re:publica

Die Für-Alle-Konferenz

7. Mai 2019
von Börsenblatt
Die re:publica hat sich in ihren 13 Jahren von einem Bloggertreffen zur größten europäischen Konferenz der Netzgemeinde entwickelt und steht heute als breit aufgestelltes Diskursforum da, auf dem der Kultur- und Technologiewandel in einer immer stärker digitalisierten Gesellschaft alljährlich kritisch vermessen wird. Sie hat den Kreis der TeilnehmerInnen nahezu größtmöglich erweitert und ist zu einer impulsgebenden Für-alle-Konferenz geworden.

Kein Wunder, dass sich nun auch Politiker aus allen Ebenen auf der re:publica zu drängeln beginnen. Aus Berlin der Regierende Bürgermeister und sein Kultursenator, aus der Bundespolitik die MinisterInnen Giffey, Heil, Scholz, Schulze nebst einigen StaatsekretärInnen, die Landeschefin Dreyer und zur Eröffnung erstmals der deutsche Bundespräsident. Aus Brüssel kamen Margrethe Vestager und Axel Voss. Auffällig an dieser Aufzählung ist die sozialdemokratische Überzahl der Politprominenz. Und das, obwohl die re:publica nun wirklich alle relevanten gesellschaftlichen Themen diskutiert. Also auch die Themen, die in die Ressorts christdemokrtatischer PolitikerInnen fallen.

Vom Klimawandel in seiner doppelten Bedeutung

Der Klimawandel wurde auf einer ganzen Reihe der insgesamt 500 Sessions auf 27 Bühnen mit 1.000 Speakern thematisiert – angefangen von Sascha Lobos alljährlichen Rede zur digitalen Lage der Nation bis hin zu den Veranstaltungen auf der TINCOM, also der Konferenz für junge Menschen, die erstmals auf der re:publica stattfand. Luisa Neubauer und Jakob Blasel, die Gesichter der Friday for Future-Bewegung in Deutschland, berichteten dort in einer völlig überfüllten Session über die Entwicklung der Bewegung von ihrer ersten Demonstration bis heute und sie endeten mit einem Hinweis auf den weltweiten Demonstrationstag der Bewegung am 24. Mai im Vorfeld der Wahl am 26. Mai, die sie nicht als Europawahl sondern als Klimawahl bezeichneten. Denn dieses zu wählende Europaparlament sei das letzte, das noch eine Klimakatastrophe verhindern könne. Wenn in den nächsten Jahren kein grundlegender Wandel in der Klimapolitik stattfände, wäre die Zukunft der heutigen Jugend wohl verspielt.

In der gleich anschließenden Session belegte Gregor Hagedorn (Berliner Museum für Naturkunde), einer der Mitinitiatoren der internationalen Bewegung Scientists for Future, mit vielen wissenschaftlichen Fakten eindrücklich, dass es sich bei der Einschätzung der jungen Schüler-Demonstranten keineswegs um jugendlichen Alarmismus, sondern um faktenbasierten und dringend notwendigen Protest handelt.

Schon auf den letzten Veranstaltungen der re:publica wurde deutlich, dass sich in der Einschätzung der globalen digitalen Entwicklung ein geistiger Klimawandel ereignet hat. So ist man sich heute weitgehend darüber einig, dass die Monopolisierung und Kommerzialisierung der Netzwelt eine fundamentale Bedrohung für das freie und demokratische Netz darstellt, und dass es große Anstrengungen erfordert, sich das Netz zurückzuerobern.

Die sichtlich gut gelaunte EU-Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager konnte sich in ihrer vielbeachteten Session deshalb für ihre Forderungen der Zustimmung des Auditoriums weitgehend sicher sein. Als die Sprache auf Amazon kam, griff Vestager zu einem Bild aus dem Sport. Man könne eben nicht gleichzeitig Schiedsrichter und Mitspieler sein. Amazon sollte also nicht die Möglichkeit nutzen können, die Kundendaten der Unternehmen auszuwerten, die auf dem Marktplatz ihre Waren anbieten, um denen dann anschließend mit eigenen Angeboten Konkurrenz zu machen. Ganz abgesehen davon, dass Amazon durch entsprechende Rankings den eigenen Angeboten maßgebliche Vorteile in der Wahrnehmung verschafft. Sie ging sogar so weit, als allerletzte Option den Versuch einer Zerschlagung des Unternehmens nicht auszuschließen.

