Nachruf auf Volker Neumann

Der König des Buchmarketings

16. Mai 2025
Redaktion Börsenblatt

22 Jahre lang haben sie bei Goldmann und unter dem großen Bertelsmann-Dach miteinander gearbeitet: Klaus Eck erinnert an seinen Kollegen Volker Neumann, der am 10. Mai im Alter von 82 Jahren gestorben ist.

Volker Neumann

1981 trafen Volker Neumann und ich uns das erste Mal – für mich ein viel bedeutenderes Datum als für ihn, startete ich doch in meiner neuen Verantwortung als Cheflektor bei Goldmann in München, während Volker schon seit einem Jahr die Geschicke von Marketing und Vertrieb des Taschenbuchverlags verantwortete. Seine vorherigen Stationen als Werbeleiter bei dtv und Vertriebs- und Marketingverantwortlicher bei den Buchverlagen des Süddeutschen Verlags hatten ihn gut darauf vorbereitet.

Für weitere 22 Jahre – was seinerzeit keiner von uns beiden ahnte – sollten wir in gemeinsamer Arbeit verbunden sein, so sehr, dass unsere damaligen Ehepartner zweifelten, ob nun sie mit uns oder wir beide miteinander „verheiratet“ seien.

Alles begann mit dem leidenschaftlichen und energiegeladenen Verleger Gert Frederking, der nach der Übernahme des Goldmann Verlags durch Bertelsmann die Geschäftsführungs-Verantwortung trug. Sein Auftrag war klar und traf seinen Ehrgeiz: Mache aus dem verstaubten Goldmann-Verlag einen respektablen und erfolgreichen Taschenbuchverlag, der für die nötigen Erträge der Verlagsgruppe sorgt. 

Das Taschenbuch war in den 80er Jahren immer noch etwa die Verheißung, die 20 Jahre später das e-book war – ein noch junger Markt, den es zu erobern galt. Mit Rowohlt, Fischer, Bastei-Lübbe, Droemer, dtv und vor allen Dingen Heyne gab es zwar unendlich starke Konkurrenz, aber das war ein zentraler Antrieb. Besser sein, erfolgreicher werden, Autoren anziehen, den Handel überzeugen. Andiamo!

Wir spielten Musketiere: 

  • Hubert Grevenkamp (später Rainer Doll und Uli Geiger), der Kaufmann;
  • Peter Sturm, Herstellung; 
  • Volker Neumann, Vertrieb und Marketing; 
  • Josef Schaaf, Werbung (später mit seiner Agentur Network) 
  • und Klaus Eck für das Programm.

Von München bis Kitzbühel (da hatte Gert Frederking als Skifex seine Urlaubswohnung) und zurück wurde tage- und nächtelang an der Zukunft gefeilt und gearbeitet.

Ein Gesellenstück zu Vorzugspreisen

Wilhelm Goldmann hatte seinen Verlag in Leipzig gegründet und wartete ein Leben lang auf den Fall der Grenze und der Mauer. Er war sich sicher, dass der Tag käme, an dem er endlich auch seinen Landsleuten im Osten seine Bücher wieder würde anbieten können. So hatte er Unmengen an fertigen Büchern gehortet, um auf diesen Tag X vorbereitet zu sein, den er aber leider nicht mehr erleben sollte. 

Statt dessen gelang es dann Volker Neumann, diese enormen Lagerbestände abzuverkaufen. Dadurch konnte er fast den gesamten Kaufpreis für die Verlagsgruppe wieder einspielen. Ein Gesellenstück, das er dann später noch einmal meisterhaft wiederholte, als die Mauer wirklich fiel und er innerhalb einer Woche eine Million Goldmann-Taschenbücher zu Vorzugspreisen in der ehemaligen DDR verkaufte.

Lange hatte Bertelsmann versucht, mit Rolf Heyne einig zu werden, um die Nummer 1 im Taschenbuch zu erwerben. Aber Heyne nutzte die geplante Kooperation und das Kaufinteresse geschickt aus. Er verhandelte eine Option auf die Nutzung der Taschenbuchrechte der Bertelsmann Hardcoververlage mit dem Versprechen, später fiele ja das Gesamtpaket incl. der Taschenbuchrechte wieder an den Käufer Bertelsmann zurück. 

Er profitierte jahrelang von dieser Kooperation, während er sich dem endgültigen Verkauf des Verlags geschickt entzog. Und Goldmann fehlten diese zentralen Rechte, die für das Taschenbuch nicht genutzt werden konnten – von den „Dornenvögeln“ bis Mario Puzo. Das war bitter, aber es führte bei uns zu einer „Jetzt-erst-recht“-Motivation.

Volker und der Handel – er hat sie (fast) alle zu persönlichen Freunden gemacht. Zentraleinkäufer großer Warenhäuser ebenso wie unabhängige Buchhändler.

Klaus Eck

Sein Wort galt

Die Aufbauarbeit gelang, mit Volker an der Spitze im Einsatz für eine neue VVA-Qualität in der Auslieferung, die (echte) Liebe zum Buchhandel (und den Buchhändlerinnen), wie seine letzte große Liebe Hilde Schiwek, ehemals Leiterin der Autorenbuchhandlung in München, zeigt. Sie war gerade in den letzten Jahren sein Halt und seine Kraftquelle.

