Interview mit Verleger Manuel Herder

"Da wird nichts besser"

1. März 2018
von Börsenblatt
Manuel Herder glaubt nicht an die schnelle Wende zu Wachstum und zu neuen Buchkäufern. Der Freiburger Verleger ruft die Branche daher zur mühsamen Arbeit an Prozessen, Digitalisierung, Marketing und Ladenpreisentwicklung auf.

Seit Sommer 2016 halten Sie die Mehrheit an Thalia. Gleich nachdem die Nachricht raus war, gingen Spekulationen los: Die machen jetzt vertikale Diversifikation – die gesamte Wertschöpfungskette Buch aus einer Hand. Eine große Vision! Sind Sie ihr schon nähergekommen?
Als ich Thalia nur von außen kannte, hatte ich natürlich auch ein anderes Bild als heute. Aber eines galt schon damals, auf die Professionalität meiner Ansprechpartner dort konnte ich mich immer verlassen. Das ist auch heute so. Natürlich haben wir unsere Zusammenarbeit in vielen Bereichen intensiviert. Doch die Vertikalisierung in der Branche ist eine Frage an unser aller Selbstverständnis. Traditionell lassen Buchdrucker sich ungern von Papierverkäufern beraten. Verleger lassen sich ungern von Druckern beraten und Buchhändler lassen sich ungern von Verlegern beraten. Damit kommt Wissen, das eigentlich vorhanden ist, über die Branche hinweg nicht zur Anwendung. Ich frage mich deshalb, wie würden wir uns verhalten, wenn wir keine gedanklichen Grenzen zwischen Verlagen und Buchhandlungen hätten? Die Branche wird durch die Digitalisierung verändert und da kommt für uns alle neues Denken auf.

Haben Sie für Herder ein Beispiel neuen Denkens?
Ja, aber es ist gar nicht so neu: Mit einer Buchhandlung im Schwarzwald haben wir vor einigen Jahren gemeinsam einen Regionalia-Titel gemacht: Einen Bildband über das direkte kulturelle touristische Umfeld dieser Buchhandlung. Die Buchhändler haben uns genau gesagt, welche Ansprüche sie an das Buch, an die Ausstattung, die thematische Ausrichtung und natürlich die Kalkulation haben. Daraufhin haben wir passgenau ein Buch gemacht und es war in dieser Buchhandlung über lange Zeit hinweg ein großer Erfolg.

Müssen sich die Gesprächsmuster der Branche ändern, damit mehr in vertikaler Perspektive gedacht wird?
Händler und Verlage reden ja zweimal jährlich miteinander, nämlich beim Vertreterbesuch. Verlage müssen überprüfen, ob sie den Händlern da alle wichtigen Informationen zur Verfügung stellen und Händler sollten prüfen, ob sie die Marketingkompetenzen der Verlage voll abfragen. Niemand hindert einen Händler daran, den Verlag zu fragen, ab wieviel Exemplaren er eine exklusive Teilauflage eines Titels mit eigenem Vorwort oder eigener Covergestaltung haben kann. Und schon hat er ein Alleinstellungsmerkmal für sein Sortiment geschaffen.

In den vergangenen sechs Jahren sind dem deutschen Buchmarkt Millionen Käufer verlorengegangen. Was muss geschehen, damit sich die Entwicklung wieder zum Besseren wendet?
Da wird nichts besser. Die Entwicklung des Marktes ist rückläufig und wir befinden uns im Verdrängungswettbewerb. Aber das ist nicht neu, es ergibt sich aus der demografischen Entwicklung und der veränderten Mediennutzung. Wir als ein Verlag, der auch in den Fachmärkten Pädagogik und Religion unterwegs ist, kennen das Phänomen rückläufiger Märkte schon etwas länger.

Wie überleben Sie in diesen Märkten?
In der wissenschaftlichen Theologie beispielsweise hatten wir vor zwanzig Jahren noch viele ernsthafte Konkurrenten. Mittlerweile verdichtet sich das Geschäft auf wenige Wettbewerber und wir konnten unser Programm deutlich ausbauen, denken Sie allein an die Gesamtausgaben von Benedikt XVI. bis Hans Küng. In rückläufigen Märkten gilt es, sich von den jeweils direkten Konkurrenten durch Kundennähe, Innovation und Kosteneffizienz abzusetzen. Idealerweise gelingt es so zusätzliche Produkte erfolgreich anzubieten und dadurch zu wachsen.

Einem Fachverlag fallen Zusatzprodukte leichter ein als einem Publikumsverlag.
Auf jeden Fall kann man sie da besser planen. Im Zeitschriftenbereich etwa können wir den Lesern neben dem normalen Jahresabonnement auch Sonderhefte zu speziellen Themen anbieten und diese über die jeweilige Zeitschrift erfolgreich vermarkten. Im Publikumsmarkt sind Zusatzprodukte oft viel kurzfristiger. Wir haben jetzt gerade innerhalb von zwei Monaten von der ersten Idee bis zur Buchvorstellung die Biografie über den neuen Bundeskanzler Österreichs in den Markt gebracht.

