommen – insofern fühlt sich das jetzt schon komisch an, so ohne Stand. Die Frage, was es 'bringt', hat sich allerdings schon mein Vater gestellt, und der ist seit zehn Jahren aus dem operativen Geschäft raus. Zwei Messen pro Jahr zu bespielen, ist für einen kleinen, unabhängigen Verlag ein immenser Kostenfaktor – wir sprechen allein im Fall von Frankfurt von rund 10.000 Euro. Allerdings: Es bringt immer etwas, auf der Messe zu sein. Das ist so, wie wenn man in eine gute Buchhandlung geht – man kommt mit etwas raus, was man nicht gesucht hat. Diese tollen Zufallsbegegnungen gibt es hier auch. Ich habe allerdings schon letztes Jahr in Frankfurt einen Stimmungsumschwung bei mir bemerkt. Ich stand auf der Messe, und dachte an den quasi leeren Verlag – da geht das Weihnachtsgeschäft los, da spielt vielleicht auch Musik? Dann beginnt das Abwägen. Dann kamen die VG-Wort-Nachzahlungen, der Anmeldeschluss rückte näher. Und dann habe ich noch mal mit meinem Vater gesprochen. Er sagte: Eigentlich ist es doof, aber vielleicht doch richtig, es mal nicht zu machen. Nach zwei Messetagen und vielen Terminen muss ich sagen: Ich bereue das auch nicht. Aber es ist keine endgültige Entscheidung. Ich bin Traditionalistin. Ich liebe Rituale, und es fällt mir schwer, auf sie zu verzichten."

Heimat auf Zeit | Anica Jonas (Vertrieb/Veranstaltungen, Kampa Verlag, Zürich):

"Wir haben aus pragmatischen Gründen auf einen eigenen Stand verzichtet: Es musste bzw. muss bis zum Erscheinen unserer 40 Herbsttitel viel Aufbau- und Gründungsarbeit geleistet werden, da blieb für die Messevorbereitung nicht viel Zeit – zumal wir einen selbst gebauten Stand einem klassischen Systemstand vorgezogen hätten. Aber über 30 Termine in drei Tagen wären mit ständigen Hallenwechseln kaum zu schaffen gewesen, sodass wir uns gefreut haben, uns am Gemeinschaftsstand des SBVV einklinken zu können. Daniel Kampa und die Kolleginnen des Lektorats waren vor allem im Agents Centre unterwegs, aber für mich war es schön, vor den bereits erschienenen Büchern sitzen zu können. Dass wir mit ihnen ein Regal gut bestücken konnten, sie an einem eigenen Stand aber vielleicht noch etwas verloren gewirkt hätten, hat unsere Entscheidung für die Präsentation am Gemeinschaftsstand sicher mit beeinflusst. Und weil eine Messe ganz ohne Feier doch nicht geht, haben wir uns kurzerhand noch für eine kleine Party außerhalb des Messegeländes entschieden. Der Abend in der ZouZouBar in der Nähe des Frankfurter Hofs, zu dem internationale Kollegen, Journalisten, Buchhändler und Autoren kamen, hat super funktioniert – vielleicht sogar wegen der spontanen Organisation.