Susanne Martin ist BücherFrau des Jahres 2018

"Mit Büchern zu handeln ist ein Privileg"

12. Oktober 2018
von Börsenblatt
Buchhändlerin Susanne Martin wird als BücherFrau des Jahres geehrt – die Leseinsel der unabhängigen Verlage in Frankfurt ist gar nicht groß genug, um allen Gratulanten Platz zu bieten. Hier kommt ihre Dankesrede.

Laudatorin Angelika Rausch (Bereichsleiterin IT-Katalog bei KNV) rollte Susanne Martin einen roten Teppich aus. Martin finde für jedes auch noch so vertrackte Problem stets eine Lösung, beschrieb sie die Buchhändlerin – sie sei eine Pionierin auf vielen Wegen, dabei behutsam, aufrichtig, zuverlässig: eine pragmatische Strippenzieherin, ein Vorbild.

So, wie Rausch die BücherFrau des Jahres 2018 charakterisiert, haben sie wohl viele kennengelernt – und viele kamen gestern auch zur Preisverleihung. Darunter Verlegerin Ulrika Helmer, Kollege Dieter Dausien (Buchhandlung am Freiheitsplatz, Hanau) und Betriebsberater Joachim Merzbach. Hier ist die Dankesrede von Susanne Martin, im Wortlaut:

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Liebe Bücherfrauen,
liebe Wegbegleiter*innen und Freund*innen,
liebe Anwesende,

zunächst danke ich Dir Angelika, für Deine Worte! Ich wusste schon, warum ich gerade Dich als Laudatorin gewählt habe! Und dann danke ich den BücherFrauen für diese Auszeichnung. Ich freue mich sehr darüber! Ich bin aber auch ein bisschen erschrocken, als ich die Pressemeldung las. Steht da doch drin, dass ich für mein "vorläufiges Lebenswerk" ausgezeichnet werde. Mein erster Gedanke war: "Huch! Bin ich doch tatsächlich schon so alt?"

Und dann habe ich mich gefragt, was IST eigentlich ein Lebenswerk, denn dieser Begriff wäre mir im Zusammenhang mit meiner Person nie eingefallen. Was macht also die Buchhändlerin? Na klar, sie schaut im Duden nach. Und da steht als Bedeutung für das Wort Lebenswerk: schöpferische Leistung eines Lebens.

Ich habe dann begonnen, darüber nachzudenken, worauf ich denn nun diese schöpferische Leistung beziehen soll – auf mein ganzes Leben oder eher auf mein Berufsleben, auf mein Engagement für die BücherFrauen?

Bei Leistung denke ich eher an mein Berufsleben – ich zitiere noch einmal den Duden, in dem Leistung als „unternommene Anstrengung und das erzielte Ergebnis“ definiert wird. Das hört sich ziemlich streng an und ich bin froh, dass das Wort Lebenswerk auch den schöpferischen Aspekt beinhaltet. Denn das ist es, was mir in meinen knapp 42 Jahren im Buchhandel immer Freude gemacht hat: Schöpferisch sein bedeutete für mich, meinen Beruf kreativ auszuüben und Gestaltungsspielräume zu nutzen oder sie mir zu schaffen.

Bücher sind dazu natürlich die ideale Materie und mit ihnen zu handeln, sich für sie einzusetzen und vor allem, tagtäglich von ihnen umgeben zu sein, ist ein Privileg. Das wurde mir ganz besonders bewusst, als ich Ende Februar in meiner völlig leeren Buchhandlung stand und realisierte, dass letzteres, also das tägliche Umgebensein von Büchern, nun nach vier Jahrzehnten vorbei ist! (Und nein, der Bücherschrank zu Hause ist, auch wenn er voll ist, nicht das Gleiche!)

Zu Beginn meiner Lehrzeit 1976 standen sie noch eingepackt in den Verkaufsregalen, die vielen Bücher, oft gestapelt, weil nicht genug Platz war und sorgfältig beschriftet von den Azubis. Ein Alptraum für jede Ladengestalterin oder Dekorateurin. Das Gestalten von ansprechenden Thementischen oder gar Themenwelten war damals noch kein Thema. Vielleicht liegt es daran, dass ich in meinem weiteren Berufsleben diesen Anteil der Kreativität und des Gestaltens immer gerne an dafür begabte Menschen delegierte.

Ich konzentrierte mich lieber auf das, was in den Büchern drin stand und wenn mich welche begeisterten, diese Begeisterung weiterzugeben. Dies tat ich natürlich vor allem in der Buchhandlung im Gespräch mit den Kundinnen und Kunden. Im Laufe der Jahre als Inhaberin der Schiller Buchhandlung kamen aber auch Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten dazu und Aktionen, die immer zum Ziel hatten, Menschen für ein Buch oder für Bücher zu einem Thema zu begeistern.

