Auftakt zur Woche der Meinungsfreiheit

Nina George: "Informationsbrandmauern durchbrechen"

29. April 2022
von Sabine Cronau

 „Die Freiheit des Wortes unter Druck: Was können Medien- und Kulturschaffende tun?“ Darüber diskutierten am 29. April via Zoom unter anderem die Schriftsteller:innen Nina George und Sebastian Fitzek. Ein spannendes Panel über Fake News und Medienkompetenz als Schulfach.

Kampagnenmotiv mit Nina George

Die ganze Diskussion lässt sich hier auf Youtube abrufen. Neben Nina George und Sebastian Fitzek waren dabei:

  • Anna-Beeke Gretemeier (Chefredaktion „Stern“)
  • Ralf Nestmeyer (PEN-Zentrum Deutschland)
  • Margit Ketterle, bei Droemer Knaur Verlagsleiterin Sachbuch und im Börsenverein Sprecherin der IG Meinungsfreiheit
  • Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins.

Die Geschichte hinter „Märchenland für alle“

Wie sich die Meinungsfreiheit stärken lässt – dafür lieferte Anne-Beeke Gretemeier sehr konkrete Beispiele aus der Arbeit beim „Stern“: Das Magazin hat in Kooperation mit dem DK Verlag das Buch „Märchenland für alle“ in deutscher Übersetzung herausgebracht. Der Titel, der Märchen aus anderer, diverser Perspektive erzählt (etwa mit einem schwulen Prinzen und einer Prinzessin, die lieber Abenteuer erleben als heiraten will), darf in Ungarn nur eingeschweißt und unter der Ladentheke verkauft werden (mehr dazu hier).

Wir haben uns gefragt: Können wir noch mehr für das Buch tun als einfach nur über den Fall aus Ungarn zu berichten?

Anna-Beeke Gretemeier, Chefredaktion „Stern“

Ein „Stern“-Reporter hatte in Ungarn die Geschichte des Buchs recherchiert – und daraufhin stellte sich die Redaktion die Frage: Reicht es nur, über den Fall zu berichten? Oder können wir noch mehr für das Buch tun? Die Antwort: eine Übersetzung für den deutschsprachigen Raum. Alles in allem werde der Titel in 14 EU-Ländern erscheinen, so Gretemeier.

Nach Berichten von "Reporter ohne Grenzen" ist die Pressefreiheit weltweit so bedroht wie selten zuvor.

Nina George

Unterdrückten Stimmen wenigstens an anderer Stelle ein Forum zu geben: Eine Möglichkeit der Medien- und Kulturszene, um Zeichen für die Freiheit des Wortes zu setzen.

Diesen Weg will auch der European Writers´ Council mit einem neuen Projekt gehen, von dem Präsidentin Nina George berichtete. Unter dem Titel „Autor:innen helfen Autor:innen“ sollen Stiftungsgelder gesammelt werden, um kurze Texte von verfolgten Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine, aus Belarus und Russland in so viele Sprachen wie möglich zu übertragen: „Es geht darum, die Informationsbrandmauern zu durchbrechen“, so George.

Durch den Krieg in der Ukraine blicken wir im Moment vor allem nach Osten, auf Russland oder Belarus. Aber auch in der Türkei, in Eritrea oder Mexiko ist die Meinungsfreiheit extrem unter Druck.

Ralf Nestmeyer, PEN Zentrum Deutschland

Mehr Stipendien für „Writers in Exile“

Ralf Nestmeyer vom PEN Zentrum Deutschland berichtete unter anderem vom „Writers in Exile“-Programm, das verfolgten Autorinnen und Autoren aus aller Welt seit 1999 Zuflucht in Deutschland gibt und ihnen das Weiterarbeiten ermöglicht – mit Unterstützung der Kulturstaatsministerin. Zu den Stipendiaten gehört unter anderem die türkische Autorin Asli Erdogan. Die Zahl der Plätze solle demnächst von 12 auf 15 erhöht werden, kündigte Nestmeyer an.

