Frühjahrstagung der IG Ratgeber

„Eher Phänomen als Problem“: Wie Amazon zu Fake-Ratgebern steht

7. Mai 2023
von Sabine Cronau

Über ein „rares Gut“ verfügte die Frühjahrstagung der IG Ratgeber am 5. Mai in München: Denn nicht nur Verlage, sondern auch vier Buchhändlerinnen waren dabei. Eine davon wurde in den Sprecherkreis gewählt. Alle gemeinsam diskutierten mit einer Amazon-Juristin über „Fake-Ratgeber“ – und entwickelten Ideen für mehr Kundenfrequenz im Handel.

Sprecherkreis IG Ratgeber

Sprecherkreis-Trio: Michael Zirn, Karin Senft (Mitte), Nicole Schindler

Karin Senft, bei der Buchhandlung Pustet in Regensburg für das Online-Marketing verantwortlich, ist neu an die Spitze der Interessengruppe Ratgeber gewählt worden. Aus dem Sprecherkreis-Duo Nicole Schindler (Verlag Eugen Ulmer) und Michael Zirn (frechverlag) wird damit wieder ein Trio.

Auf einem der Wahlzettel prangte sogar ein kleines Herz – was zeigt, wie sehr sich die Verlage über eine profunde Buchhandelsexpertise im Sprecherkreis freuen. In den knapp 20 Interessengruppen des Börsenvereins hat der Mix der Sparten noch Seltenheitswert, obwohl die IGs genau für diesen übergreifenden Austausch gedacht sind: „Ich hoffe, dass wir hier mit gutem Beispiel vorangehen“, so Karin Senft zu ihrer Wahl.

Theresa Bolkart leitet den Workshop-Teil ein

Theresa Bolkart leitet den Workshop-Teil ein

Workshop-Ideen für mehr Kundenfrequenz im Handel

Mit 43 Teilnehmer:innen verbuchte die Tagung der IG Ratgeber einen neuen Rekord. Treffpunkt war ein gläserner Veranstaltungsraum der Penguin Random House Verlagsgruppe in München. Dass nur Gutes entstehen kann, wenn Verlage und Buchhandlungen zusammen am Konferenztisch sitzen, zeigte ein Workshop am Nachmittag, moderiert von Beraterin und Marketingfachfrau Theresa Bolkart. Thema: Wie lässt sich die Frequenz im Buchhandel mit Ratgeberthemen beleben?

Vier Buchhändlerinnen von Pustet und der Buchhandlung Lesezeichen in Germering diskutierten mit den Verlagen und konnten bei jedem Vorschlag gleich für den kritischen Praxis-Check sorgen. Ein Best-of der Ideen, die jetzt weiterverfolgt werden sollen:

  • Eine Social-Media-Kampagne für Ratgeber, die sich auch mithilfe prominenter Autor:innen im Schneeballsystem verbreitet, eventuell flankiert von günstiger Plakatwerbung in Randlagen oder auf Bussen und immer mit Verweis auf den Buchhandel vor Ort.
  • Lokale Prominenz und Expert:innen aus dem Kundenkreis für Veranstaltungen rund um Ratgeberthemen gewinnen
  • Leseclubs und Lesekreise im Buchhandel aktivieren, etwa um auf Booktok für Ratgeberthemen zu werben.
  • „Gamification“: Verlage könnten gemeinsam Starterkits für Aktionen im Buchhandel entwickeln, etwa ein Escape-Room-Konzept, das sich in jedem Laden umsetzen lässt.
  • Die Chancen, die der bundesweite KulturPass für 18-jährige eröffnet, will die IG Ratgeber ebenfalls nutzen – schließlich gibt es neben Romance und Manga auch Ratgeber für die junge Zielgruppe, zum Beispiel mit veganen Rezepten oder Nachhaltigkeitstipps.
Starke Ideen gesucht: Gruppenarbeit im Workshop

Starke Ideen gesucht: Gruppenarbeit im Workshop

Was tut Amazon gegen „Fake-Ratgeber?“

Nicht übereinander reden, sondern miteinander: Dieses Prinzip beherzigte die IG Ratgeber mit der Workshop-Einladung an den Buchhandel, aber auch mit einer Einladung an Amazon. Dr. Madeleine Pieger, Justiziarin  in der Münchner Rechtsabteilung von Amazon.de, kam am Vormittag zu einer Gesprächsrunde vorbei. Auf der Agenda: das Dauerthema Fake-Ratgeber.

Schnell zusammenkopierte Selfpublishing-Titel zu Trendthemen wie Backen oder Makramee fluten die Online-Plattform von Amazon und werden oft höher gerankt als Bestseller aus Verlagen. Was dann problematisch ist, wenn dies aufgrund falscher Rezensionen oder aufgrund einer falschen, möglichst exotischen Kategorie geschieht, damit das Buch den begehrten „Bestseller“-Status bekommt.

