Berufserfahrung

"In den Chefetagen der Druckereien gibt es heute noch zu wenige Frauen"

10. Juli 2023
von Nicola Bardola

In 35 Jahren in der Druckbranche hat Christine Bergmann viel erlebt. Die CPI-Vertriebsdirektorin ist seit kurzem im Ruhestand – Zeit für einen Rückblick auf ein Berufsleben voller Anekdoten zu "Harry Potter" und "Shades of Gray".

Christine Bergmann

Im Gegensatz zu den USA oder England haben wir in Deutschland noch ein großes Spektrum an Vielfalt. Im Ausland ist der Buchdruck viel standardisierter.

Christine Bergmann

Bei mir ist alles anders gekommen als geplant.

Bücher ziehen sich durch mein ganzes Leben. Ich habe in den 1980er Jahren Germanistik und Sport studiert und wollte Journalistin werden. Bei der Morgenpost in Berlin habe ich hospitiert und Artikel für das Feuilleton und den Sportteil geschrieben. Als ich bei einer Pressekonferenz nach einem Fußballspiel zwischen Hertha BSC und Rot Weiß Essen auftauchte, dachten alle, jemand habe seine Freundin mitgebracht: Damals gab es noch fast keine Frauen in der Fußballwelt. Und in den Chefetagen der Druckereien gibt es heute noch zu wenige Frauen.

Festanstellungen für den Nachwuchs im Journalismus waren Ende der 1980er Jahre schwierig, also habe ich noch eine Fortbildung in Betriebswirtschaft gemacht und mich 1988 bei Bertelsmann beworben. Ich dachte an all die Zeitschriften bei Bertelsmann, aber dann meldete sich eine Druckerei bei mir - Elsnerdruck in Berlin. Von Druckereien hatte ich keine Ahnung, aber ich war neugierig. Angefangen habe ich in der Sachbearbeitung. Ich habe dort viel gelernt und es hat mir großen Spaß gemacht – auch die Komplexität der Aufgaben, Organisation, Technik und die Arbeit mit den Kunden zu verbinden. Diesen Dreiklang mochte ich sehr. Ich war nah an den Druckvorgängen selbst, man ist vom Büro direkt zur Maschine gegangen, oft auch mit den Kunden.

Es war gut in diesem kleinen Betrieb anzufangen. Verträge waren viel einfacher als heute, die Preislisten wurden mit der Schreibmaschine getippt. Irgendwann wurde ich dann losgeschickt: "Kaufen Sie mal Computer. Sie haben doch diese Ausbildung." Wir haben dann einige PCs gekauft und ich habe am Wochenende die Schulung für die Mitarbeiter durchgeführt. Der Weg zur Excel-Tabelle war noch lang. "Machen Sie mal", hieß es immer. Es durfte ja schon damals nichts kosten.

Vier Jahre war ich bei Elsnerdruck, dann kam das Angebot nach Gütersloh zu Mohn Media zu wechseln. Hier wurde das Geschäft sehr international. Ich war geschäftlich in New York, London, Budapest, Oslo, Warschau oder in Jaroslavl (Russland), wo wir in den 90iger Jahren eine Druckerei gekauft hatten. Ich bin viel gereist, eine schöne, sehr spannende Zeit.

Im Gegensatz zu den USA oder England haben wir in Deutschland noch ein großes Spektrum an Vielfalt. Hier wird darauf geachtet, allen Kundenwünschen gerecht zu werden. Im Ausland ist der Buchdruck viel standardisierter – da gibt es oft maximal vier Formate, meist nur holzhaltiges Papier usw. Dadurch ist es viel einfacher zu disponieren.

Ich glaube, dass man in meinem Job sehr einfühlsam sein und sich immer wieder fragen muss: Was will der Kunde, was ist ihm wichtig? Der eine Verlag will ein besonders schönes Buch produzieren, der andere will etwas sehr Originelles, dem dritten geht es primär um den Inhalt. Es gibt so viele Schattierungen. Deshalb sind wir selbst aktiv und kreativ.

Christine, do you have a bit of capacity? ... Es ging dann um 2,7 Millionen Exemplare.

