Die aktuelle Geschichte des Börsenvereins ist voll von Cliffhangern:
Da ist der plötzliche Twist:
Man glaubt, die in Brüssel haben verstanden: Künstliche Intelligenz - AI - braucht Regeln, der AI Act kommt, aber dann stellt sich heraus: die Interessen der Plattformen an urheberrechtlich geschützten Texten sind größer als ihre Bereitschaft, diese Rechte zu honorieren.
Und das Interesse der Politik an Techfirmen – auch an europäischen – ist größer als das am Erhalt einer content-produzierenden Infrastruktur…
Wird die Politik klug und weise sein und erkennen, dass Urheber:innen und Verlage gar nicht mauern, sondern nur Transparenz und faire Entlohnung einfordern, wenn ihre Texte zum Training von Large Language Modellen herangezogen werden? Und wird sie die Weichen dafür stellen? Oder wird es beim ungeahndeten Diebstahl bleiben?
Da ist der Countdown:
Der Tod der Innenstädte zeichnet sich ab, zu lange haben Städte und Gemeinden weggeschaut, als extreme Innenstadtmieten zum überall gleichen anonymen Handelskonzernmix führten und die kleinen Läden – das Salz in der Suppe - verdrängten.
Dann kam Corona – und plötzlich gähnende Leere in den Zentren. Wird es mutige Bürgermeister:innen geben, die kulturelle Einrichtungen, Buchhandlungen und partizipative Initiativen in Innenstädten und Ortskernen fördern, Vielfalt und eine soziale Durchmischung?
Der Weggabelungsmoment:
Eine schier unendliche Vielfalt an Verlagen, Programmen, Ausrichtungen und Prägungen beschert Deutschland eine faszinierende Bibliodiversität. Man feiert diese Vielfalt, aber – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – agieren viele dieser Verlage am Existenzminimum.
Verlagspreise bitten auf Bühnen, Banken gewähren aber keine Kredite auf die Hoffnung auf Preise. Wird eine verlässliche, dauerhafte und planbare Verlagsförderung – wie es sie in Österreich und der Schweiz gibt – rechtzeitig kommen, um ein Verlagssterben zu verhindern?
Das beunruhigende Detail:
Alles scheint klar: Kurz nach der Gründung des Börsenvereins wurde Land für Land die allgemeine Schulpflicht eingeführt, das Bildungsniveau stieg und stieg – und dennoch können heute ein Viertel der Grundschulabsolvent:innen nicht sinnentnehmend lesen. Sie verlieren damit den Anschluss. Nicht nur in Deutsch. Auch weit darüber hinaus im Bildungssystem – und in der Gesellschaft.
Wird eine längst überfällige, bundesweite, strategische Leseförderung eines der reichsten Länder der Welt vor einer fortschreitenden Bildungsmisere bewahren?
Der Rückgriff auf die Zukunft:
Eine dramatische Szene in der Zukunft zeigt, dass Schule (wie sie heute verstanden wird) schlecht oder gar nicht auf Karrieren in und auf die Gestaltung von einer digitalen Welt vorbereitet. Wird es Europa gelingen, High Potentials auszubilden und zu binden, um seine Vorreiter-Rolle in der Zukunft zu behaupten?
Der moralische Cliffhanger:
Hier geht es nicht um Action, sondern um ein Dilemma. Da gibt es eine gute Idee: Der weltweiten Entwaldung stellen wir eine Richtlinie entgegen. Mit europäischer Gründlichkeit kartografieren wir die Welt der Bäume und bauen daraus ein kleines Monster, das wir EUDR nennen. Super Idee, ein bisschen an der Realität in den Unternehmen vorbeigedacht.
Macht nix, ist für einen guten Zweck. Aber: Wie viel Bürokratie kann eine Wirtschaft stemmen, die vom Mittelstand geprägt ist? Wie viel eine Branche der kleinen Mittelständler wie die Buchbranche? Wann ist der Moment, wo das Bürokratiemonster seinen Sinn verfehlt?
Wir alle wissen, dass Habeck kein Untergangs-Prophet ist, sondern ein von soliden und solidarischen Grundsätzen geleiteter Realist. Diese Warnung erinnert an jede des früheren Bundestagspräsidenten Norbert Lammert bei den Buchhändlertagen 2006: „Die Buchpreisbindung ist nicht von der Politik bedroht, sondern von der Branche. Und wenn sie nicht Bestand haben sollte, suchen Sie die Ursachen in den eigenen Reihen." Es kann nicht ernsthaft das Ziel der Verlagsbranche sein, dass manche Verlage von staatlichen Stellen gefördert werden und manche nicht. Egal, wer die Regierung stellt – auf diese abschüssige Bahn sollten wir uns nicht begeben. Die deutschsprachigen Länder Österreich und Schweiz sind in einer vollkommen anderen Situation, da sie den größten Teil ihres Geschäfts in Deutschland machen und von daher sich strukturell in einem Nachteil befinden, der durch Verlagsförderung gemildert werden kann. Wir können doch nicht die Augen verschließen vor der wirtschaftlichen Grundregel, dass direkte Subventionen von Wirtschaftsbetrieben, die in einem freien Markt arbeiten, immer in den Sumpf führen. Generell sinnvolle Unterstützung der öffentlichen Hand wie Preisbindung und reduzierter Mehrwertsteuersatz muss es geben, und die kann und muss ergänzt werden durch strukturell wirksame Maßnahmen wie Ausbau von Bibliotheken, Unterstützung von Autorenauftritten in Schulen, Schutz der Urheberrechte, Förderstipendien durch staatsunabhängige Jurys. Da ist noch viel Luft nach oben – aber Gerangel um direkte staatliche Förderung ist das letzte, das gute Verlage brauchen.
Ulrich Störiko-Blume
danke für diese klare und eindeutige Stellungnahme, der ich mich anschließe. Solange bestimmte Werke von Firmen, Vereinen, Institutionen, Mäzeninnen und Mäzenen, Kommunen oder Ländern gefördert werden - und solange diese auch gekennzeichet werden -, freue ich mich für die entsprechenden Verlage, aber dass der Staat entscheidet, welche Verlage an seinen Tropf kommen, könnte sich, wie auch der Blick über den großen Teich zeigt, als höchst gefährlich erweisen. Ansonsten hast Du treffsicher aufgezählt, wo auch ich die Rolle der öffentlichen Hand sehe.