Jahreshauptversammlung LV Berlin-Brandenburg

Neue Dinge wagen

11. Mai 2022
von Holger Heimann

Auch bei der Jahreshauptversammlung des Landesverbands Berlin-Brandenburg war der Ukraine-Krieg präsent. Weitere Themen, die der Branche auf den Nägeln brennen, waren die Kostenexplosion in der Buchproduktion und das Ausbluten der Innenstädte.

Svetlana Lavochkina mit Verlagsmitarbeiter Holger Kretzschmar und einem Ukraine-Buch aus dem Trescher Verlag

Vor Wochen noch unbekannte ukrainische Städtenamen sind durch den Krieg traurig vertraut geworden. Saporischschja gehört dazu. Auch die Großstadt am Dnepr wird immer wieder beschossen. Die Schriftstellerin Svetlana Lavochkina, die gestern im Literaturhaus in Berlin aus ihrem gerade erschienenen Roman „Die rote Herzogin“ (Voland & Quist) las, der in die Ukraine zu Zeiten des stalinistischen Terrors führt, kommt aus Saporischschja. Als sogenannter jüdischer Kontingentflüchtling hat sie die Stadt schon vor 23 Jahren verlassen und lebt seither in Leipzig. Sie schreibt auf Englisch und erklärt das mit ihrer sowjetischen Geschichte, von der sie sich distanzieren musste. Als Russland die Ukraine überfiel, so erzählt sie, sei gerade ein Versroman von ihr für einen ukrainischen Literaturpreis nominiert worden. Sie habe daran gezweifelt, dass Literaturwettbewerbe jetzt noch von Belang seien. Doch aus der Ukraine entgegnete man ihr: „Die Literatur ist auch eine Front. Der Angreifer will, dass unsere Sprache verstummt.“ Die Juryarbeit wurde fortgesetzt, während auf Lwiw Bomben fielen. Lavochkina erhielt den zweiten Preis.

Mit dem eindrucksvollen Auftritt der Schriftstellerin begann gestern die Jahreshauptversammlung des Landesverbandes Berlin-Brandenburg. Die Situation in der Ukraine und die dramatischen Folgen des Krieges  blieben präsent im Literaturhaus. Der Verleger Andreas Rostek (edition. fotoTAPETA) rief dazu auf, eine Spendenaktion zu unterstützen: 10.000 ukrainische Bücher sollen an nach Deutschland geflüchtete Kinder gehen. Geplant ist, die Kinderbücher in der Ukraine zu kaufen und über Bibliotheken, Buchhandlungen, Schulen und Kirchengemeinden in Deutschland zu verteilen. Beteiligt an der Aktion sind die Kurt Wolff Stiftung und ukrainische Verlage. Bislang, so Rostek, habe man ca. 10.000 Euro eingesammelt, nötig seien 25.000 Euro.

Die Spendenbereitschaft in der Gesellschaft ist seit den Kriegsnachrichten und -bildern aus der Ukraine enorm, doch es stimmt auch, was die Vorsitzende des Landesverbands Berlin-Brandenburg, Martina Tittel, sagte: „In Krisen- und Kriegszeiten halten die Menschen ihr Geld beisammen.“ Die Deutschen konsumieren weniger, das heißt, sie kaufen auch weniger Bücher. Doch die Buchbranche ist nicht allein deshalb unter Druck. Die Kosten für Papier, für Logistik, für Personal und für Mieten steigen. Auch darauf wies Tittel hin und folgerte: "Wenn es den Verlagen gelänge, die Branche mit für den Markt verkraftbaren Preiserhöhungen zu unterstützen, könnten die vielfältigen Kostensteigerungen wenigstens teilweise abgefangen werden."

In Krisen- und Kriegszeiten halten die Menschen ihr Geld beisammen.

Zu den Auswirkungen der Pandemie zählt, dass die ohnehin rückläufige Kundenfrequenz in den Städten weiter gesunken ist. Tittel will dem unguten Trend etwas entgegensetzen und das Einkaufen attraktiver machen. In Städten sollten sich Arbeiten, Wohnen und Handeln wieder besser mischen, formulierte sie und forderte: „Wir müssen Städte und Quartiere mitdenken, präsent sein in Bürgerinitiativen, uns einmischen.“ Buchhändler seien schließlich Kommunikationsprofis, diese Kompetenz gelte es zu nutzen.

Ähnlich argumentierte der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins Peter Kraus vom Cleff, der zu Gast in Berlin war. Viele Menschen kämen kaum noch vom Sofa hoch, sie hätten es sich während der Pandemie angewöhnt, per Mausklick einzukaufen. Es sei daher umso wichtiger, „neue und andere Dinge“ zu tun, um Menschen wieder in größerer Zahl in die Innenstädte zu bringen, so Kraus vom Cleff, dessen Keynote nicht von ungefähr „Gemeinsam anders“ betitelt war, worunter er ausdrücklich mehr verstanden wissen wollte als das gemeinsame Agieren dreier Sparten.

Peter Kraus vom Cleff erklärt Seneca

Neben der Aufwertung der Städte will sich der Börsenverein verstärkt auch für Nachhaltigkeit engagieren, kündigte Kraus vom Cleff an und wies zugleich darauf hin: „Wir tun schon viel, wir vergessen das nur manchmal.“ Er ermunterte die versammelten Buchhändler und Verleger dazu, sich zu engagieren, Bücher unter die Leute zu bringen, Neues zu entdecken und davon zu erzählen. Schließlich habe schon der römische Philosoph Seneca gewusst: „Nicht weil es schwierig ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwierig.“