Der Technologiewandel und die Branche

Die Zukunft wartet nicht

12. Januar 2017
von Börsenblatt
Leben Verlage und Buchhändler in einer analogen Komfortzone? Wohl kaum. Auch wenn der digitale Wandel uneinheitlich und zeitversetzt verläuft – die Branche muss auf die neuen Technologien vorbereitet sein. Analyse und Ausblick von Detlef Bluhm.

"Die Zukunft ist schon da. Sie ist bloß noch nicht gleichmäßig verteilt." Dieser gern zitierte Satz des Science-Fiction-Autors William Gibson beschreibt ziemlich treffend die Situation der Branche im Blick auf die Digitalisierung: ein sehr uneinheitliches Bild. Die Prognosen zum Absatz digitalen Contents sind nicht in dem erwarteten Maße eingetroffen: Nach wie vor leben wir weitgehend vom Verkauf gedruckter Bücher, unsere Produktwelt funktioniert also immer noch überwiegend analog und finanziell weitgehend zufriedenstellend. Während sich Industrie, Dienstleistungsbereich, Finanzwelt und der übrige Handel sowie die verwandten Branchen der Kreativwirtschaft in einem tiefgreifenden digitalen Wandel befinden, leben wir offenbar immer noch in einer analogen Komfortzone.

Andererseits würden besorgte Stimmen davor warnen, sich jetzt zurückzulehnen und ein zu lautes Loblied der Haptik anzustimmen. Haben wir den Siegeszug von Amazon, das klägliche Scheitern des Analogen im Duell zwischen Brockhaus und Wikipedia sowie den uneinholbaren Vorsprung der amerikanischen Platforming-Konzerne schon vergessen? Uns damit abgefunden, weil die Kassen immer noch stimmen? Das Digitale, so die Mahnung einer vermuteten Minderheit, umspült unsere Branche von allen Seiten. Und wenn wir uns nicht klug, ideenreich und gründlich auf die Zukunft vorbereiten, könnten Disruptionen, die man – wie die Geschichte lehrt – immer erst erkennt, wenn es zu spät ist, unsere Branche gehörig durcheinander wirbeln. Schon jetzt sei sichtbar, welche digitalen Trends uns 2017 beschäftigen werden. Hier eine Vorschau auf nur einige der Themen, die in diesem Jahr auf unserer digitalen Agenda stehen sollten – und beispielsweise auf den einschlägigen Konferenzen (siehe unten) mit Sicherheit auch stehen werden.

Big Data, Small Data

Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf hat Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, wie berichtet wurde, Millionen von Facebook-Konten analysieren lassen. Schon 40 Likes, die ein Facebook-Nutzer schnell vergeben hat, reichten aus, um ein ziemlich genaues Persönlichkeitsprofil und eine entsprechend zielgenaue Ansprache zu erstellen. Dieses einfache Instrument, das viel preiswerter ist als TV-, Radio- oder Printwerbung, scheint Donald Trump zur ausschlaggebenden Mehrheit verholfen zu haben.

2016 waren Big Data und Small Data auf dem Wirtschaftsgipfel der »Süddeutschen Zeitung«, der re:publica, der Hannover Messe und dem jährlichen Treffen des Berliner Projekt Zukunft die vorherrschenden Themen. Wie generieren wir relevante Daten und wie nutzen wir sie? Das wird eine der wichtigen Fragen des Jahres 2017 sein.

Augmented und Virtual Reality

Vor ziemlich genau einem Jahr hat Knut Nicholas Krause, CEO von knk Business Software, in einem Bericht auf bookbytes von der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas, der weltweit bedeutendsten Messe für elektronische Innovationen, ausführlich und mit vielen möglichen Beispielen über die Relevanz von AR- und VR-Anwendungen für Verlage berichtet. Seitdem hat das Thema auch in Deutschland Fahrt aufgenommen – und wird sich noch weiter beschleunigen. Im vergangenen Jahr haben unter anderen die Hersteller HTC, Oculus, Samsung und Sony VR-Brillen auf dem Markt platziert, die zwischen 99 und 899 Euro kosten, also in der Sphäre des Erschwinglichen angekommen sind. (Ganz ähnlich sieht die Preisspanne und Angebotsvielfalt bei AR-Brillen aus.) Für nahezu alle Verlagsbereiche sind kostengünstige Content-Produktionen denkbar. Wenn unsere Branche hier keine entsprechenden Angebote entwickelt, werden Branchenfremde die Lücke schließen.

