Gewerkschafter diskutieren in Frankfurt über Strategien

Amazon soll sich der Sozialpartnerschaft stellen

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Sie heißen "hands" − Hände, nicht Köpfe. Die Bezeichnung sagt viel aus über das Verhältnis des weltweit größten Online-Versandhändlers Amazon zu seinen Mitarbeitern. Ob sich eine Sozialpartnerschaft mit global agierenden Unternehmen wie Amazon realisieren lässt, die zu diesem Begriff keinerlei Bezüge aufbauten, und was dies für die Gewerkschaften bedeutet, diskutierten gestern Abend Gewerkschafter und Gäste auf Einladung des Arbeitsrechtlers Norbert Pflüger im Frankfurter Museum für Kommunikation.
Amazon-Chef Jeff Bezos ist gerade vom Internationalen Gewerkschaftsbund zum schlechtesten Arbeitgeber der Welt ernannt worden. Einer der Kritikpunkte: „Amazon Deutschland behandelt seine Beschäftigten, als seien sie Roboter.“ „Amazon sendet widersprüchliche Signale“ sagt IG Metall-Vorstandsmitglied Sören Niemann-Findeisen. So seien Betriebsräte für das Unternehmen „kein Fremdwort“ und Amazon versuche auch nicht, Betriebsratswahlen zu verhindern. Aber es versuche, sie „zu instrumentalisieren“.

Unterschriften gegen ver.di
2011 startete die Dienstleistungsgewerkschaft ein sogenanntes Organizing-Projekt bei Amazon in Bad Hersfeld. Im Gegensatz zur Betriebsverfassung, die den institutionellen Ausgleich von Interessen auf sehr konkreter Ebene regelt, bedeutet Organizing eine „konfliktorientierte Strategie zur Eroberung gewerkschaftsfreier Räume“, erklärt Niemann-Findeisen. 22 Listen mit insgesamt 211 Kandidaten für die Betriebsratswahlen in Bad Hersfeld und hunderte Unterschriften gegen ver.di zeugten von einem „gespaltenen Verhältnis“ der Beschäftigten zur Gewerkschaft. Allerdings sei die angestrebte Mitbestimmung auf Augenhöhe bei Amazon möglicherweise nur mit dem radikaleren Organizing zu erreichen. Eine Mitbestimmung nach Betriebsverfassungsgesetz setze einen „gewissen sozialen Konsens“ voraus, den es bei Amazon nicht gebe.

Organizing auf Hessisch
„Wir nannten unser Projekt Organizing auf Hessisch“, berichtet ver.di Gewerkschaftssekretär Heiner Reimann. Gemeinsam mit den Beschäftigten „wollten wir definieren, was Gewerkschaftsarbeit ist“. ver.di schulte Amazon-Beschäftigte in Rechts- und Kommunikationsfragen und fragte sie, „wo der Schuh drückt.“ Die Ziele lauteten:

  • Mehr Respekt, der sich auch in besserer Bezahlung ausdrückt
  • bessere Pausenzeiten
  • weniger Überwachung

„Bei Amazon wird jeder Handgriff überwacht“, schildert Reimann. Bis zu 25 Kilometer laufen Amazon-Mitarbeiter am Tag, wer nicht schnell genug ist, wird zum Gespräch zum Chef gerufen, der im Glaskasten mitten in der Produktion sitzt: „Man sieht, wer zum Chef muss“.

Verdreckte Toiletten
Nur ein kleines Beispiel, das aber Türen öffnete: Beharrlich setzte ver.di während einer Betriebsversammlung das Thema der verdreckten und kaputten Toiletten auf die Tagesordnung, mit großem Erfolg, sagt Reimann: „Am Abend waren alle Toiletten gereinigt, sauber und funktionsfähig. Wir hatten den Finger in die Wunde gelegt, ab da konnten wir richtig starten.“

Politik der kleinen Schritte
„Wir werden, wenn wir Leute gewinnen wollen, kleine Schritte gehen müssen“, ist Arbeitsrechtler Norbert Pflüger überzeugt. Zum Beispiel mit Mitteln der Mitbestimmung Regelungen finden, um die hohe Krankenquote bei Amazon zu senken, das sei ein Ansatzpunkt. Ein Amazon-Mitarbeiter im Publikum hält dagegen, dass viele Schritte erst durch Druck möglich geworden seien. Reimann greift den Ball auf, nennt die 400 Euro Weihnachtsgeld, die der Betriebsrat durchsetzen konnte und erwähnt die Leiharbeiter, die nach wie vor bis zu zwei Jahre befristet arbeiten. Hauptziel von ver.di: Ein verbindlicher Tarifvertrag auf Basis des Versandhandels. Hier hat sich Amazon bisher nicht bewegt, ver.di kündigte bereits weitere Streiks an.