Prinzipiell haben fast alle Verlage in den letzten Jahren die Anzahl ihrer Neuerscheinungen gesenkt. Das finden die meisten Buchhändler sehr gut. Woran Verleger wie Buchhändler weiterhin arbeiten müssen, ist das Preisthema.

Was traut sich Herder?
Der bibliophile Band mit den Gedichten der japanischen Kaiserin Michiko ist mit 28 Euro im Handel und schon in der dritten Auflage, die Preispolitik war erfolgreich. Wir sind dabei unser Geschenkbuchprogramm insgesamt wertiger und höherpreisiger zu positionieren. Die Kunden wünschen sich schön ausgestattete und einzigartige Produkte zum Verschenken und zum selber Belohnen und dafür geben sie auch gerne Geld aus.

Geht es dabei nicht in erster Linie um die emotionale Seite von Büchern?
Ja, aber Emotion und Intellekt müssen hier zusammenfinden. Der eigentliche Preis, den unsere Leserinnen und Leser für die Bücher ausgeben, ist doch ihre Zeit! Feierabend, Wochenende oder Urlaub sind kurz. Da möchte man seine wertvolle Zeit doch mit Büchern verbringen, die emotional und intellektuell anregen. Hier liegt die große Chance für die Buchhandlungen: Ein anregendes Sortiment und eine gut gelaunte Buchempfehlung sind ein wichtiger Grund, warum viele Menschen nach wie vor gerne in Buchhandlungen gehen und in Zukunft gehen werden.

Käuferrückgang, Frequenzverluste in Innenstädten, alternative Leseangebote: Befinden wir uns dauerhaft in einem schrumpfenden Buchmarkt?
Ja, davon gehe ich aus.

Soll Stagnation plus Kostenkontrolle das neue Narrativ der Buchbranche sein? Klingt nicht so sexy.
Tja, das Leben ändert sich. Sehen Sie mal, der Bundeskanzler Sebastian Kurz trägt auf unserem Buch-Cover keine Krawatte. Sie und ich tragen heute auch keine. Vor zehn Jahren wäre beides undenkbar gewesen. Die Krawatte ist im Alltag eben aus der Mode gekommen, basta. Der Einzelhandel für Herrenmode braucht kein Narrativ, er braucht Ideen, wie er die frei gewordene Fläche neu nutzt und den verlorenen Umsatz kompensiert. Der Wunsch in der Buchbranche nach so einer Art lucky punch, nach einer rettenden Veränderung wird sich nicht erfüllen. Wir müssen hinein in die mühsame Arbeit an der Prozessoptimierung, der Digitalisierung, des Marketings und der Ladenpreisentwicklung.

Was ist mit Innovationen?
Gehört dazu. Wir alle haben schon heute viele innovative Möglichkeiten, Leser zu erreichen und für unsere Bücher zu begeistern. Jedes Schulkind kann social media. Ich glaube, zu den wichtigsten Aufgaben in den Verlagen und Buchhandlungen gehört es, die jungen Kolleginnen und Kollegen machen zu lassen, an sie abzugeben und ihnen zu vertrauen. In unseren Online-Abteilungen sitzen junge Kolleginnen und Kollegen. Die kommen auf Ideen, auf die ich nie käme. Aber das nutzt dem Verlag nur, wenn ich sie auch machen lasse.

Allen Prognosen der Konsolidierung zum Trotz sagen Sie, die Buchbranche sei eine Zukunftsbranche. Hat Ihr Optimismus Gründe?
Ja. Ich sage das aus Überzeugung. Wenn Sie sehen, wie weit wir im Buchhandel mit der Digitalisierung schon vorangekommen sind, dann erkennen Sie, dass wir den meisten anderen Branchen weit voraus sind. Rückblickend betrachtet sind die Gründe dafür offensichtlich: Unser Produkt, das Buch und unser Vertriebsweg, der Buchhandel, waren am einfachsten zu digitalisieren und deshalb kam die Digitalisierung unerwartet schnell auf uns zu. Thalia hat es damals den Händlern zeitnah ermöglicht, mit dem Tolino ein weltweit führendes Lesegerät anzubieten und hat damit dem Handel eine Partnerschaft angeboten, die bis heute trägt. Die Barsortimente ermöglichen es jedem Händler eine Verkaufsseite online zu betreiben. Die Branche verfügt über eine digitale Vorschautechnologie. Welche Branche kann all das von sich behaupten?

Mit der Digitalisierung des Produkts ist es aber im Publikumsmarkt nicht so weit her, wie frühe Vorhersagen das gesehen hatten. Kommt da noch was?
Vorerst scheinbar nicht. Vor zehn Jahren habe ich noch gedacht, der Paradigmenwechsel wäre so umfassend, dass es gedruckte Bücher als Massenmedium nur mehr in einer Übergangsphase geben würde. Heute sehe ich, dass die Kundschaft trotz Handy in der Tasche und Lesegerät und Tablett zuhause mit Begeisterung nach gedruckten Büchern verlangt. Ich merke das auch an mir selbst. Mit Büchern ist es wie mit dem echten Leben: Nur wer sich darauf einlässt, entdeckt neue Seiten.