Internationale Jugendbuchmesse

Besucherplus in Bologna

31. März 2018
von Börsenblatt
Mit drei Prozent mehr Besuchern als im vergangenen Jahr ist am Donnerstag die Internationale Jugendbuchmesse in Bologna zu Ende gegangen. Von den 27.642 Gästen kamen 12.403 aus dem Ausland, sechs Prozent mehr als 2017. Ein Rückblick.

Für die 58 deutschen, sechs österreichischen und 17 Schweizer Verlage sind die Wege diesmal andere – sie haben in diesem Jahr ihre Stände nicht wie gewohnt in der einem Flugzeughangar ähnelnden Halle 30 aufgebaut, denn die ist nämlich gerade abgerissen und soll durch einen Neubau ersetzt werden. Nun sind sie in Halle 21 untergebracht, und die ist deutlich lichtdurchfluteter, was sich an den Ständen bemerkbar macht: "Die Stimmung der Verlagsmitarbeiter ist gut", konstatiert Bärbel Becker, Leiterin der Internationalen Programme bei der Frankfurter Buchmesse. Der von ihr und Imke Buhre organisierte und in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen bespielte Stand ist größer als 2017, da es nun erstmals Plätze für Literaturagenten gibt.

Nachwuchsillustratoren in allen Hallen

Wie gewohnt prägen lange Schlangen das Bild in den Bologneser Messehallen, so standen am Dienstagmorgen etwa 80 vor NordSüd, wo Lektorin Katja Alves und Illustrator Hans de Beer ("Der kleine Eisbär") sich die Arbeitsproben der jungen Illustratoren anschauten und so macnhen Tipp für die künstlerische Weiterentwicklung gaben, 130 vor Gallimard Jeunesse, um sich die Mappen mit den Arbeitsproben begutachten zu lassen.

Die Fiera del libro per ragazzi ist unverändert die Messe der Illustratoren, mehr als 3000 sind gemeldet, und auf vielfachen Wunsch bietet die Messe wieder den Illustrators Survival Corner an, wo sich der kreative Nachwuchs mit Verlagsexperten über Ideen wie Probleme austauschen kann. Auch die große Illustratorenausstellung mit großartigen Originalen von mehr als 80 Künstlern ist nach wie vor das Herzstück der Messe.

Mehr Politik im Jugendbuch

Die europäischen Verlage bieten im Jugendbuch zunehmend realistische Stoffe an, den Jugendlichen Themen zu erklären versucht, die vom schwierigen Erbe des 19. Jahrhunderts bis zu den sozialen und kulturellen Umbrüchen der Gegenwart reichen. "Bei den Jugendromanen spielt das historische Interesse wieder eine größere Rolle; sie beschäftigen sich mit den Dramen, die sich während des Zweiten Weltkriegs abgespielt haben, ebenso wie mit denen in den Jugoslawienkriegen", stellt Matilde Quarti vom italienischen Branchenmagazin "Il Libraio" fest. Vielfach angeboten werden kleine Kammerspiele, die die Zerbrechlichkeit der Heranwachsenden zeigen, die Alltagsprobleme wie Mobbing in der Schule schildern oder die Gefühle auf dem Weg zur Entdeckung der eigenen Homosexualität; desgleichen Erzählungen über die weibliche Selbstbestimmung 

Zudem werden im Jugendbuch deutlich mehr gesellschaftspolitische Themen angesprochen, "in den USA ist fast kein Roman mehr unpolitisch, es findet eine Verarbeitung der politischen Realität statt", beobachtet Thienemann-Verlegerin Bärbel Dorweiler. "Es geht um Teilhabe, Populismus, Fake News und extremistische Tendenzen." Seit 2015 sei das Jugendbuch erkennbar politischer geworden, sagt Gerstenberg-Verlegerin Daniela Filthaut, "es ist aber anders als in den 70er und 80er Jahren, das heißt: selten widerständig".