Ganz analog verschickten wir aber auch Briefe und Weihnachtskataloge. Wie erfolgreich solche analogen Mailings sein konnten, hatte ich in den 80er Jahren bei Lindemanns Buchhandlung gelernt. Dort wurden für die Fotobuchhandlung mehrmals im Jahr mit großem Erfolg eigens erstellte Kataloge oder Sonderangebotslisten verschickt.

Und irgendwann, kurz nachdem ich 1995 die Schiller Buchhandlung übernommen hatte begann das, was die BücherFrauen in ihrer Begründung zu meiner Wahl ebenfalls nennen: Das Internet brach in die Buchbranche ein und ich wurde, ohne das jemals geplant zu haben, zur digitalen Vorreiterin im analogen Buchhandel - so steht es jedenfalls im Pressetext.

Wie genau das nun zugegangen ist, kann ich heute gar nicht mehr sagen – ich weiß nur noch, dass ich spürte, dass sich da etwas Wichtiges tut. Und deshalb nahm ich sofort die Gelegenheit wahr, als Koch, Neff und Oetinger 1996 seinen Kundinnen anbot, sich an buchkatalog.de anzudocken und sehr schnell hatten wir auch eine eigene kleine Homepage. Später kamen dann die neuen Kommunikationsmöglichkeiten der social media dazu.

Mich hat dabei nie die technische Seite interessiert, ich musste halt damit umgehen können. Ausschlaggebend war für mich, das neue Medium zu nutzen, um meine Buchhandlung im Netz abzubilden und mit eigenen Buchtipps, ergänzenden Newslettern, Podcasts, später auch Tweets und Posts meine Begeisterung für Bücher auf neuen, zusätzlichen Kanälen in die Welt zu tragen und damit auch meine Kund*innen zu erreichen. Und, das ist ja das, was die sozialen Netzwerke so interessant macht: Man bekommt Reaktionen auf das, was man erzählt, sie sind also eine Erweiterung des Gesprächs im Laden hinein in den digitalen Raum.

Dass ich eine der ersten twitternden Buchhändlerinnen war und mich plötzlich in der Rolle wiederfand, Kolleg*innen in Vorträgen und Workshops Lust auf diese neue Welt zu machen hat mich zuerst überrascht. Aber ich habe versucht, so wie ich es für die Bücher tat, meine Überzeugung von der Wichtigkeit dieser Kommunikationswege und meinen Spaß daran in die Buchhandlungen zu tragen.

Vielleicht liegt es auch an den Bücherfrauen, dass ich so schnell auf diesen Zug aufgesprungen bin. Denn bei ihnen habe ich gelernt, wie bereichernd Vernetzung sein kann. Denn das, was heute viele über Facebook tun, sich vernetzen und austauschen, das machen die BücherFrauen schon seit Anfang der 90er Jahre ganz analog, face to face. Ich habe von dieser Vernetzung sehr profitiert, ich habe gelernt, wie wichtig es ist, über den Tellerrand des eigenen Branchenteils hinauszuschauen, ich habe interessante Gespräche und Diskussionen mit Frauen aus Verlagen, Bibliotheken oder mitt selbständigen Frauen geführt. Daraus entstanden auch Freundschaften, die bis heute halten. Und ich habe gelernt, dass ich selbst am meisten von dem Netzwerk profitiere, wenn ich mich in ihm engagiere.

So konnte ich auch bei den BücherFrauen gestalten und Impulse setzen: Frauke Ehlers und ich waren das erste Städtesprecherinnentandem, die Vollversammlung, die wir 1995 ziemlich kurzfristig in Stuttgart organisieren mussten, war die erste, die in einem Tagungszentrum stattfand und als es irgendwann in den 2000er Jahren zu einem heftigen Disput über die Grenzen des Ehrenamtes kam, haben Frauke und ich beschlossen, anstatt auszutreten, lieber eine Strategiegruppe zu initiieren, die sich mit Perspektiven für das Netzwerk beschäftigte. Nicht zur Freude des damaligen Vorstands, für den das eine echte Zumutung war, aber im Nachhinein besehen war es keine schlechte Idee.

Mein Rollenwechsel von der Angestellten, die ich immerhin 19 Jahre war, hin zur Unternehmerin und Chefin fiel mir sehr schwer. Und bei den BücherFrauen traf ich Frauen, die das Thema „Führung“ ebenfalls beschäftigte. Wir stellten immer wieder fest, dass uns ein geeignetes Forum fehlt. Deshalb habe ich, also durchaus eigennützig, versucht, eine AG Führungsfrauen im Netzwerk zu etablieren. Es bildete sich eine kleine Gruppe Frauen, die sich seit 18 Jahren regelmäßig einmal im Jahr trifft, 16 Jahre lang unter der Leitung von der Coachin Elisabeth Hillen. Diese Gruppe war für mich enorm wichtig für meine Entwicklung als Inhaberin und Führungskraft und sie ist es auch heute noch, denn auch der Veränderungsprozess jetzt will gestaltet sein. Wir lernen immer noch viel voneinander und ich kann sagen, dass ich ohne diese Gruppe sicher manche Probleme und Krisen nicht so hätte bewältigen können, wie ich es tat.

