Lesermail

Börsenblatt 28 - Wohin mit all den Büchern?

16. Juli 2007
von Börsenblatt
"Meines Wissens ist es das erste Mal, dass der Börsenverein das Thema Überproduktion kritisch betrachtet und nicht bejubelt, vielen Dank", schreibt Dieter Banzhaf in einem Leserbrief.
Hier der Brief im Wortlaut: 94.716 neue Bücher im Jahr 2006 - das sind 260 !! neue !! Bücher !! pro Tag !!, Sonn- und Feiertage eingerechnet; ein unrühmlicher neuer Rekord. Viele der 94.716 Novitäten werden kaum den Weg von der Buchbinderei in die Auslieferung schaffen - um später dann da oder dort makuliert zu werden; eine gigantische Geldvernichtung. Ist das Branchenschicksal? Läßt sich nichts dagegen tun? In der über 10jährigen Beratung von Verlagen aller Programmrichtungen und Größenordnungen habe ich in Workshops mit der Geschäftsleitung, dem Lektorat, Vertrieb und Marketing die jeweils aktuellen Novitäten beurteilen lassen nach solchen, - die auf dem Weg zum Top-Titel oder gar Bestseller sind, - solchen, die die Verkaufserwartungen erfüllen werden - und solchen, die bereits kurz nach Erscheinen in die Rubrik "Arme Hunde" abgestürzt sind. Der Anteil dieser "Armen Hunde", also der Titel, die nie das Licht einer Buchhandlung erblicken, liegt im Mittel bei 20% pro Programmsegment. Auf die Gretchenfrage an die Teilnehmer, ob dieses Ergebnis für sie völlig überraschend kommmt oder vielleicht doch schon vorweg geahnt, vermutet, gewußt wurde, gab es das Eingeständnis "Ja". Zumindest wußte man gewiß, dass diese Titel es sehr schwer haben würden, einen break-even zu erreichen. Auf die insistierende Folgefrage, ob sie sie auch verlegt hätten, wenn es ihr eigener Verlag, ihr eigenes Geld wäre, kam dann schon meist ein klares "Nein". Wenn also rund 20% der obigen 94.716 Novitäten - sprich 19.000 Titel des Jahres 2006 für die Verlage ein wirtschaftlicher Verlust sind oder werden, dann ist dies nicht Schicksal sondern selbstgemacht. Diese Titel erfüllen auch nicht das hehre verlegerische Ziel, ihre Leser oder Nutzer zu finden, weil sie, siehe oben, dereinst nagelneu von der Binderei zur Makulatur wandern und somit weitere Kosten verursachen. Dass die Sortimenter dieser wachsenden Flut mit einem immer konsequenteren "Nein" begegnen, ist verständlicher Selbstschutz; denn sie brauchen keine 260 neuen Titel pro Tag zu ihrem Bestehen. Sie tun das, was ihre Berufsbezeichnung ausdrückt: sie sortieren aus. Es wäre wohl hilfreich und wichtig, wenn das Börsenblatt das Thema Überproduktion weiterhin beleuchtete. In der kritischen Analyse der Novitätenflut liegt eine reale Chance, die Überproduktion ohne Qualitätsverlust zu Gunsten von Entschlackung und Unternehmensgewinn zu wenden.