Denkanstoß

Innovation? Fehlanzeige

3. Juli 2015
von Börsenblatt
Höchste Zeit, dass sich die Buchbranche um qualifizierte Fachkräfte aus IT und Wirtschaftswissenschaften bemüht, um die eigene Innovationskraft anzukurbeln. Erfolgsbeispiele aus anderen Branchen zeigen, wie Innovationen neue Märkte begründen können.

9,32 Mrd. Euro setzte die deutsche Buchbranche im Jahr 2014 um – ein Niveau, auf dem der Markt seit vielen Jahren stagniert. Es bedarf also dringend neuer Ansätze, Wertschöpfung zu generieren. Doch alle vermeintlichen Innovationen, die der Buchmarkt in den vergangenen Jahren hervorbrachte, sind genau genommen nicht als solche zu bezeichnen. Wenn ergänzend zu Print auch e-Books verkauft werden oder Autoren vom traditionellen Verlag zum Self-Publishing wechseln, dann findet doch lediglich eine Umverteilung von einem Vertriebskanal zum nächsten und von einer Veröffentlichungsform zur anderen statt. Vielmehr wären neue, ungewöhnliche und mutige Marketingkonzepte und Präsentationsformen von Nöten, um beispielsweise Nicht-Leser als Kunden zu gewinnen und damit dem Markt Wachstum zu bescheren.

Neue Wachstumsfelder erschließen

Ein Blick auf andere Branchen zeigt, dass kluge und innovative Geschäftsideen neue Marktfelder begründen können. Man nehme das Beispiel Car Sharing: Ein Geschäftsfeld, das die Automobilkonzerne in den vergangenen Jahren sukzessive für sich erschlossen haben. Mittlerweile gibt es über eine Million Carsharer in Deutschland (Quelle: www.carsharing-experten.de). Zwar sind dies erst wenige Prozent der Führerschein-Besitzer in Deutschland. Doch wenn etwa Dienste wie DriveNow und car2go ihre Nutzerzahlen innerhalb eines Jahres fast verdoppeln, lässt sich mit Fug und Recht von einem stark und schnell wachsenden Markt sprechen, der in den kommenden Jahren einiges Potenzial bieten wird. Entsprechend groß ist das Vertrauen der Investoren in diesen noch jungen Markt neuer Mobilitätsangebote. So konnte sich in einer vermeintlichen starren Branche wie dem Taxiwesen das wohl derzeit teuerste Start-Up der Welt etablieren: Auf einen Gesamtwert von 50 Mrd. Dollar wird der Fahrdienst-Vermittler Uber derzeit geschätzt – das Fünffache dessen, was die deutsche Buchbranche insgesamt in einem Jahr erwirtschaftet. Sichtbar schlecht werden im Vergleich mit solchen Start-Ups die Zukunftsprognosen von Verlagen bewertet, wie sich an einem Vergleich der Kursentwicklung ablesen lässt. Stieg etwa der Unternehmenswert des Fahrdienstes Uber innerhalb von zwei Jahren um ganze 1.329 Prozent, hat sich derjenige des börsennotierten Publikumsverlags Bastei Lübbe im selben Zeitraum kein bisschen erhöht.

Bei Young Professionals unbeliebt

Unter welchen Voraussetzungen ist es möglich, die Innovationsbereitschaft und -fähigkeit einer Branche zu erhöhen? Einer der Motoren dafür sind Quereinsteiger und talentierte Nachwuchskräfte, die etablierte Branchenstandards hinterfragen bzw. mit neuen konzeptionellen Ansätzen aus starren Denkmustern befreien. Gut ausgebildete Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker zieht es allerdings nicht in die Verlagsbranche, sondern zu Firmen wie Apple, Microsoft, Sony, Ernst & Young oder BMW. Das ermittelte gerade wieder das Beratungsunternehmen Universum, das jedes Jahr junge Berufstätige aus verschiedenen Disziplinen zu ihren Traum-Arbeitgebern befragt. Verwunderlich sind diese Ergebnisse nicht, angesichts des attraktiven Gehaltsniveaus, die diese Branchen den Absolventen bieten. 80.400 Dollar im Jahr verdient allein ein Praktikant bei Apple, wie das Magazin Business Insider kürzlich berichtete – fast das Fünffache dessen, was laut Angaben von gehalt.de ein Verlagsvolontär hierzulande erhält.

