Interview mit Metin Celâl, Präsident des türkischen Verlegerverbands

"Die Situation ist düster"

27. Oktober 2016
von Börsenblatt
Die Türkei durchlebt eine schwierige Zeit. Der Präsident des türkischen Verlegerverbands, Metin Celâl, spricht über den Messeauftritt des Landes, gefährliche Bücher und die Unterstützung der deutschen Verleger.

Welche Art von Büchern sollte man in der Türkei publizieren, um keine Probleme mit dem Staat zu bekommen?
In der Türkei kann man jedes Buch verlegen, es passiert einem nichts. Man kann aber auch Probleme bekommen, egal was man veröffentlicht. Das ist nicht vorhersehbar und das eigentliche Grundproblem. Denn in unseren Gesetzen befinden sich Paragrafen, die es ermöglichen, dass man für fast jedes Thema verurteilt werden kann. Diese Paragrafen werden von Zeit zu Zeit angewendet, von Zeit zu Zeit nicht. So können sie in der Türkei wegen Religionspropaganda bestraft werden, aber auch wegen Beleidigung der Religion.

Nach dem gescheiterten Militärputsch wurden zahlreiche Verlage, Zeitungen, Zeitschriften und TV-Sender geschlossen. Warum haben die Menschen nicht dagegen protestiert?
Das türkische Volk glaubt, dass die betroffenen Medien eine Verbindung zu der Organisation, die für den Putsch verantwortlich sein soll, haben. Sie denken, dass sie Propaganda für die Organisation betrieben und diese finanziert haben. Bei den dicht gemachten Verlagen handelt es sich zumeist um Bildungsverlage. Dennoch bleibt klarzustellen, dass die Gerichte bisher kein Urteil über diese Medien ausgesprochen haben.

Mit der "Organisation" meinen Sie das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen?
Ja.

Gibt es Verlage, die nach der Ausrufung des Ausnahmezustands ihr Programm geändert haben?
Nach der Verhängung des Ausnahmezustands ist kein Buch verboten worden. Bisher gibt es auch keinen Schriftsteller, der wegen seines Buchs im Gefängnis sitzt. Bei den Autoren, die derzeit in Haft sind, handelt es sich um Personen, die als Kolumnisten tätig waren oder wie im Fall von Aslı Erdoğan dem Redaktionsbeirat einer Zeitung angehörten. Bisher ist nichts passiert, was die Freiheit der Buchverleger einschränkt. Wir hoffen, dass das auch so bleibt. Die Verlage haben ihr Programm weitgehend nicht geändert, es gab jedoch Ergänzungen aus wirtschaftlichen Gründen. Aktuell kommen sehr viele Bücher über den versuchten Militärputsch auf den Markt.

Türkische Verleger und Schriftsteller sind ständig in Gefahr. Warum hat die Gesellschaft es nicht geschafft eine stabile Demokratie aufzubauen und dadurch auch die Meinungsfreiheit zu garantieren?
Wir sind generell davon überzeugt, dass wir in der Türkei Demokratie haben. Wir haben jedoch folgendes Problem: Seit der Erfindung des Buchdrucks wollten die Regierenden Verleger und Schriftsteller kontrollieren. Diese Tradition stammt vom Osmanischen Reich. Bereits beim ersten gedruckten Buch gab es Probleme. Die Sultane waren dagegen, dass religiöse Bücher gedruckt werden. Sie dachten möglicherweise, das dadurch der Inhalt etwa des Korans verfälscht werden könnte. Viele denken, dass in dem Riesenreich die Druckereien sehr spät errichtet wurden. Sie denken in erster Linie an Ibrahim Müteferrika, der die erste osmanische Druckerpresse betrieben hat. Jedoch haben etwa dreißig Jahre nach Erfindung des Buchdrucks die im Reich lebenden Griechen, Juden und Armenier die ersten Bücher gedruckt. Aufgrund der Zensur im Osmanischen Reich konnten nur wenige Bücher publiziert werden. Auch nach Gründung der türkischen Republik haben die Herrschenden Bücher als eine Gefahr gesehen.

Trotz Sicherheitsbedenken wollen die deutschen Verleger an der Istanbuler Buchmesse im November teilnehmen. Wie können sie die türkische Verlagsbranche am besten unterstützen?
Deutschland hatte Sicherheitsbedenken, aber derzeit ist es nirgendwo auf der Welt sicher. Niemand weiß, wann und wo der Terror zuschlagen wird. Im Ergebnis möchten die Terroristen unseren Alltag, unsere Geschäfte beeinflussen. Wenn Deutschland nicht an der Messe teilnehmen würde, hätten die Terroristen ihr Ziel erreicht. Mit ihrer Teilnahme haben sich die deutschen Verleger richtig entschieden. Ich danke ihnen für die Unterstützung bisher. Sie waren beim Thema verlegerische Freiheit immer an unserer Seite. Ich wünsche mir, das wir unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit weiter vorantreiben, uns noch enger vernetzen.

Die türkische Verlagsbranche kämpft nicht nur für die Meinungsfreiheit. Was sind aktuell die drängendsten Probleme der Verleger und Buchhändler?
Jeder Türke liest im Durchschnitt acht Bücher im Jahr. Das ist zu wenig, daher müssen wir die Zahl der Leser steigern. Am meisten lesen bei uns die jungen Menschen. In den kleineren Städten machen Buchhandlungen dicht. Es gibt gar Städte ohne eine einzige Buchhandlung. Des Weiteren haben wir nicht genügend Bibliotheken. Folglich haben es Menschen, die lesen wollen, schwer an Bücher ranzukommen. Wir müssen es schaffen, sie besser mit Büchern zu versorgen.

Am Nationalstand der Türkei fehlen etliche Neuerscheinungen. Zudem sind die Verlage nicht so präsent wie in den Jahren zuvor. Wie viele Verleger sind eigentlich auf der globalen Buchschau?
Den nationalen Stand nutzen zwölf Verleger für Gespräche, am Stand für Kinderbücher treffen sich nochmals zwölf Verleger mit ihren Kontakten. Ferner sind rund 100 Verleger auf eigene Kosten angereist. Ich stelle seit einigen Jahren fest, dass die Zahl der Aussteller und Besucher auf den internationalen Buchmessen zurückgeht. Frankfurt ist zudem eine teure Stadt. Ein Hotelzimmer, das normalerweise 70 Euro kostet, ist zur Messezeit nicht unter 210 Euro zu haben. Daher kommen weniger türkische Verleger zur Buchmesse. Das hängt jetzt in erster Linie nicht mit dem politischen Druck in der Türkei zusammen, vielmehr ist das eine Frage des Budgets. Und diejenigen, die hierher kommen, planen seit einigen Jahren weniger Übernachtungen ein. Darüber hinaus geht der Trend von der persönlichen Anwesenheit Richtung Videokonferenzen. Etwa per Skype. 

Wir werden schöne Tage erleben Kinder, schreibt der Poet Nazım Hikmet in einem Gedicht. Wie weit sind diese Tage für die Türkei?
Die Situation ist düster. Im Irak und in Syrien herrscht Krieg, die Türkei beteiligt sich in Syrien. Dann die Terroranschläge, die Selbstmordattentate. Das alles macht einen pessimistisch. Diese Ereignisse wirken sich selbstverständlich auch auf die Wirtschaft aus, wir fürchten uns vor einer Wirtschaftskrise. Denn die Menschen ziehen sich aus belebten Orten zurück, gehen nicht in Buchhandlungen, konsumieren weniger. Wir wären schon froh, wenn wir das Bestehende bewahren könnten.