Buchcharts – die aktuellen Bestsellerlisten

Orhan Pamuk startet mit Pest-Roman in Top 5

23. Februar 2022
von Matthias Glatthor

Der Friedens- und Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk steigt mit seinem historischen Pandemie-Roman hoch bei der Belletristik ein. US-Autorin Sarah J. Maas ist bereits mit der englischen Ausgabe von Crescent City 2 zweimal in die Top 25. Beim Sachbuch punktet Christiane Hoffmann, die den Fluchtweg ihres Vaters 1945 aus Schlesien zu Fuß wiederholt hat. Sie steht damit auf der Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse.

Die Wochencharts auf Börsenblatt Online

Ermittlungszeitraum: 14. bis 20. Februar 2022

In dieser Woche haben wir 26 Neu- sowie sieben Wiedereinsteiger (ohne Liste Essen & Trinken, Ernährung) in unsere Charts.

Die Neueinsteiger verteilen sich wie folgt: 15 Belletristik, 9 Sachbuch und 2 Ratgeber.

Höchstplatzierter Wiedereinsteiger ist: "Schlank für Faule" (Knaur MensSana; ET: 1. Dezember 2021) von TV-Arzt Carsten Lekutat – bei den Ratgebern auf Position 3. Seine Abstinenz von den Top 25 betrug drei Wochen. In der KW 4 war er auf Platz 11 eingestiegen und in danach wieder aus den Charts gefallen, bis zu seiner fulminanten Rückkehr mit einem Podestplatz jetzt.

Belletristik (Hardcover)
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Belletristik: Pest-Roman von Orhan Pamuk

Der Münchner Hanser Verlag ist mit vier Titeln in unseren Belletristikcharts (Hardcover) vertreten – darunter zwei Neueinsteiger.

Platz 1 holt sich in der vierten Woche in den Charts (Vorwoche: Platz 9) die französische Schriftstellerin Yasmina Reza ("Der Gott des Gemetzels") mit "Serge" (Hanser; ET: 24. Januar; Ü: Frank Heibert, Hinrich Schmidt-Henkel), ihrem Roman über eine jüdische Familie, die nach dem Tod der Mutter bzw. Großmutter Auschwitz besucht. Es sei "das Buch des Frühjahrs und ein existenzieller Donnerschlag", urteile etwa Eva Menasse im "Spiegel". Iris Radisch schrieb in der Zeit: "Ein großartiger, tragikomischer Roman" – um nur zwei der Jubel-Kritiken zu erwähnen, die der Verlag auf seiner Website zitiert.

Es ist bereits das 13. Buch von Yasmina Reza bei Hanser. Die Autorin sei sehr zurückhaltend, was Öffentlichkeit angeht, so der Münchner Verlag, aber diesmal habe es zwei große Interviews in "Zeit" und "SZ" gegeben – neben den erwähnten vielen großartigen Besprechungen. Ihr Thema sei mit unserer Geschichte direkt verknüpft, mit klugen Alltagsbeobachtungen und viel Witz, aber auch Respektlosigkeit. Als Theaterautorin habe sie ein exzellentes Timing für Dialoge. Es seien 70.000 Exemplare ausgeliefert.

Nun zu den beiden Hanser-Neueinsteigern: Auf Platz 5 beginnt der türkische Autor, Friedenspreisträger (2005) und Literaturnobelpreisträger (2006) Orhan Pamuk und "Die Nächte der Pest" (Hanser; ET: 14. Februar; Ü: Gerhard Meier). Pamuk liefere einen "großen historischen Pandemie-Roman", titelt Dirk Fuhrig seine Rezension bei Deutschlandfunkkultur. Er schildere die "Auswirkungen einer Seuche auf Politik und Gesellschaft detailreich, packend und wirklichkeitsnah". Die Handlung spielt 1901 auf der Insel Minger, die unter osmanischer Herrschaft steht. Die Pest bricht aus, Muslime und Christen beschuldigen sich gegenseitig. Dann starten das Osmanische Reich, England und Frankreich eine Seeblockade. Die Insulaner müssen allein gegen die Ausbreitung der Seuche kämpfen.

Man hat schon vor gut zehn Jahren über das Projekt gesprochen, so Hanser auf Anfrage, Pamuk wollte über die dritte Pest-Epidemie um 1900 schreiben, die in West-Europa keine Rolle mehr gespielt habe. 2016 hat er mit dem Schreiben begonnen, 2020 wurde er dann von der Realität, der Corona-Pandemie, überrascht. Insofern sei sein Buch auch ein Spiegel in die Gegenwart. Im Handel seien circa 30.000 Exemplare, aber man druckt schon nach.