Eine heterogene Vielzahl der Stimmen

Kaum nachvollziehbar ist der Vorwurf an die re:publica, auf ihr erlägen »auch jene, die sich als Verteidiger des demokratischen Diskurses im Digitalen begreifen, dem Reiz des Rückzugs in die Echokammer«, wie Karin Janker in der Süddeutschen kommentierte. Die re:publica wäre »zu einer Wohlfühlveranstaltung geworden, während ihr Beitrag zur politischen Kontroverse gegen Null geht.« Die Vielzahl der unterschiedlichsten Stimmen und Meinungen, Themen und Diskurse belegen das Gegenteil. Besonders deutlich wurde das in der optimistisch mit Lass uns reden überschriebenen Session zur Urheberrechtsreform der Europäischen Union, in der Axel Voss und Markus Beckendahl aufeinander trafen.

Die weise Choreographie der Veranstaltung sah vor, dass beide gemeinsam in der völlig überfüllten Stage 2 auf die Bühne traten – sie wurden dann auch mit freundlichem Applaus begrüßt. Schon im Vorfeld der Veranstaltung wurde gemunkelt, dass es mutig von Axel Voss sei, sich in die Höhle des Löwen zu begeben. Immerhin hatte der Berichterstatter der Reform und zu deren »Vater« hochstilisierte Politiker viele Haßtiraden über sich ergehen lassen müssen. Doch das Auditorium folgte dem Disput der beiden mit höchster Aufmerksamkeit. In einem Fußballstadium wird der Wettstreit zweier Mannschaften anders ausgetragen.

Das Ergebnis des Gesprächs der beiden kann kurz zusammengefasst werden: Es gab keinerlei Annäherung, die unterschiedlichen Standpunkte blieben unverbunden nebeneinander stehen. Wenn man ein Urheberrecht überhaupt bejahe, könne man es im digitalen Zeitalter nicht anders ausgestalten – so Axel Voss. Markus Beckedahl hielt dagegen, die Reform übersähe beispielsweise die Tatsache, dass im digitalen Zeitalter alle Urheber geworden wären und machte auf viele konkrete Probleme aufmerksam, die er durch die Reform nicht befriedigend geregelt sehe. Axel Voss bestand immer wieder darauf, dass man es sinnvoll nicht anders hätte regeln können und verwies darauf, dass man nun ja die Umsetzungen der Reform in die nationalen Regelungen abwarten müsse. Dabei gebe es ja Handlungsspielräume und die Möglichkeit nachzujustieren. Die Unmutsäußerungen des Publikums über die wohl absichtlich unkonkreten Äußerungen des Politikers wurden zunehmend vernehmbarer, hielten sich jedoch in Grenzen.

Als die Wettbewerbskommissarin Margreth Vestager am Schluß ihrer Session vom Publikum gefragt wurde, wie sie die Europäische Urheberrechtsreform sehe, antwortete sie im Kern nicht anders als Axel Voss. Wenn man mit dem Content anderer sehr viel Geld verdiene, solle man diese Urheber auch angemessen bezahlen. Ihre Äußerung zu diesem Thema blieb unbestritten stehen.

Fazit

Mit dem vorgeschalteten zweitägigen Netztfest und der TINCOM kam die re:publica 2019 (nach Veranstalterangaben) auf insgesamt 37.500 BesucherInnen – deutlich mehr als je zuvor. Rekordmeldungen gab es auch in Bezug auf die Anzahl der SpeakerInnen, Sessions und Bühnen. Bei mehreren Veranstaltungen mussten wegen Überfüllung ZuhörerInnen abgewiesen werden. Die Integration der TINCOM sei ausdrücklich als Gewinn für die re:publica notiert. Wer sich umfassend über den Stand der globalen Digitalisierung und die kritische Reflexion der gesellschaftlichen Implikationen infomieren und austauschen möchte, kommt an der re:publica kaum vorbei.