Was die Wissenschaft über Bücherpreise weiß

Die Masse macht's nicht mehr

17. Juni 2015
von Börsenblatt
Buchhändler wünschen sich höhere Bücherpreise, doch Verlage zögern: Ein Gespräch mit Randolf Dieckmann, Betriebswirt und Professor für Buchwissenschaft in Leipzig, – über die Interessen der Käufer, alte Gewohnheiten und fehlende Deckungsbeiträge.

Verlage heben Preise nur vorsichtig an, bewegen sich dabei in der Regel sogar noch unterhalb der Inflationsrate. Woran liegt das?
Sie gehen davon aus, dass höhere Preise der Auflage schaden und wollen das möglichst vermeiden. Vorsichtig zu sein, ist also eher ein Phänomen der größeren Häuser. 

Denken Sie, das Zögern ist berechtigt?
Aus meiner Sicht nicht. Ich denke, dass die Preise für Buchkäufer ohnehin nur bedingt wichtig sind, in jedem Fall unwichtiger als Inhalt und Ausstattung.   

Haben Sie dafür Belege?
Weil so viele Faktoren gleichzeitig den Kaufprozess beeinflussen, lässt sich kaum akkurat feststellen, ob und inwiefern der Preis in einer bestimmten Situation tatsächlich eine Rolle spielt. Ich beziehe in diesem Punkt mein Wissen aus Beobachtungen und Gesprächen mit Leuten aus der Branche. Wissenschaftlich untersucht wurde aber bereits etwas anderes in diesem Kontext: Preisschwellen, wie sie auch in der Buchbranche immer mal wieder Thema sind, gibt es nicht.

Nicht?
Sie hören richtig. Die Existenz von Preisschwellen ist noch nie empirisch bestätigt worden, dabei gibt es dazu seit 50 Jahren Untersuchungen.

Was verstehen Sie unter Preisschwellen?
Preisschwellen sind Punkte auf einer Skala, ab denen Kunden ein Produkt als zu teuer einstufen und ablehnen. 10 Euro für Taschenbücher beziehungsweise 20 Euro für Hardcover: Werden diese Preispunkte erreicht, bremsen sich Käufer vielleicht manchmal – aber das auch nur, weil hier eine Art Gewöhnungseffekt greift.

Wie lange würde es dauern, bis sich Buchkäufer umgewöhnen?
Lange. Ein über viele Jahre trainierter Reflex lässt sich nicht kurzfristig ablösen.

Beobachten Sie bei Verlagen die Neigung, hier etwas zu riskieren – so, wie es sich Buchhändler wünschen?
Nur in Einzelfällen, etwa bei Bastei Lübbe.  

Vor rund sieben Jahren haben erste Verlage, darunter auch Bastei Lübbe, damit begonnen, 99-Cent-Preise auf ihre Bücher aufzudrucken. Hat sich damit der Blick von Käufern auf die Buchbranche verändert? 
Da müsste ich schätzen. In jedem Fall haben die 99-Cent-Preise innerhalb der Branche einiges ausgelöst, vor allem Debatten. Dabei nutzen Verlage hier lediglich einen bestimmten preispsychologischen Effekt aus: Die erste Zahl wird immer am stärksten wahrgenommen. Ich habe nie begriffen, warum Buchhändler lieber 9,90 Euro nehmen als 9,99 Euro. Damit erhöht sich bei jedem verkauften Buch der Deckungsbeitrag. Verlage hat das motiviert: Sie haben damit den Preisrahmen ausgeschöpft - ohne die nächste, möglicherweise riskante, Preishürde zu überschreiten. Ich halte das für vernünftig.

Spielt im Kontext der Preisfindung für gedruckte Bücher das E-Book eine Rolle? 
Allenfalls eine Nebenrolle. Was ich eher wahrnehme ist, dass Verlage bei der Preiskalkulation für E-Books vor ganz neue Probleme gestellt werden. Auf einmal sagen Kunden, wir wollen nicht mehr so viel zahlen – bei Printtiteln haben sie das nie gemacht. Möglicherweise erklärt das auch eine andere Beobachtung: Nämlich die, dass die Preisdifferenz bei Printtiteln und E-Books sehr unterschiedlich ist. Ich analysiere regelmäßig die Bewegungen auf den Bestsellerlisten, vergleiche dabei auch die Preise. Mit dem Ergebnis: Nur, wenn man den Durchschnitt betrachtet, liegt der Preisabstand relativ konstant bei 20 Prozent – im Einzelfall zeigt sich ein großes Durcheinander. Da liegen die Preisunterschiede zwischen null und 40 Prozent.

Die Entwicklung der Bücherpreise hinkt der Inflation hinterher. Händler fordern Verlage jetzt noch einmal zum Nachbessern auf. Geben Sie ihnen recht? 
Die Forderung ist für mich gut nachvollziehbar. Zu Einbrüchen beim Absatz, wenn das die Sorge der Verlage sein sollte, dürfte es nicht kommen. Es ist nicht nötig, die Preise niedrig zu halten, um die Nachfrage anzukurbeln.

Wirkt die Formel „die Masse machts“ nicht mehr?  
Der Markt dreht sich weiter – auch die Preiselastizität ändert sich. Mir scheint, dass sich der Buchhandel heute auf einem Abschnitt der Nachfrage bewegt, wo Preisreduzierungen keine Auswirkungen mehr auf den Absatz haben. Im Gegenteil: Der Absatz sinkt, der Umsatz und der Deckungsbeitrag auch. Ohne die Preise anzuheben, wird der Umsatz also nicht steigen. Mag sein, dass ein paar Käufer abspringen, weil ihnen Bücher dann zu teuer sind - aber nicht die Mehrheit.

Angenommen, Ihnen würde morgen ein Verlag gehören: Wie hoch würden Sie bei den Preisen gehen?
Ich würde, moderat natürlich, die Preise sukzessive erhöhen, analog zur allgemeinen Preisentwicklung.

Interview: Tamara Weise


Randolf Dieckmann
ist Professor für Controlling und Unternehmensführung in der Medienwirtschaft (Studiengang Buchhandel/Verlagswirtschaft) an der HTWK Leipzig.