Mein Leben als Buchhändlerin und mein Leben als BücherFrau war, wie ich im Rückblick und nachdenken über mein Lebenswerk feststellen durfte, anstrengend, aber auch kreativ und schöpferisch. Bleibt noch die Frage nach dem erzielten Ergebnis, das ja am Ende der unternommen Anstrengung erreicht sein soll.

Hier muss ich gestehen, daß ich mit dem erzielen von Ergebnissen, genaugenommen mit Zielen, so meine Schwierigkeiten habe und schon immer hatte. Manches in meinem Lebenswerk mag so wirken, als ob ich es vollkommen zielgerichtet und ergebnisorientiert angegangen wäre. Das stimmt aber nur in den seltensten Fällen.

Mein Ziel war es zum Beispiel nie, eine eigene Buchhandlung zu haben. Ich erinnere mich noch gut, als bei der Eröffnungsfeier ein Gast zu mir sagte, für mich müsse doch jetzt ein Traum in Erfüllung gegangen sein. Er war etwas irritiert, als ich anmerkte, das sei definitiv nicht der Fall. Im Gegenteil – ich habe mir meine Entscheidung, die Schiller Buchhandlung zu übernehmen, nicht leicht gemacht.  Als ich sie dann hatte, wollte ich sie natürlich erfolgreich führen.

Aber was genau ist erfolgreich? In unserer Gesellschaft spielt der wirtschaftliche Erfolg eine große Rolle – den kann ich für mich und die Schiller Buchhandlung nicht unbedingt reklamieren. Es gab viele Hürden, die überwunden werden mussten, die viel Kraft kosteten und reich bin ich leider auch nicht geworden.

Aber es gab auch enorm viel Anerkennung von unseren Kund*innen. Immer wieder wurde meinen Mitarbeiterinnen und mir signalisiert, wie gerne man zu uns kommt, wie schön man unseren Laden findet und wie sehr man unsere Beratung und die Gespräche schätzt. Ganz besonders erlebten wir das in den letzten Geschäftsmonaten, als bekannt wurde, dass wir schließen. Das hat mich mit vielem versöhnt, denn das war etwas, das ich mir gemeinsam mit meinem Team auf die Fahnen heften kann: Die Buchhandlung war ein Erfolg als Treffpunkt und Ort der Begegnung, als Raum, in dem über Bücher gesprochen wurde.

Und letztendlich war das auch das, was ich immer erreichen wollte: Ich wollte für eine Art des Buchhandels stehen, in dem die Menschen, die eine Buchhandlung betreten keine Schwellenangst haben sondern in einen Raum kommen, in dem sie sich willkommen geheißen und wohl fühlen.

Ich kann also abschließend sagen, dass ich, auch wenn ich nicht wahnsinnig zielgerichtet unterwegs war, ein Ergebnis erzielt habe, das mir wichtig war und mit dem ich zufrieden bin. Entscheidend für mich war jedoch immer der Weg, der zum Ziel oder Ergebnis geführt hat.

Das ist ein wenig so wie beim Bergwandern, das ich ja, wie viele wissen, mit großer Freude betreibe: Am Ende des Weges lockt ein Gipfel (oder, inzwischen mit meinen rheumatischen Gelenken eine Hütte mit lecker Essen). Aber schon auf dem Weg dorthin gibt es etwas zu erleben. Herrliche Ausblicke, Tiere, die einer über den Weg laufen aber immer wieder auch das Fluchen, warum man sich das eigentlich antut oder die Unsicherheit, ob man denn noch auf dem richtigen Pfad unterwegs ist oder vielleicht nicht doch lieber links oder rechts abgebogen wäre. Immer wieder sind wir auch, nachdem wir ein Ziel erreicht hatten, noch weitergegangen, haben eine Abzweigung genommen und freuten uns an dem, was uns da begegnete.

So ist es auch mit meinem Lebenswerk: Das Spannende war der Weg, auf dem ich unterwegs war. Ich habe mir an manchen Weggabelungen überlegt, welche Richtung ich nehmen soll und habe mich in der Regel für die Richtung entschieden, die mir interessanter erschien und von der ich das Gefühl hatte, hier eröffnen sich mir Gestaltungsspielräume. Und wer weiß, wohin mein Weg mich noch führen wird – die nächste Weggabelung kommt bestimmt!

Und so danke ich "meinem" Netzwerk der BücherFrauen – für diese tolle Auszeichnung und die Anerkennung, die aus ihr spricht. Aber auch dafür, dass ihr mich dazu gezwungen habt, diese Rede zu schreiben – ich habe mich mit dem Begriff Lebenswerk versöhnt!