ChatGPT dürfte das Problem weiter verschärfen, weil sich Inhalte jetzt noch einfacher automatisiert erstellen lassen: „Wir müssen damit rechnen, dass die Bestsellerlisten systematisch durchgearbeitet werden“, warnte DK-Verlegerin Monika Schlitzer.

Die Ratgeberverlage fürchten nicht nur den finanziellen Schaden, sondern auch den Reputationsverlust für Ratgeber insgesamt. Kurzum: Es gibt ein ernsthaftes Problem.

Madeleine Pieger von Amazon.de würde allerdings lieber von einem „Phänomen“ als von einem Problem sprechen: Ein ähnlicher Selfpublisher-Boom sei in der Vergangenheit auch bei anderen Buchtrends wie Regionalkrimis oder Strandkorb-Romanzen zu beobachten gewesen, durch Corona habe sich der Schwerpunkt auf Back- und Do-it-yourself-Titel verlagert. „Deutschland ist eben ein sehr buchfreundlicher Markt mit vielen Hobbyautoren,“ meint Pieger.

Die Verlage dagegen vermuten hinter den „Schrottbüchern“ ein systematisches Geschäftsmodell, bei dem eben kein privates Hobby, sondern die Aussicht auf schnell verdientes Geld im Mittelpunkt steht – so wie das ARD-Magazin Plusminus schon 2020 und 2021 offenlegte (mehr dazu hier). 

Ist ein Verlag unsicher, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, kann er sich vorab an uns wenden. Wir stehen den Mitgliedern gerne beratend zur Seite.

Susanne Barwick, stellvertretende Justiziarin des Börsenvereins

Fragen der Verlage - und Antworten von Amazon

Im Gespräch mit Susanne Barwick, der stellvertretenden Justiziarin des Börsenvereins, stellte sich Madeleine Pieger bei der Tagung nun den drängenden Fragen der Verlage. Eine Zusammenfassung:

Warum können Selfpublisher darüber entscheiden, in welche Kategorie ihr Buch fällt, Verlage aber nicht?

Niemand könne die inhaltliche Kategorisierung besser vornehmen als der Autor selbst, so Pieger. Verlage wiederum hätten die Möglichkeit, die thematische Einordnung über die Metadaten zu steuern.

Sei ein Buch durch den Selfpublisher falsch einsortiert, können Nutzer der Plattform, denen das auffällt, dies per Mausklick über den Button „Falsche Produktinformation“ an Amazon melden. Innerhalb von 24 bis 48 Stunden werde der Fehler dann korrigiert, denn gemäß der Richtlinien von Amazon sei die Auswahl von Kategorien, die Kunden irreführen, nicht zulässig.

Neben „Me-too“-Produkten gibt es auch Selfpublishing-Titel, die ganz klar Urheberrechte verletzen. Was kann der Verlag in solchen Fällen tun – und was macht Amazon?

Geht es dem Verlag darum, den Titel schnell offline zu nehmen, sei Amazon die richtige Adresse, so Pieger. Bei einer offensichtlichen Urheberrechtsverletzung reagiere Amazon – und gebe im zweiten Schritt, falls ein Impressum fehle, auch Kontaktdaten und Verkaufszahlen heraus, damit der Verlag unter Umständen Schadenersatz gegenüber dem Selfpublisher geltend machen könne.

„Wir bewegen uns hier in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Urheberrecht“, daher komme dies nur bei eindeutigen Rechtsverletzungen in Betracht, so Pieger.

Warum dauert es manchmal so lange, bis Amazon auf anwaltliche Schreiben reagiert?

Oft würden Beanstandungen nicht an die richtige Anlaufstelle im Konzern geschickt, meint Pieger. Zuständig sei in diesen Fällen die Münchner Rechtsabteilung von Amazon.

„Ist ein Verlag unsicher, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, kann er sich vorab auch an uns wenden. Wir stehen den Mitgliedern gerne beratend zur Seite“, so Susanne Barwick von der Rechtsabteilung des Börsenvereins.

Hat häufiges Fehlverhalten Konsequenzen für Selfpublisher?

Ja, verspricht Madeleine Pieger. Würden zu einem Anbieter häufig Fehlermeldungen eingehen, dann werde der Selfpublisher angeschrieben. Je schwerer der Verstoß, desto härter die Reaktion von Amazon: „Das kann auch bis zur Kontosperrung gehen“. Schwarze Schafe gebe es immer.

Bevorzugt der Algorithmus von Amazon Titel, die über „Independently published“ veröffentlicht werden?

Amazons Algorithmus sei darauf ausgerichtet, Produkte anzuzeigen, die dem Kunden gefallen könnten – und differenziere nicht nach Verlag oder Selfpublisher, erläuterte Pieger – das System sei also „verlags-agnostisch“. Die Ratgeberverlage vermuten jedoch anderes: Für Amazon könnte das Geschäft mit den Selfpublishern der eigenen Plattform aufgrund höherer Margen einträglicher sein, mit entsprechendem Einfluss auf das Ranking.