Weg vom Inhaltsdenken

Das Pfund, mit dem die Buchbranche gegenüber den Lesern wuchern kann, sind gute, spannende, lehrreiche oder humorvolle Inhalte. Junge Talente für das eigene Unternehmen werden aber nicht über Inhalte gewonnen. Firmen wie Nestlé, Siemens oder IBM gewinnen gut ausgebildeten Nachwuchs mit attraktiver Vergütung, starken Marken, guten Aufstiegschancen und einer interessanten Bandbreite der beruflichen Tätigkeiten. Davon abgesehen ist eine Affinität zum Produkt selbst keine zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche Vermarktung desselben. Wer etwa als Vertriebsmanager Creme oder Waschmittel an den Mann bringen will, muss nicht deren exakte Herstellungsweise und Zusammensetzung kennen, sondern in erster Linie intelligente Werbe- und Vertriebsstrategien für das Produkt entwickeln. Auch die Buchbranche lebt nur dann von starken Inhalten, wenn diese auch verkauft werden.

Nicht billig, sondern preiswert

Wenn eine geringe Innovationsbereitschaft dauerhaft stagnierende Umsätze bedingt, wird es kaum möglich sein, neue Talente mit entsprechenden monetären Anreizen als motivierte und leistungsfähige Arbeitnehmer zu gewinnen. Wie kann sich die Buchbranche aus diesem Teufelskreis befreien? Ein erster Ansatz könnte sein, das im Markt etablierte Preisgefüge grundlegend zu hinterfragen mit der Maxime, Inhalte nicht billig, sondern buchstäblich preiswert zu verkaufen. Muss ein e-Book 4,99 Euro und ein Taschenbuch 9,90 Euro kosten? Oder sind auch ganz andere Preisschwellen beim Leser durchsetzbar? Welchen Stellenwert hat der Preis wirklich als Kaufkriterium für den Endkunden? Welche Leistung ist nötig, um höhere Preise durchsetzen zu können?

Während sich Marketing und Vertrieb diesen Fragen widmen sollten, müssten in personalpolitischer Hinsicht die Stellschrauben definiert werden, die eine gesunde Fluktuation – also kontinuierlichen, gut ausgebildeten Nachwuchs – in der Buchbranche möglich machen. Welche Incentivierungsmodelle lassen sich schaffen, um Nachwuchskräfte zu werben? In anderen Branchen sind unterschiedliche Modelle der Beteiligung von Mitarbeitern am Umsatz und Erfolg eines Unternehmens oder am Unternehmen selbst gang und gäbe. Um noch einmal Apple als Beispiel anzuführen: Dort haben die Mitarbeiter im Rahmen des »employee stock purchase plans« die Option, auf einen Teil ihres Gehalts zu verzichten und stattdessen zu einem Preis unter Marktwert Aktienanteile am Unternehmen zu erwerben. Jeder Mitarbeiter hat also die Möglichkeit, über die eigene Leistung den Unternehmenserfolg zu steigern und daran zu partizipieren.

Im Verlagswesen werden solche Prämienmodelle bisher kaum bis gar nicht evaluiert. Unter welchen Voraussetzungen ist es möglich, Mitarbeiter zu Unternehmern werden zu lassen? Welche leistungsabhängigen, variablen Gehaltsbestandteile können definiert werden? Selbst wenn es nicht für jeden dieser Aspekte einen unmittelbaren Lösungsansatz gibt, ist es höchste Zeit, diese Fragen zu stellen und die bisherigen gedanklichen Grenzen einfach einmal zu sprengen.