Sachwissen wird emotionalisiert

Eine weitere Tendenz, die zu beobachten ist: Sämtliche Möglichkeiten des erzählenden Sachbuchs werden ausgelotet, das Sachbuch wird wieder illustrativer, "die Verlage achten darauf, für ein jüngeres Publikum naturwissenschaftliche Phänomene emotional darzustellen", wie Petra Albers von Beltz & Gelberg erläutert. "Wenn man mit Illustratoren Sachbüchern macht, entstehen ganz andere Bücher, sie erzählen von vornherein Geschichten in Bildern", sagt Gerstenberg-Verlegerin Daniela Filthaut.

Es geht darum, Sachwissen in Situationen einzubetten, kleine Geschichten zu erzählen – "Emotionalisieren ist das Stichwort", meint DK-Chefin Monika Schlitzer.

Mehr und mehr engagieren sich die deutschsprachigen Verlage im Vorlesebereich und nehmen die Kitas stärker als Zielgruppe ins Visier, wie Frank Kühne von Carlsen sagt. "Vieles Kitas sind erpicht auf Bilderbücher, die nicht pädagogisch intendiert sind und 'offene' Stellen beinhalten", erklärt Petra Albers.

Selfpublishing-Autoren fassen Fuß

Langsam festigen sich auch die Bande zwischen Verlagen und selbstpublizierenden Autoren. "Es ist ein Experimentierfeld", sagt Ravensburger-Verlegerin Anuschka Albertz, die seit Herbst zwei solcher -Autoren im Programm hat. "Die Selfpublisher wollen beides, print und digital." Im Gegensatz von vor drei Jahren habe sich der Handel im vergangenen Jahr aufgeschlossen gezeigt: "Inzwischen haben wir gute Erfolge im Taschenbuch", konstatiert Carlsen-Verlegerin Renate Herre. Was die Verlage an den Selfpublishing-Autoren schätzen, ist deren Promotingarbeit: "Sie können ihre Novitäten und die Arbeit daran gut anteasern, neugierig machen, und wenn wir als Verlag 20 Posts senden, ist das nicht so glaubwürdig wie wenn eine Autorin wie Emily Bold dasselbe tut", erklärt Thienemann-Verlegerin Bärbel Dorweiler, und Eva Kutter von S.Fischer ergänzt: "Die Posts der Autoren wirken auf Leser einfach authentisch und nicht als Werbung".

Von der Vernetzung dieser Autoren könnten die Verlage noch einiges lernen, meint Dorweiler, die sich in Bologna mit den Kollegen auch über die Wirkung jener Selfpublisher austauscht. Sie beobachten die Szene, aber auch genau, wie viele E-Book-Leser aufs gedruckte Buch umschwenken würden. "Wir wollen ja eine neue Leserschaft generieren“, sagt Oetinger-Verlegerin Julia Bielenberg, aber man muss schauen, ob die auch bereit ist, höherpreisige Hardcover zu kaufen." Bereits eingeführte Selfpublisher-Autoren wie Colleen Hoover zieht deutsche Fans auch in der Realität an, weiß Susanne Stark von dtv zu berichten: "Als Hoover im Februar relativ kurzfristig nach München kam, kamen mehr als 300 junge Leute zu Hugendubel." Die qualitativ hochwertigen Selfpublisher-Autoren werden inzwischen schon von literarischen Agenturen gehandelt.

Gregs Tagebuch auf Neapolitanisch

Im Bologna Digital Media Centre sind derweil junge Start-ups wie Ellybee aus Catania neben den Großen wie Google, Apple und Netflix zu sehen; "in den Messehallen selbst ist jedoch erstaunlich wenig Digitales zu finden", stellt der Vorsitzende des Arbeitskreises für Jugendliteratur, Ralf Schweikart, fest. "Hier steht unverändert das gedruckte Buch im Vordergrund."

