Quantencomputer – Die nächste Revolution in der Informationstechnologie?

7. August 2016
von Börsenblatt
Ein Begriff drängt sich in die öffentliche Aufmerksamkeit, der den meisten Menschen so unheimlich-bizarr wie aufregend-futuristisch vorkommt. In ihm kombiniert sich die scheinbare technologische Allmacht des digitalen Rechnens mit der ehrfurchteinflößenden Komplexität und Abstraktheit der bedeutendsten physikalischen Theorie des 20. Jahrhunderts. Die Rede ist vom  »Quantencomputer«. Er könnte einer der bedeutendsten Technologietreiber des 21. Jahrhunderts werden.

Die Rede ist vom  »Quantencomputer«. Dahinter verbergen sich keineswegs esoterische Träume von Wunderheilungen und Seelenreinigungen (»Quantenheilung«) oder sonstiger Unsinn, von Esoterikern gerne mit »Quanten« assoziiert, sondern eine technologische Revolution, welche das 21. Jahrhundert ähnlich bedeutend prägen könnte, wie die Entwicklung digitaler Schaltkreise das 20. Jahrhundert geformt hat.

Ankündigungen der IT-Giganten

Vor einigen Wochen kündigte der IT-Konzern IBM an, dass er der Öffentlichkeit seine Quantencomputer-Technik als Cloud-Service zur Verfügung stellen wird. IBM verspricht sich mit diesem Schritt, die Entwicklung von Quantencomputern zu beschleunigen. Bereits Ende 2015 gab Google bekannt, dass sie einen Quantencomputer der Firma »D-Wave« erworben haben. Firmen wie IBM, Google und Microsoft erkennen in Quantencomputern eine mögliche Grundlage für die nächste Generation von Supercomputern und behaupten, in der jüngeren Vergangenheit einige bedeutende Fortschritte in Richtung ihrer Entwicklung erzielt zu haben.

Eine ganz neue Art des Rechnens

Bereits die Bausteine herkömmlicher Computer beruhen maßgeblich auf quantenmechanischen Gesetzmäßigkeiten, wie beispielsweise dem Transistoreffekt. Doch sind Aufbau und Funktionalität konventioneller Computer, die so genannte »Von-Neumann-Architektur«, prinzipiell auch ohne quantenphysikalische Effekte möglich (so bestanden die ersten Computer in den 1940er Jahren auch aus Röhren und Kondensatoren). Erst für ihre extreme Miniaturisierung und Leistungsfähigkeit wurde Quantenphysik benötigt. Was macht einen Quantencomputer dann so besonders? Echte Quantencomputer besitzen dagegen eine grundlegend andere Architektur und Funktionsweise. Sie beruhen bereits in ihrem Kern auf einigen bizarren Eigenschaften der Quantentheorie. Zur Datenspeicherung und -verarbeitung verwenden sie direkt subatomare Partikel und deren Quanteneigenschaften. Dies ermöglicht Quantencomputern potentiell eine im Vergleich zu gängigen Computern unvorstellbar höhere Rechengeschwindigkeit, was sie dann auch ungleich komplexere Rechnungen durchführen lässt als konventionelle Computer, zum Beispiel herkömmliche Verschlüsselungsmethoden für digitale Daten knacken, blitzschnell gigantische Datenmengen durchforsten und das Finden von Lösungen komplexer Optimierungsaufgaben. Dass sie damit die globale Datensicherheit bedrohen könnten, lässt sie nicht nur für das Militär interessant und bedrohlich zugleich sein. Sie könnten aber auch dafür eingesetzt werden, bisher nicht lösbare Problemstellungen in der Physik oder Quantenchemie zu bearbeiten oder in anderen Gebieten wie der Materialforschung oder Medikamentenentwicklung völlig neuen Wegen zu folgen.
Doch wie genau funktioniert ein Quantencomputer? Im Gegensatz zu den Informationseinheiten, mit denen ein herkömmlicher Computer arbeitet, den »Bits«, die einen der beiden den Zustände 1 oder 0 annehmen können (daher der Begriff »digital«), können die Informationseinheiten in einem Quantencomputer, die so genannten »Quantenbit«, kurz »Qubit«, beide Zustände und alle Zwischenwerte simultan annehmen. Dies liegt an den Möglichkeiten von Quantenzuständen, in so genannten »Superpositionen« zu existieren. Diese beschreiben Zustandsüberlagerungen sich klassisch gegenseitig ausschließender Zustände, eine bizarre Eigenschaft von Quantenteilchen, die einst Auslöser hitziger Diskussionen unter den Vätern der Quantenphysik war. Dazu kommt, dass sich verschiedene Quantenteilchen in so genannte »verschränke Zustände« bringen lassen. Es ist, als ob die Qubits mit einer unsichtbaren Feder aneinandergekoppelt sind. Über eine spukhafte Fernbeziehung stehen sie sozusagen allesamt direkt in Kontakt miteinander, und jedes Quantenbit weiß, was die anderen gerade treiben. Damit, so erhoffen sich die Physiker, können Qubits sozusagen gleichzeitig auf allen Zuständen operieren, was eine hochgradige Parallelisierung der Operationen ermöglichen und die Rechenleistung des Computers exponentiell mit der Anzahl der Qubits erhöhen würde – gegenüber einer mit der Anzahl der verfügbaren Rechenbausteinen nur linear ansteigenden Rechenleitung in einem klassischen Computer.