If you see something, say something. Auch wir bei Amazon wollen ja ein schlechtes Kundenerlebnis unbedingt vermeiden.

Madeleine Pieger, Juristin bei Amazon.de

Warum lässt Amazon Fake-Rezensionen zu?

Auch hier empfahl Pieger: Falsche Rezensionen melden. Anders formuliert: „If you see something, say something. Wir wollen ein schlechtes Kundenerlebnis ja selber unbedingt vermeiden“. Amazon setze deshalb auf Programme und Prüfteams, um Rezensionsmissbrauch zu erkennen und zu beseitigen, und gehe deshalb längst auch gerichtlich gegen diverse Fake-Review-Anbieter vor. „Unser Problem ist nur: Das ist ein Riesenmarkt.“

Sieht Amazon die Gefahr, dass Kunden, die von einem Titel enttäuscht sind, am Ende gar keine Ratgeber mehr kaufen?

Amazons Ziel sei es immer, ein perfektes Einkaufserlebnis für Kundinnen und Kunden zu schaffen, so Pieger. Ihren Angaben zufolge gehen bei Amazon nur sehr wenige Kundenbeschwerden zu Selfpublisher-Ratgebern ein.

Wie wappnet sich Amazon gegen die zu erwartende Schwemme von Büchern, die durch künstliche Intelligenz generiert werden?

Kernfrage ist, ob ein Buchinhalt mit oder ohne Urheberrechtsverletzung entstehe. Klar sei: „Das Thema hat für uns höchste Priorität, auch mit Blick auf die unterschiedlichen urheberrechtlichen Regelungen in den einzelnen Ländern,“ so Madeleine Pieger.

Weil Piegers Antworten die Verlage längst nicht immer zufriedenstellten, will die IG Ratgeber das Gespräch mit Amazon in den nächsten Wochen in kleinerer, digitaler Runde vertiefen. Neben Ratgebern seien inzwischen ebenfalls Kinderbücher und Bildungstitel von Billigkopien betroffen, berichtete Susanne Barwick.

Demnächst soll der Umgang mit Fake-Büchern deshalb auch im Ausschuss für Verlage und im Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Mehr rund um das Thema lesen Sie hier:

Die Unterwarengruppe Hobby, Haus entwickelt sich nach wie vor gut – weil Spiele und Rätsel boomen.

Michael Zirn, frechverlag

So entwickelt sich der Ratgebermarkt 2023

Wie das Geschäft mit professionell produzierten Ratgebern aktuell läuft: Dazu hatte Michael Zirn einen Überblick vorbereitet (Basis: Media Control / Metis, anders abgegrenzt als im Branchen-Monitor Buch). Die wichtigsten Fakten:

  • 2022 ist der Umsatz mit Ratgebern um rund 4,3 Prozent geschrumpft – und damit nach zwei starken Jahren wieder auf das Vor-Corona-Niveau zurückgefallen.
  • 2023 hat sich das Geschäft erholt: Bis Kalenderwoche 17 schlägt ein kumuliertes Umsatzplus von 2,6 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres zu Buche. Das liegt vor allem am gestiegenen Durchschnittspreis (plus 3,9 Prozent).
  • Kräftigen Rückenwind hat das Segment Hobby,Haus, das 2023 bislang um 7,8 Prozent zulegen konnte – weil Spiele und Rätsel boomen.
  • Außerdem auf der Gewinnerseite im laufenden Jahr: Gesundheit (plus 3,5 Prozent), Spiritualität (plus 9,0 Prozent) und Lebenshilfe (plus 12,2 Prozent).

Wie geht es weiter mit dem Gemeinschaftsstand in Frankfurt?

Die IG Ratgeber diskutierte zudem über den Gemeinschaftsstand auf der Frankfurter Buchmesse, der 2022 in Halle 3.1 Premiere hatte und im Herbst in die zweite Runde gehen soll. Dabei gibt es zwei klare Verbesserungswünsche an die Messe:

  • Eine Platzierung in Halle 3.0, wo auch die Ratgeberverlage mit ihren eigenen Ständen angesiedelt sind
  • Eine Gestaltung, die einladender und inspirierender wirkt, wie Nicole Schindler vom Sprecherkreis deutlich machte.
  • Außerdem wünschen sich die Ratgeberverlage die „Gourmet Gallery“ zurück, die vor Corona mit ihren Kochshows und Buchpräsentationen ein echter Publikumsliebling war.

Safe the date

  • Wer das Treffen der IG Ratgeber in München verpasst hat: Die nächste Tagung findet am Dienstag vor der Frankfurter Buchmesse statt (17. Oktober).
  • Wer sich in der Interessengruppe engagieren will: Ansprechpartnerin beim Börsenverein ist Maren Ongsiek, ongsiek@boev.de. Mehr über die IG erfahren Sie hier.