  • Im März kommt Pamuk auf Lesereise nach Deutschland: Termine

Auf Platz 12 reiht sich "Dschinns" (Hanser; ET: 14. Februar) von Fatma Aydemir. Ihr zweiter Roman nach ihrem preisgekrönten Debüt "Ellbogen" (Hanser 2017). Es ist eine deutsch-türkische Familiengeschichte: Hüseyin, der 30 Jahre in Deutschland gearbeitet hat, kauft sich eine Eigentumswohnung in Istanbul – und am Einzugstag erliegt er einem Herzinfarkt. Zur Beerdigung kommt seine Familie aus Deutschland, sechs grundverschiedene Menschen, aus deren jeweiliger Perspektive erzählt wird. In einem Interview auf der Verlagswebsite erklärt Aydemir, warum die Handlung 1999 spielt: "Für mich sind das die Jahre, die in Deutschland von der Allgegenwärtigkeit rechter Gewalt geprägt war, und in der Türkei von Massakern. Die Strukturen, die sich in den neunziger Jahren gebildet haben, reichen bis ins Heute." Und was hat es mit dem Titel auf sich? "Im islamischen Glauben ist der Dschinn ein Lebewesen, das gemeinsam mit den Menschen die Welt bevölkert, aber unsichtbar bleibt." Im Volksglauben eine Art böser Geist. Für sie sei es als ästhetisches Motiv interessant: als diffuse Angst, die sich nie vollständig greifen und aussprechen lasse.

Lektor Florian Kessler ist der Anfang von "Ellbogen", dem ersten Roman Aydemir, damals über Bekannte zugespielt worden, und er hatte sich sofort verliebt in den Text. Von Anfang an sei klar gewesen, dass sie eine aufregende neue Stimme ist – das habe sie mit "Dschinn" eingelöst. Hanser ist mit 25.000 Exemplaren im Handel, so Presseleiterin Christina Knecht. Wie von "Ellbogen" werde es auch von "Dschinn" eine Theateradaption geben.

Vierter Hanser-Titel, seit vier Wochen in den Belletristik-Hardcovercharts, ist Monika Helfers "Löwenherz" (ET: 24. Januar) auf Platz 16 (Vorwoche: 12). Mit ihren autofiktionalen Erinnerungen (davor bereits "Bagage" und "Vati") habe sie sich eine große Leserschaft erschrieben. Von "Löwenherz" seien über 50.000 Exemplare draußen.

Auf den Erfolg, dazu zählt etwa auch Navid Kermani (Platz 2 beim Sachbuch), will man morgen mit Schal, Mantel und natürlich Abstand im Verlagsgarten bei einer internen Pop-up-Feier mit Verlagssekt begleitet von Krapfen anstoßen, verrät Christina Knecht.

Gefragte Fantasy

Die US-Autorin Sarah J. Maas verfügt über eine starke, lesefreudige und ungeduldige Fanbase: Der zweite Teil ihrer Crescent City-Serie ist bereits in englischsprachigen Ausgaben zweimal neu in unseren Belletristikcharts vertreten:

  • Platz 13 (HC): "House of Sky and Breath" (Bloomsbury US; ET: 15. Februar)
  • Platz 21 (TB): "House of Sky and Breath" (Bloomsbury Publishing; ET: 15. Februar)

Die deutsche Ausgabe "Crescent City 2 – Wenn ein Stern erstrahlt" (1.024 Seiten!; Ü: Franca Fritz und Heinrich Koop) des romantischen Fantasy-Titels kündigt dtv für den 18. Mai an.

Inselidylle

"Ein Fest im kleinen Friesencafé" (Rowohlt Tb.; ET: 15. Februar), Band 2 der Reihe "Das kleine Friesencafé", von Janne Mommsen steigt auf Platz 9 neu bei der Belletristik (PB) ein. Das kleine Friesencafé von Julia auf Föhr hat gut losgelegt, aber wie geht es nach Ende der Saison weiter? Kann das kleine Friesencafé den Winter überstehen? Und die geht die Geschichte mit dem jungen Bürgermeister Finn-Ole weiter?

Den Buchtrailer sehen Sie hier:

Sachbuch (Hardcover)
14.02.2022 17:24 Uhr
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Sachbuch: Kriegsfolgen und Europas Rolle in der Welt

Die erschütternden Stalingrad-Erinnerungen des 99-jährigen Hans-Erdmann Schönbeck: "... und nie kann ich vergessen" (Heyne; ET: 2. Februar), aufgeschrieben von Tim Pröse, waren vor zwei Wochen neu auf Platz 2 in die Sachbuchliste (HC) eingestiegen, belegten in der vorigen Woche den gleichen Rang und steigen jetzt auf Platz 1. Sein Porträt eines Überlebenden, so Pröse, sei "ein Nachdenken und noch mehr ein Nachfühlen über Leben und Sterben und über das Weiterleben nach einem Beinahe-Ende." Auch ein Anti-Kriegsbuch.

Mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs für ihre Familie setzt sich die Journalistin Christiane Hoffmann, seit Januar 2022 Erste stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, auf besondere Weise auseinander: 1945 ist ihr Vater aus Schlesien geflohen, 75 Jahre, 2020, später ist sie den gleichen Weg zu Fuß gegangen – teilt ihre Erlebnisse und Familien-Erzählungen in "Alles, was wir nicht erinnern" (C.H. Beck; ET: 17. Februar) mit. Sie startet neu auf Platz 16 in der Hardcoverliste.

  • Übrigens: Hoffmanns Buch ist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2022 nominiert: zur Börsenblatt online-Meldung
  • Auf der Verlagswebsite findet sich eine Hörprobe aus dem Hörbuch (C.H. Beck; gelesen von Martina Gedeck): hier

Globale Herausforderungen für Europa und Menschenrechtsverletzungen durch autoritäre Staaten sind das Thema etlicher neuer Titel in den Sachbuchcharts.

Durch die Winterspiele ist China stärker in den Fokus des Interesses gerückt – was sich in unseren Charts zeigt. Dass China Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren in Umerziehungslager steckt, wird von Offiziellen des Landes regelmäßig als "Lüge" bezeichnet, so auch jüngst von Außenminister Wang Yi per Video auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Das klingt doch glaubhaft, oder? Was wirklich geschieht, zeigt eindrücklich "Wie ich das chinesische Lager überlebt habe" (Aufbau; ET: 13. Januar; Ü:  Uta Rüenauver, Claudia Steinitz) von Gulbahar Haitiwaji (mit Rozenn Morgat) – neu auf Platz 25 (Hardcover). Die Uigurin Haitiwaji wurde drei Jahre lang in Lagern festgehalten und berichtet über die schreckliche Zeit. "Nur wenige Zeugen haben bislang ausführlich über die Unterdrückung der uigurischen Minderheit in China berichtet, das macht die Geschichte von Hai­tiwaji so besonders", so der "Spiegel".

Mit der Rolle, die Europa in künftig auf großer Bühne spielen sollte und müsste, befasst sich die Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer in "Final Call. Wie Europa sich zwischen China und den USA behaupten kann" (Campus; ET: 15. September 2021) – kommt damit jetzt, fünf Monate nach Erscheinen, neu auf Rang 24 in die Sachbuchliste (PB). Sie beschreibe im Buch systematisch die Problemlandkarte, so Werner Wiedenfeld in seiner Rezension in der "SZ": "die Weltordnung, die Großmachtkonkurrenz, die Krisen und dazu der europäische Versuch der Selbstbehauptung." Unbeantwortet bleibe, wie man konkret operativ organisatorisch und intellektuell die strategische Sprachlosigkeit überwinde. Aber Schwarzer bringe dennoch "einiges Licht in den dramatischen Sorgehorizont Europas", der gerade jetzt im Zuge der Ukraine-Krise wieder sichtbar wird.

  • Auf Platz 3 (Vorwoche: 8) bei den Hardcovern klettert Klaus von Dohnanyis "Nationale Interessen" (Siedler; ET: 17. Januar). Seine "Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche" (Untertitel) kreist seit fünf Wochen in unseren Charts – erreicht in der aktuellen Woche seine bisher höchste Platzierung. Ein Unterkapitel lautet: "Die Fortsetzung der Nato-Erweiterung als Gefahr für Europa".

Beim Paperback neu auf Platz 8: Nahost-Experte Michael Lüders holt in "Hybris am Hindukusch" (C.H. Beck; ET: 17. Februar) zum Rundumschlag aus, analysiert warum der Afghanistan-Einsatz des Westens scheitern, zum Debakel werden musste. Jasamin Ulfat-Seddiqzai moniert auf Deutschlandfunkkultur in einer Sammelrezension aktueller Afghanistan-Literatur zwar Lüders "zynischen Tonfall", konstatiert aber, dass er sich mit der Materie auskenne – und empfiehlt es daher letztlich als eins von zwei Büchern.

Ratgeber
14.02.2022 17:24 Uhr
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Premieren bei den Ratgebern in dieser Woche:

  • Platz 17: "Kitchen Impossible" (Mosaik; ET: 21. Februar) von Tim Mälzer
  • Platz 25: "Organize 'n Style – Isabella räumt auf. Das Buch zur TV-Sendung bei SIXX" von Ordnungscoach Isabella Franke

Der Link zu den Wochenlisten:

Über die Bestsellerlisten

Die Börsenblatt-Bestsellerlisten basieren auf Verkaufszahlen, die von unserem Kooperationspartner Media Control erhoben werden. Hierzu werden wöchentlich, elektronisch die Verkaufszahlen aus den Warenwirtschaftssystemen von deutschlandweit mehr als 6.550 Verkaufsstellen ausgelesen: Sortimentsbuchhandlungen inklusive eCommerce, Bahnhofsbuchhandel, Kauf- und Warenhäuser sowie Elektro- und Drogeriemärkte. Bezogen auf das Umsatzvolumen bilden die Daten 88 Prozent des gesamten deutschen Buchmarktes ab. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.