Computer im Tiefkühllager

Dabei müssen die Qubits jedoch auf minus 270 Grad Celsius herunterkühlt werden, da ihre mittels quantenmechanisch Verschränkung gespeicherten Daten extrem empfindlich gegen Wärme oder Strahlung sind. Dies stellt ein generelles Problem von Quantencomputern dar: Verschränkte Quantenzustände zerfallen im Allgemeinen sehr schnell, oft zu schnell, um die gewünschten Operationen fehlerfrei durchzuführen. Mit Hilfe eines Ultratiefsttemperatur-Kühlschranks vermögen die Physiker zumindest teilweise dem Einhalt zu gebieten. Unterdessen haben die Forscher auch Methoden entwickelt, um fehlerhafte Qubits zu korrigieren. Nach Einschätzung von IBM wird es innerhalb eines Jahrzehnts Quantenprozessoren geben, die aus 50 bis 100 Qubits bestehen. Bereits ein System mit ca. 50 Qubits würde wohl die Rechenkapazität eines jeden heutigen Superrechners zumindest für einige sehr wichtige Rechenprobleme übertreffen.

Auch die Geheimdienste sind interessiert

Auch der US-Geheimdienst NSA arbeitet an der Entwicklung eines Quanten-Computers. Mit einem solchen könnte sich der Geheimdienst Zugriff auf die umfangreichen vertraulichen Daten aus dem Banken und Finanzsektor, dem Gesundheitsbereich, diversen Regierungsaktivitäten, der verarbeitenden Industrie und zahlreichen anderen Bereichen verschaffen. Das Forschungsprojekt an Quanten-Computern sei Teil eines rund 80 Millionen Dollar schweren Forschungsprogramms der NSA, berichtete diverse Pressestellen und berufen sich auf Dokumente von Edward Snowden. Doch sind weite Teile dieses Forschungsprogramms geheim. So gibt es Mutmaßungen, dass der Geheimdienst bedeutend weiter sein könne als zivile Labors.
Die Tatsache, dass Firmen wie IBM oder Google mit ihren Quantencomputer-Plänen nun an die Öffentlichkeit gehen, ist ein Zeichen dafür, dass die Technologie langsam reif für Anwendungen auf reale Probleme wird. Mit ihnen entfaltet sich ein gewaltiges technologisches und gesellschaftliches Entwicklungspotenzial. War Nicht-Physikern in den 40er Jahren nicht auch der Transistoreffekt kaum ein Begriff? Quantencomputer könnten einer der bedeutendsten Technologietreiber des 21. Jahrhunderts werden, so wie es der »von Neumann-Prozessor« für das 20. Jahrhundert war.