Martina Bergmann über Mitarbeiter (3)

Jenseits der Cappuccino-Grenze

20. März 2017
von Börsenblatt
Über Filterkaffee, Actes Sud und Jobcentern: Martina Bergmann schreibt über die Suche nach guten Mitarbeitern in der Provinz, inklusive Grundregeln für ländliche Arbeitgeberalltage. Teil 3 der zehnteiligen Serie der Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzausen. 

Wir trinken Filterkaffee, der Nachbar und ich. Jeden Morgen ungefähr um neun. Wenn ich kurz außer Haus bin, trinke ich irgendwo in meiner Straße Filterkaffee aus Apparaten, für die die Bezeichnung Vollautomat so unpassend ist wie Metropole für diese kleine Stadt. Man kann es drehen und wenden, wie man will - hier ist nicht Berlin. Hier ist Provinz. Es ist schöne Provinz, es ist nicht arm, nicht hässlich, die Menschen sind nett und verhalten sich zivil. Soweit ich sehe, wählen sie nicht die AfD. Man kann in Ostwestfalen sehr viel Filterkaffee trinken, ohne dabei gesinnungsmäßig zu verblöden. Deshalb bin ich hier. Deshalb gibt es eine Verlagsbuchhandlung, die ich mir nach dem Vorbild von Actes Sud in Frankreich überlegt habe. Ein Verlag mit ländlicher Zentrale, der über die Jahre seinen Katalog und eigene Vertriebskanäle schafft.


Gute Leute meiden die Provinz

Von den groben Zusammenhängen abgesehen, hinkt der Vergleich natürlich. Touristenmagnet in der Provence versus Kleinstadt im Teutoburger Wald; da gibt es wenig Ähnlichkeiten. Immerhin, siehe oben, kein Front National. Am ehesten noch, dass die guten Leute Provinz erstmal meiden. Gute Leute sind für mich Mitarbeiter, die ihre Aufgaben erledigen, die mitdenken, sich notfalls widersetzen und die jedenfalls verstehen, was ich will. Diese Leute muss man sowieso suchen. Sie stehen sicher auch in Hamburg oder Köln in Scharen bereit, um für einen Verlag zu arbeiten. Seit der Verlag die Buchhandlung in der öffentlichen Wahrnehmung und zunehmend auch wirtschaftlich überflügelt, ist es besser geworden. Ein Verlag ist etwas Besonderes, und ein Verlagszeugnis haben junge Geisteswissenschaftler gern bei ihren Unterlagen. Es gibt einen Punkt, wo Neugier den Provinzblues übertönt. So kam ich zu Actes Sud in Arles, und deshalb haben wir jetzt gute Leute.

Ich denke jedoch mit Schrecken an meine Anfangszeit als Arbeitgeber. Das erste Vierteljahr war ich allein. Es hat mir gar nicht schlecht gefallen. Nur: Ich kam an Grenzen. Wenn ich zum Steuerberater wollte, musste ich schließen. Heute erst ab 11 wegen Termin: Kann man zweimal im Jahr machen, aber eben in Notfällen. Es gab dann, über Jahre, immer jemand, der drei halbe Tage pro Woche im Einsatz war. Meistens drei Vormittage, denn Minijobs betreffen hauptsächlich Mütter. Ich hatte also meine private Freizeit morgens. Man gewöhnt sich an alles, auch an Freibad am Dienstagvormittag. Aber der erste vollständig freie Tag war ein Ereignis. Das war 2015, nach fünf Jahren. Ich bin da nach London geflogen, um Lizenzverträge zu unterschreiben. Kein richtiger Urlaub, aber eine Zäsur.


Schwärmen im Duett? Ohne mich. 

Von Auslandsgeschäften konnte noch keine Rede sein, als ich die ersten Aushilfen einstellte. Reiches Angebot zunächst, denn "schön im Bücherladen" ist ein Konzept, das emotional gut funktioniert. Schön im Bücherladen als Mischung aus elegischem Schweben zwischen Belletristik im Leinenband und Plausch über die intellektuellen Zustände der Gegenwart. In der Sparversion: Schwärmen im Duett. Ergriffene Verkaufsperson, hingerissene Kundin. Beides mag funktionieren, letzteres wahrscheinlich auch in Borgholzhausen. Aber beides funktioniert nicht mit mir. Ich bin ja auch noch da: der Chef.