Das mit seinen Autoren unverändert Publikum anzieht. Unter den Starautoren kam am Messemontag kurz "Gregs Tagebuch"-Autor Jeff Kinney vorbei, dessen "Diario di una Schiappa" (Il Castoro) von Francesco Durante ins Neapoletanische übersetzt und vorgestellt worden war. Neapolitanisch sei die ideale Sprache für Schiappa, meinte Pico Floridi, der mit Renata Gorgani Leiter des italienischen Verlagshauses Castoro ist. "Greg ist ein Scugnizzo [Gassenjunge], er hat viele neapolitanische Züge: Er ist sympathisch, hat Ironie und diese Art, das Leben ohne zu viel Anstrengung zu bewältigen."

China auf Einkaufstour

Gastland ist in diesem Jahr China, das mit 100 Verlagen vertreten ist. Sie präsentieren rund 3.000 belletristische Titel, illustrierte Bücher und Comics mit bekannten Autoren und Illustratoren wie Cao Wenxuan, Han Yuhai, Yu Hong und Guojing. Und sie sind in den Messehallen fleißig am Einkaufen von Lizenzen – der potenzielle Markt in China ist mit etwa 220 Millionen Kindern unter 14 Jahren viermal so groß wie der nordamerikanische Markt, Tendenz steigend. Oft kaufen die Eltern über Online-Portale wie Dangdang, Amazon.cn und dem zu Alibaba gehörenden Taobao.

Experten sagen, dass im Durchschnitt der chinesische Kinderbuchmarkt jährlich um rund elf Prozent wächst. Mit den Bemühungen des Staates, die Einflüsse durch westliche Kinderbücher zu begrenzen und der Order, erst nach, zwei, drei inländischen Kinderbüchern ein nicht-chinesisches produzieren zu dürfen (sonst bekommen sie keine ISBN zugeteilt), gehen vor allem die unabhängigen Verlage recht pragmatisch um und bündeln ISBNs bei staatlichen Verlagen, was allerdings die automatische Prüfung durch einen Zensor nach sich zieht.

Der italienische Jugendbuchmarkt wächst

In Italien sind die Umsätze im Kinder- und Jugendbuchbereich im vergangenen Jahr um 7,9 Prozent auf 233,9 Millionen Euro gestiegen, wie die Verlegervereinigung AIE zur Messe bekanntgegeben hat. 183 Verlagshäuser und Imprints buhlen in Italien derzeit um die Aufmerksamkeit der der Kinder und Jugendlichen, rund 7000 sowohl unabhängige Buchhandlungen als auch Filialen von Ketten offerieren entsprechende Titel.

Die Anzahl der Kinder und Jugendbücher ist von 2014 bis 2017 zwar von 5.502 auf 7.476 Titel stark gewachsen, allerdings ziehen die Käufer wohl nicht in gleichem Maße mit. Die Anzahl der gedruckten Exemplare ist etwa von 33 Millionen Exemplaren in 2011 auf 27,2 Millionen Exemplare gesunken, für 2017 steht die Auswertung noch aus. Den Löwenanteil in Bezug auf die Altersgruppen nimmt dabei mit mehr als 60 Prozent die Zielgruppe der bis Sechsjährigen ein. Im Lizenzbereich hat das Kinder- und Jugendbuchs im vergangenen Jahr ebenfalls einen Sprung (um 7,7 Prozent) nach oben gemacht und hat nun einen Anteil von 43 Prozent an allen verkauften italienischen Lizenzen.

Feminismus und Migration in Großbritannien

Im britischen Königreich sind die Umsätze im Kinderbuch um 0,1 Prozent gegenüber 2016 gestiegen. Die Kollegen vom "Bookseller" bewerten das aktuelle Angebot im Kinder- und Jugendbuch eher als "solide" denn als "herausragend"; mit Blick auf die Bücher bis März 2019 stufen sie Fantasy und illustrierte lustige Romane als bestsellertauglich ein. Zentral bleiben Themen, die das noch junge 21. Jahrhundert reflektieren, wie Feminismus und Migration, wie Petra Sluka bestätigt; sie ist eine von 15 Scouts, die in London für deutschsprachige Verlage die Augen offen hält.

Die 56. Fiera del libro per ragazzi findet von 25 bis 28 März 2019 in Bologna statt, Gastland ist dann die Schweiz.