Das Berliner Nachwuchstreffen 2019

Die Preisbindung ist euer Problem …

24. September 2019
von Börsenblatt

Das vom Nachwuchsnetzwerk NaNe organisierte diesjährige Berliner Nachwuchstreffen am vergangenen Samstag widmete sich hauptsächlich Fragen der Digitalisierung. Mit Spannung erwartet: Die Keynote des Mitbegründers und Geschäftsführers der re:publica Andreas Gebhard zum Thema »Die Digitalisierung der Gesellschaft«.

In seiner Begrüßung bezweifelte der Vorsitzende des Landesverbandes Kilian Kissling, dass die Branche, wie vielfach behauptet, die Herausforderungen der Digitalisierung schon gemeistert hat. Das Bespielen verschiedener digitaler Tools wie Website, E-Books, Social Media usw. ist heutzutage eine Selbstverständlichkeit. Die Digitalisierung verschiebt aber insgesamt alle gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Koordinaten. Als ein Beispiel dafür nannte er die E-Roller. Sehr viele Menschen nutzen sie, aber kaum jemand kauft sich einen. Man möchte sie nutzen, muss sie aber nicht besitzen. An solchen Phänomenen kann man die heutigen Paradigmenwechsel ablesen.

Europa: Eingekeilt zwischen Amerika und China

Andreas Gebhard sprach in seiner 40-minütigen Keynote viele Aspekte der Digitalisierung an. Mit zwei Szenarien, die er schließlich miteinander verwob, gelang ihm ein eindringlicher Appell an den Nachwuchs. Zunächst schilderte er die Situation, in der sich Europa derzeit befindet. Eingekeilt zwischen den USA und China, in denen die Digitalisierung private, global agierende Monopolunternehmen bzw. staatliche Überwachungssysteme hervorgebracht hat, findet Europa immer noch keine eigene Antwort auf die digitale Herausforderung. Es fehlen Räume, in denen kritisch über die zunehmende Entmündigung der BürgerInnen durch digitale Tools nachgedacht wird. Deshalb fehlt es auch an Strategien zur demokratischen Nutzung digitaler Technologien. Vor allem die deutsche Politik fällt an dieser Stelle durch Totalversagen auf. Dies liegt nicht nur, aber auch an der Altersstruktur in unserem Land.
In Afrika, beispielsweise in Ghana, sieht die Situation völlig anders aus. Dort beträgt das Durchschnittsalter fünfundzwanzig Jahre. Die Digitalisierung und ihre kritische Hinterfragung hat dort schon deshalb einen ganz anderen gesellschaftlichen Stellenwert.

»Die Preisbindung ist euer Problem«

Seinen zweiten Gedanken eröffnete Andreas Gebhard mit dem Satz »Die Preisbindung ist Euer Problem« – und erntete damit zunächst leises Grummeln. In seinen weiteren Ausführungen wurde klar, dass er die Preisbindung als riesiges Privileg unserer Branche betrachtet. Und sie ist ja nicht das einzige. Er führte weiter den verminderten Mehrwertsteuersatz und das Urheberrecht an. Drei mächtige Privilegien unserer Branche, von denen andere Akteure der Kreativwirtschaft (von anderen Wirtschaftszweigen ganz zu schweigen) nur träumen können. Unter dem Schutzschild dieser Privilegien lässt es sich auch in bewegten Zeitläufen gut leben, vielleicht sogar zu gut. Und genau davor warnte Andreas Gebhard das Auditorium. Gleichzeitig ermunterte er den Branchennachwuchs zur internationalen Vernetzung, zur Teilnahme an Diskursen in anderen Ländern, zum Blick über die eigenen Branche und ihre Strategien hinaus, um der eigenen Bubble zu entkommen. Wenn der Nachwuchs diese notwendigen Herausforderungen nicht annimmt und sich den Freiraum dazu in den Unternehmen nicht selbst erkämpft, dann sieht es nicht gut aus für die Zukunft der Buchhandels- und Verlagsbranche.

Blogger Relations & Social Media

Ein gelungener Einstieg also in das Programm des Nachwuchstreffens, das jedes Jahr im Herbst eine große Zahl an ExpertInnen in- und außerhalb der Branche zusammenbringt, um gemeinsam mit dem Nachwuchs drängende Fragen zu beraten. Der Tag teilte sich nach der Keynote in drei parallel stattfindene Workshops auf: Zusammen mit Demian Sant’Unione und Tabitha van Hauten (Suhrkamp) wurden die Aktivitäten der Abteilung Blogger Relations gezeigt und eigene Recherchen betrieben, die die gar nicht so einfache Aufgabe, den richtigen Blog für das richtige Buch zu finden, verständlich machte. Während sich Buchhändler Ludwig Lohmann (ocelot, not just another bookstore) sowie Kollegin Heike Röminger (Buchhandlung Moby Dick) und Marion Nielsen (Eden Books) zusammen mit ihren Gruppen neue Veranstaltungskonzepte überlegten, war es an Kathleen Jurke (Fischer TOR) und dem Team der neuen Buchhandlung Wayne und Isley, Dana Sache und Yves Keuler, einem interessierten Teilnehmerkreis die Social Media Strategien ihrer jeweiligen Unternehmen nahezubringen. Ernüchternde Erkenntnis: »Zuviel Inhalt ist nicht gut«, beurteilt Dana Sachse das bildlastige Medium Instagram. Bei der Auswertung zeigt sich: Schnell konsumierbare, witzige, unterhaltsame Inhalte lassen das Like-Barometer nach oben schnellen, wohingegen mühsam überlegte inhaltliche Posts oft am Algorithmus scheitern. Schön zu beobachten war, dass mit mitgebrachtem Material – von Fischer TOR beispielsweise zu einer neuen Fantasy-Buchreihe, die im November startet – konkrete Ideen erarbeitet wurden, von denen vielleicht sogar die ReferentInnen die eine oder andere mit nach Hause nehmen konnten.

Ein gut gefüllter Büchertisch belohnte nach intensiven Tablesessions u.a. mit Marianna Hillmer (Reiseblog-Verlag Reisedepeschen), Harald Krewer (speak low) und Anna Weißmann, die als Herstellerin ihre Arbeit im Comicbuchverlag Reprodukt vorstellte, für einen Tag voller Fachdiskussionen und aktivem Netzwerken die etwa 60 TeilnehmerInnen. Gemeinsam mit Hendrik Otremba, der aus seinem neuen Roman »Kachelbads Erbe« las, in dem die Kryonik (das Konservieren von Menschen im Eis) eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielt, endete das Nachwuchstreffen noch mit einem ganz anderen Blick in die Zukunft.

Nach seiner Keynote gab es zahlreiche Gespräche mit Andreas Gebhard – und zum Schluss ein Selfie.