Hassreden im Netz, bevorzugt gegen Frauen, aber auch Einschüchterungsklagen gegen Journalist:innen: Meinungsfreiheit ist nicht nur in anderen Ländern bedroht, auch in Deutschland gibt es Gefahren: In der jüngsten Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ rutschte Deutschland zuletzt von Rang 11 auf Rang 13 ab: „Besonders gewalttätig war das Jahr 2020, als Demonstrant*innen, die gegen Coronavirus-Beschränkungen protestierten, wiederholt Journalist*innen angriffen“, heißt es in dem Bericht, auf den die Runde hinwies. Die neue Rangliste für 2022 wird am 3. Mai veröffentlicht.

Die Freiheit des Wortes ist ein hohes, aber auch ein fragiles Gut.

Sebastian Fitzek

Medientraining in Schulen?

„Die Freiheit des Wortes ist ein hohes, aber auch ein fragiles Gut“, so Sebastian Fitzek. Im Zeitalter der sozialen Netzwerke sei jeder Mensch ein Medium und könne eine Millionenpublikum erreichen. Damit würden oft nicht Fakten, sondern Meinungen zur Grundlage von Meinungsbildung: „Das wollen und können wir nicht ändern – aber wir müssen es uns bewusst machen.“ Medientraining in den Schulen: Das würde sich Fitzek wünschen.

Der „Stern“ geht mit seinen Redakteur:innen bereits in die Schulen und versucht, die "Digital Natives" für Falschmeldungen zu sensibilisieren. Wenn die Schüler:innen erfahren würden, wie leicht sich ein „Stern“- oder „BBC“-Logo auf Bildern, Nachrichten oder Videos fälschen lasse und dass der „Stern“ inzwischen eine ganze Verifikationsabteilung beschäftigt, um Filme oder Fotos auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, gehe oft „ein Staunen und Raunen“ durch die Klassen, berichtete Gretemeier.

Medienkompetenz als Schulfach: Das würde auch der Börsenverein nur begrüßen, wie Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff deutlich machte. Schlüssel zu Meinungsbildung und Medienkompetenz sei jedoch erst einmal die Lesefähigkeit, die bei vielen Schulkindern gerade in der Corona-Krise sehr gelitten habe. Hier setze der Börsenverein mit seinen Leseförder-Initiativen wie dem Vorlesewettbewerb oder dem Welttag des Buches an.

Am Anfang von Meinungsfreiheit steht (Meinungs-)Bildung: Das machte ebenfalls Sebastian Fitzek deutlich, der auf die mehr als sechs Millionen Analphabeten in Deutschland hinwies.

Wir müssen das Thema Meinungsfreiheit endlich so groß denken wie es ist.

Margit Ketterle, Sprecherin der IG Meinungsfreiheit im Börsenverein

Das erste „World Expression Forum“

Margit Ketterle, Sprecherin der IG Meinungsfreiheit im Verband, erläuterte die verschiedenen Aktivitäten des Börsenvereins rund um die Freiheit des Wortes. Jüngstes Projekt, an dem sich der Verband beteiligt: Das „World Expression Forum“, kurz Wexfo, das am 30. und 31. Mai in Lillehammer stattfindet und zum „Davos der Meinungsfreiheit“ werden soll: „Wir müssen das Thema endlich so groß denken, wie es ist“, so Ketterle. Zu den Gastrednern gehört der russische Journalist und Friedensnobelpreisträger Dmitry Muratov: „Im Moment sieht es so aus, als dürfe er für seinen Vortrag ausreisen“, so Margit Ketterle (mehr dazu hier).

Bevor Ende Mai das „World Expression Forum“ stattfindet, lädt der Börsenverein aber in Deutschland erst einmal zur Woche der Meinungsfreiheit ein: Mit über 50 Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet will die Aktionswoche vom 3. bis 10. Mai die Bedeutung der Meinungsfreiheit und lebendiger Debatten für eine friedfertige und demokratische Gesellschaft in den öffentlichen Fokus rücken.

Bei der Woche der Meinungsfreiheit geht es uns nicht nur um symbolische Handlungen, sondern um ernsthafte inhaltliche Debatten.

Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins

Mehr zur Woche der Meinungsfreiheit

Zum zweiten Mal organisiert ein breites Bündnis aus 45 Partnern vom Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai bis zum Gedenktag an die Bücherverbrennung in Deutschland am 10. Mai unter dem Claim #MehrAlsMeineMeinung Diskussionen, Lesungen, Aktionen und Kampagnen. Zum Programm geht es hier. Inhaltliche Grundlage ist die „Charta der Meinungsfreiheit“, die Unterstützer:innen hier unterzeichnen können.

Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins: „In den kommenden Tagen wollen wir als breites gesellschaftliches Bündnis ein weit sichtbares Zeichen setzen: für Demokratie, die Menschenrechte und den Frieden. Dabei geht es uns nicht nur um symbolische Handlungen, sondern um ernsthafte inhaltliche Debatten. Wir freuen uns sehr, dass wir gemeinsam mit vielen Partnern ein so umfassendes Programm anbieten können und laden alle Bürger:innen ein, mitzudiskutieren, sich konstruktiv mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen und sich für demokratische Werte und den Frieden stark zu machen.“

Ausgewählte Veranstaltungen

3. Mai | Virtuelles Friedenskonzert zum Auftakt der Woche der Meinungsfreiheit

Viele Stimmen aus ganz Deutschland singen zusammen das Volkslied „Die Gedanken sind frei“. Eine Aktion der Initiative „3. Oktober – Deutschland singt“ zusammen mit dem Börsenverein. Anzusehen ab 3. Mai unter www.woche-der-meinungsfreiheit.de.

3. Mai, 15:00 Uhr | Diskussion: SLAPP-Klagen – eine Ohrfeige für die Meinungsfreiheit?

Mit Prof. Dr. Roger Mann (Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht), Gabriele Fischer (brand eins), Veronika Feicht (Umweltinstitut München), Bettina Behrend (Rettet den Regenwald e.V.), Peter Koppe (Handelsblatt, Leiter Recht), Tiemo Wölken (Mitglied des Europäischen Parlaments). Eine Veranstaltung des Börsenvereins zusammen mit der Anwaltssozietät Damm & Mann und brand eins. Ort: brand eins, Hamburg und Stream: https://vimeo.com/696039921

4. Mai, 13:15 Uhr, Paulsplatz Frankfurt am Main | Fototermin zum Auftakt der Kampagne

Mit Nina George (Schriftstellerin, European Writers’ Council), Karin Schmidt-Friderichs und Peter Kraus vom Cleff (beide Börsenverein), Ina Hartwig (Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main), Dirk Geßner (Ströer DERG Media GmbH). Anmeldung unter presse@boev.de.

4. Mai, 18:00 Uhr | Diskussion: Von der Informationskrise in den Informationskrieg: Wo bleibt die Meinungsfreiheit?

Mit Svenja Flaßpöhler (Philosophin und Publizistin), Irina Scherbakowa (Historikerin und Publizistin), Klaus Scherer (Autor der ARD-Dokumentation „Hass im Netz“) und Holger Stark (Die Zeit). Moderation: Stephan-Andreas Casdorff (Tagesspiegel). Eine Veranstaltung des Tagesspiegels zusammen mit dem Börsenverein. Stream: https://plus.tagesspiegel.de/meinung/tagesspiegel-diskussion-wie-steht-es-um-die-meinungsfreiheit-465234.html

7. Mai | Diskussion: Sprache. Macht. Politik. Literatur in Zeiten des Krieges.

Mit Stimmen aus der Ukraine: Marina Weisband (Autorin), Dmitrij Kapitelman (Autor) und Kateryna Mishchenko (ukrainische Verlegerin). Moderation: Jens Bisky. Eine Veranstaltung der Frankfurter Buchmesse zusammen mit dem Börsenverein, Deutschlandfunk Kultur, Hanser Berlin und dem S. Fischer Verlag. Abrufbar ab 7. Mai unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/literatur-krieg-meinungsfreiheit-ukraine-sprache-macht-100.html

9. Mai, 18:00 Uhr | Enthüllung des Mahnmals „Freiheit des Wortes“

Die drei Meter hohe Skulptur des Frankfurter Künstler Frank Tils auf dem mediacampus frankfurt will auf die Repressionen in vielen Staaten aufmerksam machen und gleichzeitig Hoffnung schaffen. Ort: mediacampus frankfurt, Frankfurt-Seckbach

3. bis 10. Mai | Ausstellung: Kinder kreativ zum Thema Meinungsfreiheit

Die virtuelle Ausstellung der Buchkinder Leipzig e.V., zeigt künstlerische Arbeiten von Kindern und Jugendlichen zum Thema Demokratie und Meinungsfreiheit. Abrufbar unter www.buchkinder.de