Nachwuchsparlament 2022

Groß und Noichl sind die neuen Sprecher

18. Juli 2022
von Börsenblatt

Spannung bis ganz zum Schluss: Erst in der Stichwahl entschied sich im Nachwuchsparlament, wer zum Team der Sprecher:innen gehört. An den beiden Tagen wurde lebhaft über viele Themen debattiert..

Nachwuchssprecher 2022: Tobias Groß (links) und Florian Noichl

Zur Wahl gestanden hatten

  • Tobias Groß (Thalia in Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße), der nach dem Weggang von Sandra Vogel bereits Interims-Nachwuchssprecher ist
  • Kim Sauter, Auszubildende bei Penguin Random House.
  • Florian Noichl, Auszubildender in der BuchhandlungBuch-Lounge in Berlin Zehlendorf
  • Stella Joy Olleroch, Auszubildende bei Thalia in Langenfeld

Im ersten Wahlgang wurde Tobias Groß gewählt, Florian Noichl und Stella Joy Olleroch gingen in die Stichwahl, die Noichl gewann. Monika Kolb, Bildungsdirektorin des Börsenvereins, dankte der bisherigen Nachwuchssprecherin Jennifer Genneit. “Dass das Amt so gut ausgefüllt wird, liegt an Menschen wie Ihnen“, sagte Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs, „die uns Alten den Kopf waschen, aber dennoch nicht völlig tropfnass sind“. Wichtig sei das Dranbleiben an Veränderungsprozessen, die Geduld: „Früher dachte ich immer, wenn sich etwas nicht gleich verändert, dann verändert es sich doch nie … Aber dem ist nicht so.“ forderte auf, sich einzubringen, „auch in Kommentaren auf boersenblatt.net, das Börsenblatt ist auch Ihr Sprachrohr: Machen Sie sich als Nachwuchs sichtbar!“ Und zwar jede / jeder Einzelne, der fordert, appelliert, sich einsetzt, wie eine Parlamentarierin eindrucksvoll formulierte.

Rege Debatten: das Nachwuchsparlament 2022

Zukunftsperspektiven und Bezahlung

Gleiche Arbeit für weniger Geld: Das Dauerthema bewegte auch das Nachwuchsparlament, das am 17. und 18. Juli in Frankfurt-Seckbach tagte. Wenn Volontäre und Auszubildende übernommen werden, machen sie fast immer selbstständig dieselbe Arbeit wie Kollegen, die schon länger da sind – nur werden sie eben geringer entlohnt. Selbst im Volontariat mache man oft schon dieselbe Arbeit wie Festangestellte. Als Berufserfahrung wird ein Volontariat aber selten gewertet: „Bachelor, Master, Volontariat – wie hoch muss man eigentlich qualifiziert sein, um in einem Verlag arbeiten zu dürfen?“ Tobias Groß sagte, dass sich die Situation in den nächsten Jahren ändern werde, weil überall Fachkräfte fehlen: Dann müssen sich die Unternehmen bemühen. Die Perspektive für eine berufliche Zukunft war ein weiteres Thema, das dem Nachwuchs unter den Nägeln brennt: Die Aussicht auf eine Übernahme ist nach Ausbildung oder Volontariat nur selten gegeben. Die geringe Chance demotiviert – auf der einen Seite heiße es, es fehten Mitarbeiter, auf der anderen Seite werden die frisch Ausgebildeten nicht genommen: Berufserfahrung heiße hier erneut das Zauberwort – aber wie solle man die erwerben, wenn immer Bewerber mit Berufserfahrung vorgezogen würden? Reicht die Ausbildung überhaupt, um im nächsten Schritt im Beruf Fuß fassen zu können?

Vielfach debattiert im Nachwuchsparlament wurde neben Erfahrungen im Kundenkontakt zu Nachhaltigkeit die Belastung der Auszubildenden im Buchhandel während der Pandemie, die teilweise als einzige Mitarbeiter den Ladenbetrieb am Laufen halten mussten. Einerseits wurden viele Erfahrungen gesammelt, andererseits machte sich das nicht absehbare Ende der alleinigen Verantwortung auf die Gesundheit bemerkbar. Nur: "Es gibt Leute, die daran wachsen, und Leute, die daran zerbrechen - und es gibt niemand, den man dazu ansprechen könnte", brachte es ein Parlamentarier unter Applaus auf den Punkt. Weiteres Thema war die Rolle der Jugendauszubildendenvertretung und des Betriebsrats in größeren Verlagen und Buchhandlungen in einer Reihe von Wortmeldungen. Die Parlamentarier appelierten, sich zu beteiligen, um für die Belange des Nachwuchses aufmerksam zu machen. Sich mehr untereinander zu vernetzen, war hierbei ein wichtiges Stichwort..

Teamwork heißt nicht: Ich-Team und Du-Work

Was muss in unserer Branche passieren, um sie zukunftsfähig zu machen? fragte Marie Böhlke, Junior PR-Managerin im Börsenverein, was kann jeder einzelne tun, um etwas zu verändern? "Zukunftsmusik oder das Nachwuchsparlament 2032" war das Thema der Rede von Lena-Marie Burfien, Masterstudentin Buchwissenschaften an der Gutenberg-Universität Mainz. Sie appellierte an die Branche, Steine aus dem Weg in Richtung Zukunft zu räumen. Es werde sich zwar viel ausgetauscht, am Ende tue sich aber wenig. "Innovation ist die einzige Zukunft, die uns bleibt, das ist Konsens. Innovation sollte ebenso wie die Nachwuchsförderung kein dekorativer Begriff mehr sein, und kein leeres Marketingkonzept", so Burfien. Teamwork sollte sich nicht in Ich-Team und Du-Work übersetzen. "Wenn jetzt nicht die richtigen Maßnahmen eingeleitet werden bezüglich Nachhaltigkeit, Diversität und anderen wichtigen Themen, zugleich aber der Nachwuchs verprellt wird, wer sitzt dann beim Nachwuchsparlament 2032?" Wenn man wirklich laut werden wolle für die Nachwuchsmelodie, brauche es nicht viele Solisten, sondern ein Orchester, so Burfien unter standing ovations.

