Stellungnahmen von Christian Riethmüller

Was muss ein Buchhändler lernen?

28. Mai 2010
von Börsenblatt
"Grundlage für die langfristige Sicherung der Existenz einer Buchhandlung kann heute nur wirtschaftliches Handeln sein", sagt Christian Riethmüller. Der Geschäftsleiter der Osianderschen Buchhandlung, Tübingen, nimmt Stellung zur Diskussion über die Anforderungen an die buchhändlerische Ausbildung. 
1. Osiander hat seinen Mitarbeitern und Auszubildenden schon vor Jahren den Unternehmenszweck von Osiander dargelegt: „Wirtschaftlicher Verkauf von Büchern und Nebensortiment“, wobei die Betonung auf „wirtschaftlich“ liegt.

Von daher sollte der Bereich „wirtschaftliches Handeln“ mit den Stichworten „Kennzahlen, Effizienz, Effektivität, Wirtschaftlichkeit, Personaleinsatz“ ein wichtiger Kernbereich der Ausbildung sein, der heute leider noch viel zu kurz kommt. Es ist erschreckend, wenn Azubis, die von der Schule kommen, noch nicht einmal einfaches Prozentrechnen beherrschen.

In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass es sich bei Büchern zwar immer noch um ein Kulturgut handelt. wenn man  sich die Bestsellerliste anschaut, dann befinden sich dort allerdings zumeist Titel, die weniger mit „Kulturgut“, als vielmehr mit relativ anspruchsloser Massenware (die wir aber zugegebenermaßen sehr gerne verkaufen) zu tun haben. Die beiden derzeitigen Top-Titel „Hummeldumm“ und „Achtung Baby“ sprechen da für sich. Somit handelt es sich auch bei Büchern längst in erster Linie um ein Wirtschaftsgut, das wir verkaufen und mit dem wir Geld verdienen wollen, und erst in zweiter Linie um ein Kulturgut.

Wir müssen unseren Auszubildenden auch vermitteln, dass es unsere Aufgabe ist, gerade diese sich schnelldrehenden Titel besonders und an bester Stelle  zu  präsentieren, weil wir  es uns in unseren Buchhandlungen nur dann leisten können,  auch die anspruchsvolle Literatur incl. Beratung mit einer niedrigen Lagerumschlaggeschwindigkeit (LUG) zu verkaufen, wenn wir die etwas anspruchsloseren Titel im Stapel ohne Beratung verkaufen und damit Geld verdienen. Vielfalt in Buchhandlungen kann nur dann erreicht werden, wenn diese finanziert werden kann.

Zudem  müssen Auszubildende ebenso zumindest die Grundlagen im Non-Book-Bereich und in anderen Bereichen  vermittelt bekommen. Die in den letzten Jahren verlorenen Buchumsätze kommen nicht wieder, und können nur durch den Non-Book-Bereich aufgefangen werden. Ebenso ansprechen muß man den Bereich „Modernes Antiquariat“, bei dem es erschreckend ist, mit wie wenig Grundkenntnissen die Auszubildenden die Schule verlassen.

Gerade bei Osiander legen wir Wert auf ein qualitätsvolles Sortiment. Aber wir haben lernen müssen, daß wir uns dies nur leisten können, wenn wir wirtschaftlich erfolgreich sind, und das ist heute alleine mit dem Kulturgut Buch nicht mehr möglich..

2. Neben der wirtschaftlichen Kompetenz ist natürlich die Fach-, bzw. die Literatur-Kompetenz unabdingbar. Aber schon hier scheiden sich die Geister. Wenn man weiß, daß z.B. bei Hugendubel die Kunden sich an Kunden-Terminals selber informieren sollen und die Fachberatung in den Abteilungen wegfällt, und daß externe Dienstleister die Ware einräumen, dann muß festgestellt werden, daß die Anforderungen in diesem Bereich sehr unterschiedlich sein können. Für Osiander ist die Fachkompetenz im Literaturbereich unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft und damit wesentlicher Ausbildungsinhalt an der Buchhändlerschule, und er sollte von den neuen Medien nicht zu sehr in den Hintergrund gedrängt werden.

Von hoher Bedeutung sind  zudem eine gute Allgemeinbildung und die Neugierde, neue Dinge/Bereiche kennenzulernen. Gerade in den Bereichen Sport, Kultur, Kunst, Musik, Politik, Geschichte müssen unsere Auszubildenden Kenntnisse über den Literaturbereich hinaus haben und sich für diese Themen interessieren. Es sollte mit Aufgabe der Buchhändlerschule sein, dieses Interesse und die Neugierde für diese Bereiche zu wecken.

3. Herausragend wichtig, v.a. wegen  der Konkurrenz des Internets, ist die Service-Kompetenz. Ein Kunde, der unsere Buchhandlung unzufrieden verläßt, weil der Service nicht gestimmt hat, kauft dann eben bequem von zu Hause ein. Zur Service-Komptenez gehören v.a. die Bereiche Aufmerksamkeit, Beschwerdemenagement, Freundlichkeit und Kulanz. Gerade in diesen Bereichen sollte die Buchhändlerschule neben theoretischen Grundlagen auch praktische Übungen bieten, die im täglichen Ladengeschäft zu kurz kommen.