Ich meine, dass ich ein guter Chef bin. Ich habe immer deutlich mehr als Mindestlohn gezahlt, unsere Mitarbeiter sind sozial- und haftpflichtversichert, sie können Fortbildungen besuchen und eigene Arbeitsbereiche wählen. Das kenne ich nicht von all meinen eigenen Arbeitsplätzen so. Ich lernte aber schnell, meine Angestellten-Wünsche sind nicht repräsentativ für andere Angestellte. Sie sind repräsentativ für Leute, die sich selbständig machen. Typische Angestellten-Wünsche sind: Blumen zum Geburtstag. Aufmerksamkeiten zu Weihnachten. Freizeitaktivitäten, gern als Restaurantbesuch auf Firmenrechnung. Meinetwegen. Nach viel Magenbitter werden Lokalitäten heute nur von mir ausgesucht. Und ich backe Kuchen nicht selbst, egal, wie sehr Landfrauen darüber spotten. Das eigentliche Thema ist nicht Kuchen oder kein Kuchen, das Thema ist: Wie privat ist so ein Job?


Mütter, die sich organisieren wollen


Ich meine, ein Aushilfsjob im Buchladen ist wenig privat. Es handelt sich um Arbeit gegen Entgelt. Dass Kinderbetreuung in Management ausarten kann: Geschenkt. Wir sind befinden uns in westdeutscher Provinz, und die Betreuungsstrukturen werden nur zögerlich besser. Ich hatte mit Müttern, die sich organisieren wollen, nie ein Problem. Meine Lieblingsmitarbeiterin hat sich von zweimal drei Stunden pro Woche zu einer 30-Stunden-Stelle beim Kollegen zurecht organisiert. Ich bin stolz auf sie, und das ist auch die Art von Frauensolidarität, die ich als Arbeitgeber angemessen finde. Alles darüber hinaus, all die Anfragen aus Gleichstellungsbüros und Jobcentern - schwierig. Von sämtlichen Maßnahmen in dem Bereich war genau eine erfolgreich. Sie betraf den jungen Mann aus Syrien, von dem ich meinte, dass er bei uns schnell gut Deutsch lernen würde. Das hat funktioniert. Er hat jetzt eine Ausbildungsstelle als Mechatroniker. Ein erfolgreicher Kandidat in sieben Jahren - das ist wenig. Das sagt etwas über die, die selbst in einer Region mit Vollbeschäftigung schwer zu vermitteln sind. Es sind oft Personen mit erheblich verunfalltem Privatleben. Was unsere Mitarbeiter privat tun oder lassen, geht mich nichts an. Ich bekomme in diesen kleinen Strukturen notgedrungen eine Menge mit, aber ich habe dazu selten eine Meinung. Ich bin auch in wesentlichen Punkten des Dorflebens vollständig meinungsfrei. Der ländliche Festreigen vom Osterfeuer über Schützenball bis Erntefest und Krippenspiel ist vielfach erprobt. Ich bin da manchmal zu sehen und sage: Prima. Oder ich spende 50 Bratwürstchen, was eine andere Ausdrucksform von Prima ist.

Hier sind ein paar Grundregeln für meinen ländlichen Arbeitgeberalltag: 

1. Raushalten. Es gibt Selbstverständnisse und Rollenbilder, die wähnt man in Konrad Adenauers Mottenkiste. Es gibt genau deshalb Gleichstellungspolitik. Ich finde Gleichstellungspolitik gut, auch wenn ich ihr als Arbeitgeber manchmal Grenzen setze.

2. Privates privat sein lassen. Man kann den ewigen Konflikt um Achselhaare sehr schön auffangen, indem man sagt - Körperbehaarung ist privat. Deswegen möchte ich keine sehen. Egal, ob wegrasiert oder durch Kleidung verborgen. Ich seh die nicht!

3. Trinken ist wichtig, auch am Arbeitsplatz. Das heißt aber nicht, dass Sammlungen von privaten Kaffeetassen oder Dosen mit Energy-Drinks in unserem Laden auftauchen. Es gibt Wasser und Kaffee. Beides kaufe ich. Ende.

4. Besuche am Arbeitsplatz sind sprechend. Sie zeigen zum Beispiel, der Mitarbeiter hat viele nette Freunde. Aber sie zeigen auch, der Mitarbeiter findet seine Aufgaben mäßig relevant. Eine Langzeitbeobachtung von mir: Mitarbeiter erreichen nie ganz meinen Umsatz, aber doch etwa 85 Prozent. Nur viel besuchte Kolleginnen und Kollegen kommen selten über 50 Prozent. Sie sind zu beschäftigt, um sich tatsächlich Kunden zuzuwenden.

5. Cappuccino-Test. Die Leute können einem viel erzählen. Dass sie Provinz super finden. Dass sie schon immer so leben wollten, wie es in der Landlust steht. Wenn sie aber nicht wissen, dass weite Teile der Kernzielgruppe dieses Instant-Zeug aus Dosen als Cappuccino bezeichnen, dann fehlt ihnen eine wesentliche Provinzerfahrung. Wir trinken nicht grundlos Filterkaffee, der Nachbar und ich. Filterkaffee ist langweilig. Aber nicht schlimm.


Bereits erschienen:
(1) Martina Bergmann arbeitet einen Fachbuchklassiker durch (2) Wie man sich ins Gespräch bringt