Am Sonntag bereits hatten sich die Nachwuchsparlamentarier in Workshops mit unterschiedlichen Themen auseinandergesetzt:

  • Design Agility – Kreativitätsbooster für innovative Ideen
  • Raus mit der (Körper)sprache
  • Content is king, video is queen
  • Green, greener, Bücher?! – Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen
  • Deine Zukunft in der Branche – Triff junge Führungskräfte
  • Klima im Kopf – Was die Krise mit uns macht

Was passiert in den Innenstädten?

Bei der Fishbowldiskussion über Verödung der Innenstädte debattierten die Teilnehmer:innen über die Veränderungen in Kaufverhalten und Kundenfrequenz. „Seit die Maskenpflicht gefallen ist, ist gefühlt wieder mehr los, die Umsätze sind wieder besser geworden, das Abholfach ist voll“, konstatierte Tobias Groß. Jetzt seien wieder mehr Veranstaltungen notwendig, um die Kunden verstärkt durch Events neugierig zu machen. Viele Buchhandlungen hätten zwar den 2019er Umsatz erreicht, aber mit weitaus mehr Einsatz; der buchhändlerische Mittelstand sei entspannter als die Großen in den Großstädten, weil sie vom Homeoffice profitieren, da gebe es Verlagerungen, so die Beobachtungen von Betriebsberaterin Stephanie Lange und: „Mit den Viellesern schaffen wir bessere Umsätze.“ Beim Einkaufsverhalten erlebe sie große Veränderung: „Das Produkt steht nicht mehr im Mittelpunkt. Mehr und mehr geht es um das Erlebnis vor Ort, das Gespräch über das Buch, die Inszenierung im Laden – das ist das Entscheidende. Wir müssen die Trigger draußen setzen, mit einer Rezension im Internet, auf Social-Media-Kanälen.“

Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, differenzierte zwischen zielgerichtetem Einkauf und Impuls-Einkauf: „Online-Kauf ist Zielkauf, im Laden stöbert man und kann wunderbar Neues entdecken – nur hier finden die Impulskäufe statt.“ Online sei für viele der bequemste Weg des Einkaufs: „Wenn Convenience so wichtig ist, müssen wir dafür sorgen, dass sie überwunden wird, dass die Sehnsucht nach dem Produkt Buch so groß wird, dass es die Kund:innen in die Buchhandlung treibt."

Nach den Erfahrungen von Jana Vorderwülbecke vom Kosmos Verlag sei inzwischen wieder mehr los, vor allem in den Stadtvierteln, „aber die Kund:innen geben sich verhalten und überlegen gerade mehr: Kauf‘ ich mir ein Hardcover für 25 Euro oder spare ich erstmal?“. Zwar würden in den Buchhandlungen die Bons größer, aber es kämen insgesamt weniger Kunden „– das ist langfristig eine eher schwierige Perspektive. Deshalb müssen wir die Innenstädte attraktiver machen, dass die Menschen auch wieder dort wohnen wollen.“ Wer wolle denn bei 35 Grad in eine aufgeheizte Innenstadt, gerade als älterer Mensch sei das dort kaum auszuhalten: „Die Innenstädte müssen grüner werden, es muss Spaß machen dort zu sein!“ Dem schloss sich Kraus vom Cleff an: „Es ist ja verrückt, wenn wir vor den Toren der Stadt immer neue Flächen versiegeln und in den Innenstädten passiert nicht. Wir müssen die vorhandenen Flächen besser nutzen und neu beleben.“

In der Diskussion kam auch der Kostendruck durch tägliche Belieferung zur Sprache. Groß vermutete, dass viele Kunden das gar nicht erwarteten, nicht täglich in der Innenstadt seien und entsprechend auch nicht so viele enttäuscht seien, und : „Was wir viel stärker vermitteln müssen, ist, dass jeder Bestellvorgang natürlich auch Kosten verursacht.“ Man müsse auch nicht jegliche nur erdenkliche Serviceleistung erbringen, sondern nur die, die zur eigenen Marke passen, mahnte Lange. „Und wir müssen sie kommunizieren. Es gibt überall die Übernachtbestellung, aber die meisten kennen sie gar nicht.“ Die zuvor angesprochene Bequemlichkeit bekomme man nur durch Erlebnis überwunden. Eine Stimme aus dem Publikum erinnerte daran, dass zur Attraktivität einer Buchhandlung auch die Barrierefreiheit gehöre; es gebe noch genug Läden, „die mit Tischen so vollgestellt sind, dass man mit Kinderwagen oder Rollstuhl nicht hineinkann. Diese Läden meidet man dann von vorneherein, sie werden als unbequem eingestuft.“

Kraus vom Cleff erinnerte an die jährliche Welttag des Buches-Aktion: „Sie ist für Buchhandlungen lohnenswert, auch wenn sie Arbeit macht. Aber wir haben 25 oder 30 Kinder, die in Kontakt zum Buchhandel kommen, die den Buchladen kennenlernen. Das ist eine Investition in die Zukunft, denn das werden die Kunden von Morgen sein.“