Wie das Web mehr als nur die Netzneutralität verlor

Winke-Winke Internet

23. Dezember 2017
von Börsenblatt
Die Verschiebung von öffentlichem Eigentum in private Taschen geht munter weiter: Nachdem die Trump-Administration große Flächen aus dem Naturschutzgebiet wieder privater Nutzung zugeführt hat, ist jetzt das Internet dran: die Aufgabe der Netzneutralität ist ein Schritt zur Privatisierung des Webs.

Dieses Zahnbürsten-Model ist Herr Pai, Chef einer Behörde, die er im tiefsten Inneren für komplett überflüssig hält.

Ich wünschte es wäre etwas Lustiges an dem Thema außer dem Blödmannsgehilfen der Trump-Regierung, der jetzt den Vorsitz in der Telecom-Regulierungsbehörde FCC hat, Ajit Pai: Er versucht seinen Kunden die neuen Regelungen in einem hahaha-lustigen Video zu erklären und nutzt dabei illegal den »Harlem Shake«. (Viral-Video des vergangenen Jahres, die Urheber klagen gerade gegen Herrn Pai.) 

Die Änderungen sind leider ernst. Nach außen ist es eine einfache Unterscheidung, die 2015 unter Obama eingeführt und jetzt wieder zurück genommen wurde: sind die Dienstanbieter, die die Netzzugänge anbieten, einfache Kabeleigentümer oder verkaufen sie Inhalte? 

Um diese Differenz zwischen Transport und Handel streiten sich ver.di und Amazon, und vor ein paar Jahren Verlage und Tauschplattformen: so wurden Pirate Bay und andere für die Inhalte erst verantwortlich und dann dicht gemacht. Bei Post und Telefon dagegen galt und gilt das Logistik-Prinzip: Der Bote haftet nicht für die Botschaft. Privatheit ist ein hohes Gut, selbst der Postbote genannte Mann für die letzten Meter und der fahrkartenlochende Schaffner waren früher Saatsbeamte in Uniform: Briefe und Personen zu transportieren oder Telefonate zu vermitteln waren mal hoheitliche Privilegien!

Die amerikanischen ISPs – wie die Interent-Service-Anbieter in der wirklichen Welt heißen – waren als nach der Änderung von 2015 als reiner Transporteur rechtlich bei den Telefondiensten untergebracht, Title II im zuständigen Gesetz. Aus diesem neutralen und sehr regulierten Bereich wollten sie wieder zurück zu den Inhaltsanbietern, die rechtlich unter Title I hausen. Herr Pai hat das in diesem Sinne geregelt und damit automatisch die Transportleistung zur Ware gemacht. 

Natürlich schwören alle diese Anbieter bei den Gräbern ihrer Großmütter, dass sie das so gar nicht wollten und auch freiwillig auf Änderungen verzichten wollen … wir kennen sattsam dergleichen Selbstverpflichtungen von deutschen Lebensmittel- und Autoherstellern. 

Was passiert also? Kann sein, dass Netflix bezahlen muss, damit die Serien schneller durch den singenden Draht laufen, kann sein, dass wir bald auch Prime-Gebühren an den Service Provider bezahlen müssen, um das im Web übertragene Fußballspiel noch am gleichen Tag sehen zu können. Kann sein, dass wir hier in Deutschland, Europa, gar nichts davon merken, weil all das nur eine weiter Strophe im Schwanengesang des amerikanischen Imperiums ist, kann sein, dass es zur Privatisierung des Webs gehört und eines Tages uns alle betrifft.

Gleichwie, es ist eine dumme, neo-liberalistische Maßnahme mit de-regulierenden Hintergrund, Öl auf die Mühlen der Weniger-Staat-ist-besser-Anhänger. Die Post ist privat, die Bahn so schlecht, weil teilprivat, die Telekom ist privat und legt schnelle Leitungen nur dort, wo es sich rechnet, Autobahnen, Kliniken und Altenpflege werden zunehmend privatisiert und immer schlechter, nun ist bald auch das Internet weg. Mit etwas Glück hält die EU das Ganze noch ein paar Jahre offen, aber der Trend ist eindeutig: die App ersetzt das WWW, der exklusive bezahlte Service die »Datenautobahn«. Wenn mich der große Zampano noch zehn Jahre leben lässt, werde ich die schlimmen Folgen des Trumpismus noch am eigenen, faltigen Leib erleben können …