The next big thing

So faszinierend die Welt der AR / VR auch sein mag, »The next big thing« wird wohl etwas anderes: der digitale Assistent. Auf der diesjährigen CES in Los Angeles (5.–8. Januar) war dieser technologische Quantensprung ein vorherrschendes Thema.

Vor nunmehr fast zehn Jahren hat Apple mit seinem iPhone das Smartphone erfunden und damit die Internet-Nutzung mobil ermöglicht. Mit dem digitalen Assistenten hat nun die Nutzung zahlreicher Internet-Dienste über die eigene Stimme begonnen. Apple ist mit seiner Spracherkennungssoftware Siri zwar bereits seit 2011 auf dem Markt, aber erst mit dem Echo genannten Lautsprecher von Amazon, mit dessen Auslieferung in Deutschland im Herbst vergangenen Jahres begonnen wurde, ist nun ein digitaler Assistent verfügbar, der eine weitgehende Nutzung des Netzes über die Sprachsteuerung ermöglicht. Aktuell stehen mit Echo über 3 000 Anwendungen bereit, ständig kommen neue hinzu und die Software lernt mit jeder neuen Anfrage.

Apples Siri verarbeitet derzeit weltweit zwei Milliarden Anfragen pro Woche, von Amazon sind noch keine Zahlen bekannt. Über den Amazon-Lautsprecher kann man sein Smart Home steuern, Essen bestellen, sich Termine anzeigen lassen, Hörbücher vorlesen lassen, Musik hören und vieles mehr. Google bietet mit Google Home ebenfalls einen digitalen Assistenten an, der wohl im Frühjahr 2017 in Deutschland ausgeliefert wird; Apple arbeitet, wie man hört, mit Hochdruck in gewohnter Heimlichkeit an seinem nächsten großen Ding. Welche persönlichen Daten und Vorlieben wir allerdings mit der Nutzung dieser Dienste den Internet-Giganten freiwillig zur Verfügung stellen, und was der digitale Assistent datenschutzrechtlich bedeutet – daran mag man gar nicht denken.

VLB-TIX

Das Titelinformationssystem VLB-TIX braucht hier nicht näher vorgestellt werden. Im Lauf der Zeit wird es sich zu einem kompletten und nach vielen Kriterien durchsuchbaren digitalen Verzeichnis aller lieferbaren Bücher entwickeln. Vor gut einem Jahr gestartet und mit aktuell mehr als 452.000 Neuerscheinungen (und insgesamt 2,4 Millionen Titeln) inkl. unzähligen Metadaten angereichert, steht der Branche schon heute ein mächtiges Recherche-Tool zur Verfügung das von allen Beteiligten (Verlage, Buchhandlungen, Medien) genutzt werden will. Sowohl die System-Entwickler als auch alle Anwender stehen nicht nur in diesem Jahr in einem permanenten Lernprozess, der zu einer Weiterentwicklung des Systems führen wird. 2017 wird es darum gehen, dessen Optimierung und weitere Verbreiterung in Gang zu halten.

Digitale Bildung und Ausbildung
Es ist eine Binse, dass die Zukunft unserer Branche und ihrer Unternehmen von einem qualifizierten Nachwuchs abhängt, der sich auf der Höhe der Zeit bewegt – ein Problem, das derzeit und in nächster Zukunft so gut wie alle Branchen beschäftigt. Schaffen wir es, die besten Nachwuchskräfte für unsere Branche zu gewinnen? Präsentieren wir uns den jungen Menschen, die in der digitalen Welt sozialisiert worden sind, als moderne Unternehmen mit weitreichenden Zukunftschancen? Oder entfalten wir eine Attraktivität lediglich für diejenigen, die ihre berufliche Zukunft in einem überwiegend analogen Arbeitsumfeld suchen? Wir sollten 2017 (und selbstverständlich auch in den folgenden Jahren) bei der Beantwortung dieser Fragen und der Entwicklung unserer Strategien zur personellen Zukunftssicherung sehr kritisch über unser Selbstbild und den Blick der Gesellschaft auf uns nachdenken.

Wichtige Konferenzen 2017

future!publish
26./27. Januar 2017
Berlin | Urania
http://futurepublish.berlin

Publishers’ Forum
24./25. April 2017
Berlin | DBB Forum
http://publishersforum.de

Jahrestagung der IG Digital
13. Juni 2017
Berlin | BCC
www.akeplog.de