Über die digitale Agenda der Frankfurter Buchmesse

Sprachlos in Frankfurt?

18. Oktober 2017
von Börsenblatt
Die diesjährige Frankfurter Buchmesse hatte zahllose Vorträge, Workshops und Podiumsdiskussionen zur digtalen Transformation im Angebot. bookbytes-Blogger Karl-Ludwig von Wendt resümiert die digitale Agenda der FBM und vermißt die Auseinandersetzung der Branche mit den Sprachassistenten von Amazon, Google & Co.

Auch 2017 blieb die Frankfurter Buchmesse, was sie schon immer war: Eine Messe für Bücher. Das ist in meinen Augen sowohl die gute als auch die schlechte Nachricht.

Der ungebrochene Fokus der Branche auf das physische Produkt Buch spiegelte sich nicht nur in den Unmengen von Büchern, die nach wie vor alle Stände dekorieren, sondern auch in den langen Schlangen, die sich an den Publikumstagen vor den Signiertischen der Autoren bildeten. Ein E-Book kann man nicht signieren, und selbst, wenn man es könnte, würde niemand stundenlang dafür anstehen. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass das physische Buch nach wie vor im besten Sinne wertvoll ist, während die Bereitschaft, für rein digitales Lesen signifikante Beträge zu bezahlen, weiter erodiert. In diesem Sinne kann man den Buchmarkt tatsächlich als (relativ) stabil ansehen: Gedruckte Bücher behalten ihren Wert und ziehen auch junge Menschen immer noch an. Das ist die gute Nachricht und ein wesentlicher Grund, weshalb ich mit Papego dafür eintrete, digitalen Zusatznutzen an das physische Produkt zu koppeln.

Sprache als Benutzerschnittstelle der Zukunft

Die schlechte Nachricht ist, dass die altbekannten Messestände voller Druckbücher vielleicht manchmal den Blick für das Neue verbauen. Vier Wochen vor der Buchmesse fand beispielsweise in Berlin die jährliche Amazon Academy statt. Es ist bemerkenswert, dass das Thema Nummer eins, über das dort in etlichen Vorträgen für Autoren, Entwickler und Händler geredet wurde, in Frankfurt überhaupt nicht stattfand: Sprache als Benutzerschnittstelle der Zukunft.

»Echo« ist das erfolgreichste Endkundenprodukt, das Amazon jemals entwickelt hat. Die Firma gibt wie üblich keine Zahlen dazu bekannt, aber nach meiner persönlichen Schätzung dürfte die Anzahl der in Deutschland verkauften »Alexas« spätestens im Weihnachtsgeschäft deutlich im siebenstelligen Bereich liegen. Analysten gehen davon aus, dass im Jahr 2020 über 75% der US-Haushalte über einen solchen »Smart Speaker« verfügen – eine sprachbasierte Kommunikationsschnittstelle, die den Medienkonsum ebenso steuern kann wie die Heizung und die Versorgung mit Lebensmitteln, die sogar Telefongespräche vermittelt und mehr und mehr zur zentralen Kommunikationsplattform werden könnte. Und dieselben künstlichen Intelligenzen, die sich in diesen unscheinbaren Röhren verbergen, sind natürlich ebenfalls in »Smart TVs«, »Smartphones« und »Smart Cars« zu finden. Google und Amazon kämpfen gerade erbittert um die Vorherrschaft in diesem Bereich, denn wer diese Benutzerschnittstelle kontrolliert, kontrolliert die Kundenkommunikation und letztlich auch das Kundenverhalten.

Man muss nicht wie ich dystopische Romane schreiben, um zu erkennen, dass hierin Gefahren liegen. Aber mir geht es nicht darum, vor einer buchstäblichen schleichenden »Bevormundung« durch immer intelligentere Automaten zu warnen (wen das Thema interessiert, dem seien meine Romane »Mirror« und »Boy in a White Room« oder auch das im November bei Ullstein erscheinende Buch »Leben 3.0« von Max Tegmark ans Herz gelegt). Ich bin selbst Alexa-Nutzer und glaube nicht, dass ich mir damit den Teufel ins Haus geholt habe – Technik ist weder gut noch böse, es sind vielmehr die Anwender, die den Apparaten durch ihr Handeln solche Attribute verleihen können.

Mir geht es vielmehr darum, was diese Entwicklung für unsere Branche bedeutet, welche neuen Chancen und Risiken sich daraus ergeben. Denn wie sollte es uns, die wir von der Sprache leben, nicht berühren, wenn diese auf einmal zur zentralen Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine wird? Wenn, wie die Analysten von Gartner glauben, wir in naher Zukunft öfter mit künstlichen Intelligenzen reden werden als mit unseren Lebenspartnern? Und doch habe ich auf der gesamten Buchmesse keinen »Smart Speaker« gesehen (während es z.B. auf der IFA von Sprachsteuerungen nur so wimmelte).

Chancen und Risiken der »Smart Speaker«

Dabei bietet Sprache als neue Kommunikationsschnittstelle gerade auch für Verlage und Autoren viele neue Chancen, beispielsweise:

  • Die Bedeutung des Wortes nimmt – gegenüber visuellen Medien wie Video und grafischen Benutzerschnittstellen – womöglich wieder zu.
  • Smart Speaker können zu Geschichtenerzählern werden und zum Beispiel Hörbücher abspielen oder Texte vorlesen.
  • Neue Formen interaktiven Erzählens werden möglich, die in meinen Augen mittelfristig ein deutlich größeres Marktpotenzial bieten als z.B. »Enhanced E-Books«.
  • Womöglich bieten die speziellen Nutzungsbedingungen von sprachbasierten Systemen neue Chancen für literarische Kurzformen, wie etwa Lyrik.

Aber natürlich sehe ich auch neue Risiken:

  • Durch die häufigere und intensivere Sprachkommunikation mit der Maschine lernt diese sehr viel mehr über den Menschen als bereits jetzt schon – und ist damit besser in der Lage, seine Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen. Dies stärkt die Wettbewerbsposition desjenigen, der die Sprachschnittstelle zur Verfügung stellt, gegenüber allen Konkurrenten dramatisch.
  • Dass ausgerechnet Amazon zumindest in Deutschland die Vorherrschaft bei der Sprachkommunikation mit den Kunden erlangt hat, dürfte wohl kaum im Interesse des deutschen Buchhandels liegen.
  • Unabhängig davon, wer letztlich das Rennen macht, besteht die Gefahr einer weiteren Monopolisierung der digitalen Kommunikation auf Kosten einer pluralistischen Medienlandschaft, und damit auch einer Verstärkung des Filterblasen-Problems.
  • Weniger schriftliche und mehr mündliche Kommunikation (ob zwischenmenschlich oder mit Maschinen) könnte mittelfristig gar den funktionalen Analphabetismus fördern. Wenn man nicht mehr Lesen und Schreiben können muss, weil einem Maschinen bei Bedarf alles vorlesen oder Diktate aufnehmen, könnte das Lesen wieder zu der Kulturtechnik der Eliten degenerieren, die es noch bis vor wenigen Jahrhunderten war.

Diese Liste erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit! Um es nochmals klarzustellen: Mir geht es hier nicht darum, Smart Speaker und insbesondere Amazons »Echo« zu verteufeln. Vielmehr möchte ich anregen, darüber zu sprechen, was diese Entwicklung für uns alle bedeutet und wie wir die Chancen nutzen und die Risiken eindämmen können.