Christine Bergmann

Die besonderen Projekte

Was habe ich in all den Jahren alles erlebt! „Harry Potter“ war zum Beispiel ein Riesenprojekt. Die britischen Kollegen sind persönlich nach Australien geflogen, um die Daten zu überbringen, da die australische Ausgabe dort gedruckt werden musste. Es wäre zu risikoreich gewesen, die Druckdaten einfach zu verschicken, weil dadurch im Vorfeld etwas an die Öffentlichkeit hätte dringen können. Die Sicherheitsvorkehrungen waren enorm. In Pößneck wurden in der Druckerei Sicherheitskontrollen wie an Flughäfen durchgeführt. Handys waren verboten. Eine Schlagzeile in der lokalen Presse lautete: "Harry Potter wird im Dunkeln gedruckt".

Auch „Fifty Shades of Gray“ sprengte den Rahmen. Eines Abends rief mich ein englischer Kunde von Random House an. Es war etwa 19 Uhr und ich hatte gerade den Parkplatz von Mohnmedia verlassen: "Christine, do you have a bit of capacity? We need an urgent job." Und ich: "Ja, ja, können wir machen. Wie viele Bücher brauchst du denn?" Er brauchte 2,7 Millionen Exemplare. Es folgten Telefonate mit dem Disponenten und dem Einkauf und der Technik:  Bekommen wir genug Papier in der kurzen Zeit? Haben wir überhaupt die Druckkapazitäten? Können wir die speziellen, nur in England üblichen Anforderungen bei der Verpackung realisieren? Da müssen alle Abteilungen reibungslos zusammenarbeiten. Wir haben schließlich gedruckt, weil es in England schlicht keine Kapazitäten mehr gab. Ein Novum: Wir haben letztendlich vier verschiedene Papiersorten gemischt, damit wir überhaupt den Zeitrahmen realisieren konnten.

Ein anderes Millenniumsprojekt: In England gab es ein Projekt, das von einer Lotterie finanziert wurde. Mein langjähriger Freund David Campbell (er ließ schon seit den 1990er Jahren bei Mohn media drucken) hatte einen Verlag, The Everyman's Library, in dem er klassische Literatur veröffentlichte. Damals hatte er rund 250 Titel im Programm. Seine Projektidee für die Ausschreibung der Lotterie: Diese 250 Titel an alle 6000 öffentlichen britischen Schulen zu verschenken. Er gewann mit diesem Projekt. Aber wer sollte das drucken? 250 mal 6000 Exemplare ist eine schöne Auflage und eine anspruchsvolle Aufgabe. Damals war ich Verkaufsleiterin im GGP (Graphischer Großbetrieb Pößneck). In England gab es daraufhin viel Widerstand, dass ein solches Projekt, durchgeführt von einer englischen staatlichen Lotterie, in Deutschland produziert werden sollte. Aber David kämpfte mit Argumenten für die hohe Qualität in Deutschland. Wir druckten dann auch eine Lederausgabe – die steht heute bei King Charles. Ich habe ihn – damals noch den Prinzen – auf einer Feier von Everyman getroffen.

Nach 27 Jahren bei Bertelsmann – der Konzern hatte etliche Druckereien verkauft – wechselte ich "im hohen Alter" von 57 zu CPI. Die Internationalität ist dort noch ausgeprägter. Bei CPI Germany waren wir im Verkauf ein Team von etwa 90 Mitarbeitern. CPI hat vier Standorte, drei in Deutschland und einen in Pohorelice in Tschechien. In der gesamten Gruppe gibt es 17 Druckereien in fünf Ländern. Bei CPI habe ich acht Jahre gearbeitet – ab 2017 als Verkaufsleiterin - und habe mich sehr wohl gefühlt. Seit April 2023 bin ich offiziell im Ruhestand, meinen Nachfolger Patrick Priesmann konnte ich noch gut einarbeiten.

Ich bin als Quereinsteigerin in der Sachbearbeitung gestartet und habe in den 35 Jahren viele neue Herausforderungen angenommen, Flexibilität ist wichtig. Ich habe mich als Frau ‚durchgeboxt‘, das war in der Männerwelt nicht immer einfach und auch oft nicht schön. Das muss man aushalten. Leider ist die Benachteiligung von Frauen immer noch eine Tatsache. Ich bin ein Mensch, der gerne im Team arbeitet. Gemeinsam ist man immer am besten. Ich glaube an Beziehungen, Menschen sind mir wichtig. Man muss sich auf sie einstellen können und man muss zuhören können. Daraus entstehen dann auch Freundschaften.