Volker und der Handel – er hat sie (fast) alle zu persönlichen Freunden gemacht. Zentraleinkäufer großer Warenhäuser ebenso wie unabhängige Buchhändler. Seine Beziehungen waren exzellent. Sein Wort galt. Man konnte Volker vertrauen. Der „menschliche Faktor“ war die Basis seiner erfolgreichen Arbeit.

Uwe Wittstock hat das in der Welt mal so beschrieben: „Sobald Volker Neumann etwas anzupreisen hat ... spürt man Wärme in seiner Stimme und in seinem Gesicht. Er sucht die Augen seines Gegenübers, nickt ihm zu und lässt ihn nicht mehr aus den Fängen. 30 Jahre lang hat er so Buchhändlern die jeweiligen Neuerscheinungen serviert, und man ahnt, wie schwer er es ihnen gemacht hat, sich an die Antwort „Nein“ auch nur zu erinnern. Er soll, geht die Legende,
jeden zweiten Buchhändler Deutschlands persönlich kennen …“

Ich neige zu der Ansicht, es war keine Legende!

Vom Kapitän zum Admiral einer Verlagsflotte

Und sein Enthusiasmus! Nächtelang wurde über Neugründungen wie etwa den literarischen Ableger btb diskutiert. Josef Schaaf steuerte nicht nur den Markuslöwen als Logo bei – es wurde ein perfekter Start und ein bis heute anhaltender Erfolg als Beiboot für Goldmann. 

Volkers Vertriebs- und Marketingideen waren Meilensteine; prägend auch seine Entscheidung für Günter Matteis grafische Übersetzungen einer ganz eigenen Bildsprache in der Werbung des Verlags. Unvergessen die Edgar-Wallace-Aktion, kurz bevor die deutschen Rechte ausliefen. Sie war so erfolgreich, dass sie gleich später noch einmal wiederholt wurde – eine spektakuläre Taschenbuchaktion folgte auf die andere. Volker wurde zum König des Buchmarketings.

Und nachdem die Goldmänner und -frauen später auch die Verantwortung für die Hardcoververlage der Verlagsgruppe Bertelsmann übernahmen, war Volker in seinem Element und hielt das Schiff souverän auf den Wellen. Und die Dickschiffe C. Bertelsmann, Blanvalet, Siedler, Knaus, Blessing, Mosaik wurden in komplexe, aber logische Innen- und Außendienststrukturen integriert. Und Volker Neumann wurde vom Kapitän zum Admiral einer Verlagsflotte im Buchhandelsmeer.

Die Nüchternheit und Faktenbasiertheit heutiger Vertriebsarbeit, abstrakte Entscheidungen, Charts und Powerpoint waren nicht sein Ding. Er brauchte Menschen.

Klaus Eck

Und so manches „Captain’s Dinner“ bleibt in Erinnerung. Volker konnte feiern und ließ es krachen, wenn der Krach Sinn machte, für die Partner, den Buchhandel, die Kollegen, den geschätzten Außendienst, Autoren und Freunde. Nicht nur die legendären jährlichen Floßfahrten auf der Isar mit Buchhändlern und Branchenfreunden, Geburtstagsfeste und Frankfurter Messenächte zeugten davon – tempi passati.

Die Nüchternheit und Faktenbasiertheit heutiger Vertriebsarbeit, abstrakte Entscheidungen, Charts und Powerpoint waren nicht sein Ding. Er brauchte Menschen, er musste wissen, wer was machte im Geflecht der Arbeiten, er musste anfassen, berühren und überzeugen – hands on.

Sagen wir mal so. Ein Volker wäre heute wohl kaum mehr möglich. Und das ist sehr, sehr schade.

Auf ihn war Verlass, das habe ich dutzende Male erfahren dürfen. Sein Wort galt, er hat nahezu jedwede verlegerische Absicht und Absprache eingehalten und gestützt. Es waren meine schönsten Berufsjahre, die ich mit Volker in der Goldmann-Zeit teilen durfte – wir waren unschlagbar. Waren wir das? Natürlich nicht. Aber es war gut zu wissen, dass wir einander über mehr als zwei Jahrzehnte vertrauen konnten. Daraus wuchs die Kraft. Und der Erfolg. Wir nannten es mal das „Wort mit den drei mmms: Programmmarketing“.

Was hatten wir für eine unglaubliche Zeit!

Klaus Eck

Wir konnten uns immer in die Augen schauen, weil wir unternehmerisch, verlegerisch, vertrieblich die gleichen Ziele hatten. Unsere Autoren durchzusetzen und erfolgreich vertreiben zu können. Als diese Balance zerbrach, weil es unserem Chef in New York, Peter Olson, gefiel, den Verleger und nicht den Marketing-Chef zum CEO der Verlagsgruppe, nunmehr Random House, zu machen, wurde es bitter. 

Ich will das nicht verschweigen. Der Bruch war da, als ich ja zu diesen Plänen sagte – und Volker ging nach Frankfurt und wurde ein sehr guter Chef der größten Buchmesse der Welt.

Aber was hatten wir für eine unglaubliche Zeit. Es war großartig und Du, Volker, den ich seither immer nur zweimal im Jahr (zu unseren Geburtstagen) gesprochen habe, fehlst mir. Fehlst uns.