4. Selbstverständlich muss die Medienkompetenz eine immer wichtigere Rolle spielen. Unsere Welt, und damit auch unsere Branche verändert sich immer schneller, und wir müssen uns dem anpassen. Bei Osiander muss jeder Mitarbeiter in der Lage sein, einem Kunden zu erklären, was die wesentlichen Unterschiede bei den E-Book-Readern sind, er muss E-Books herunterladen können, er muss sich mit den unterschiedlichen Medien bestens auskennen etc. Hiervor können und dürfen wir uns nicht verstecken. Allerdings sollte nicht vergessen werden, daß wir mit dem geschriebenen Buch immer noch und auch noch einige Zeit unseren Haupt-Umsatz erzielen.

5. Auch die Vermittlung der Bedeutung der Sozialkompetenz in enger Verbindung v.a. zur Service-Kompetenz muß eine Rolle spielen. In Zeiten, in denen immer weniger Mitarbeiter zu immer extremeren Zeiten auf immer größerer Fläche arbeiten, und dabei Kunden gegenübertreten, die zu Hause in immer kleineren Familien und unzähligen Stunden täglich vor PC und Fernseher bzw. anderen elektronischen Medien sowie im Beruf bei immer mehr Fluktuation immer stärker vereinsamen, müssen sich gerade die Buchhändler ihrer Rolle als „Sozialpartner“ bewußt sein und auch entsprechend auftreten. Hierbei spielt v.a. die Kommunikationskompetenz eine große Rolle.

Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist auch das eigene Auftreten bzw. die Wahrnehmung von anderen. Osiander entwickelt seine Auszubildenden in diesem Bereich mit dem Theaterprojekt weiter. Es sollte allerdings nicht nur Aufgabe der einzelnen Buchhandlungen sein, sich diesem Thema anzunehmen, sondern dies sollte auch von der Buchhändlerschule forciert werden.

6. Als letzter wichtiger Bereich muß die Methodenkompetenz genannt werden. Auszubildende müssen wissen: „wie helfe ich mir weiter?“, „wo finde ich Lösungen?“, sie müssen sich auf Neues einlassen, und sie müssen lernen, organisiert und strukturiert zu arbeiten und auf Herausforderungen/Aufgaben/Anweisungen einzugehen. Auch hier sollte die Buchhändlerschule zumindest die theoretischen Grundlagen mit liefern.

Diese  6 Bereiche stellen die wesentlichen Bereiche dar, in denen ein Auszubildender heute an der Schule UND  im Betrieb geschult werden muss. Aufgrund der oben beschriebenen unterschiedlichen Auffassung v.a. bei Filialisten darüber, wie stark und in welcher Form Mitarbeiter heutzutage im Buchhandel überhaupt noch ausgebildet sein müssen, kommt auf die Buchhändlerschule keine leichte Aufgabe zu, weil die Anforderungen zum Teil unterschiedlich sind.  Zudem herrscht heutzutage immer noch ein großer Unterschied zwischen „professionell wirtschaftlichem“ Buchhandel, wie er von  den meisten Filialisten betrieben wird, und „traditionellem“ Buchhandel, bei dem Wirtschaftlichkeit oft noch ein Fremdwort ist, wie er von vielen kleineren Buchhandlungen betrieben wird. Beide habe ihre Existenzberechtigung, aber eben zum Teil völlig unterschiedliche Anforderungen an die Mitarbeiter.

Dem offenen Brief der Auszubildenden an Monika Kolb-Klausch, unter deren Initiatoren ein Osiander-Auszubildender war, ist eine tolle Sache, weil es für wichtig ist, dass Auszubildende ihre Meinung sagen und in den Dialog gehen. In zwei Punkten muss man aber widersprechen:

a) Dass es bei Veränderungen bei den Ausbildungsinhalten und grundlegenden Veränderungen an der Schule auch zu personellen Veränderungen kommen mußte und wahrscheinlich auch noch kommen muss, ist logisch. Auch bei Osiander, ebenso wie bei vielen anderen Wirtschaftsunternehmen, hat es in den vergangenen Jahren personelle Veränderungen gegeben, weil das Unternehmen sich verändern mußte, und nicht alle Mitarbeiter dazu bereit oder in der Lage waren. Hier geht es um die Zukunftsfähigkeit der Buchhändlerschule sowie der Branche, und da bedarf es, auch wenn es im Einzelfall hart sein kann, ggf. Veränderungen.

b) Ebenso steht und fällt unsere einzigartige Buchhandelslandschaft nicht nur mit der Preisbindung und der Wertschätzung des Kulturgutes Buch. Wie zu Beginn unter „Wirtschaftlichem Handeln“ erläutert sehe ich eine Zukunft für unsere Branche und v.a. Buchhandlungen nur, wenn wir das Wirtschaftliche Handeln in den Vordergrund stellen. Denn gerade die Buchhandlungen sind in den letzten Jahren pleite gegangen oder mußten übernommen worden, die es trotz Preisbindung und hervorragend literarisch ausgebildeten Mitarbeitern, die sich dem Kulturgut Buch verschrieben hatten, nicht geschafft hatten, Gewinne zu erzielen. Das sollte uns doch Lehre genug sein.