Jahrestagung IG Belletristik und Sachbuch

„Wir dürfen unsere Kräfte nicht mit Aufregung vergeuden“

21. Januar 2025
Sabine van Endert

Im Münchener Literaturhaus fand am Dienstag die Jahrestagung der IG Belletristik und Sachbuch statt – das "Davos der Buchbranche", wie Ulrike von Stenglin das Treffen recht treffend bezeichnete. Die Top-Themen: Herausforderungen im Sachbuchmarkt und Umsatz mit Community-getriebenen Genres.

Gutkind-Verlegerin Ulrike von Stenglin, die mit Jonathan Beck und Julia Eisele das Sprecher:innen-Trio der IG bildet, begrüßte die 180 Tagungsgäste zum "Davos der Buchbranche" - am Vorabend, dem 20. Januar, trafen sich die Verlegerinnen und Verleger bereits zu einem Abendessen hoch über den Dächern Münchens. Der 20. Januar wird auch als "Blue-Monday" bezeichnet, diversen Theorien zufolge sind die Menschen an diesem Tag im Januar am traurigsten, von jetzt an könne es also nur besser werden, so von Stenglin. 

Grußworte kamen von Vorsteherin Karin Schmidt-Friederichs (ihre für ehrenamtliches Engagement werbende Rede können Sie hier nachlesen) und Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, der die Leistungen des Börsenvereins für die Mitglieder in den Vordergrund stellte. Beide warfen einen Blick auf die Aktivitäten zum 200. Geburtstag des Verbands, die ihren Höhepunkt im Kongress "Neue Kapitel" am 5. und 6. Juni in Berlin finden (hier geht es zur Anmeldung).  

Mirjam Zadoff

Mirjam Zadoff

Mirjam Zadoff: „Wir dürfen unsere Kräfte nicht mit Aufregung vergeuden“

Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München, hielt die Keynote zum Thema „erschöpfte Demokratien“ – und erntete für ihre beeindruckende Rede über die Gefährdungslagen dieser Staatsform langanhaltenden Applaus. Nur noch 13 Prozent der Weltbevölkerung lebe in funktionierenden Demokratien, so Zadoff. „Das Jahr ist noch jung, es hat für mich und für viele andere mit einem Aufatmen geendet: 2024, ein Jahr mit viel Gewalt und politischen Enttäuschungen ist vorbei.“ Ihr inneres Ich habe ihr zugeraunt, sich nicht zu früh zu freuen, „und was ist nicht auch schon alles in den letzten drei Wochen passiert“. Sie verweist auf Herbert Kickl in ihrer Heimat Österreich, die Inauguration von Donald Trump und dessen unheiliger Allianz mit Elon Musk und anderen Tech-Milliardären, die anhaltende Desinformation im Netz, „die uns erschöpfen soll“, so Zadoff. Am Ende sei keine Kraft mehr da, sich gegen Ausfälle von Alice Weidel und anderen aufzulehnen. Zadoffs Appell: „Wir dürfen unsere Kräfte nicht mit Aufregung vergeuden. Widerstand will gelernt sein, demokratische Praktiken müssen geübt werden.“

Wie es sein kann, dass Menschen gegen ihre Interessen wählen? Schritt eins sei, das Volk zu entpolitisieren. An Demokratie würden zum Beispiel die Russen ohnehin nicht glauben, für sie gebe es frei gewählte Volksvertreter nur im Märchen. Und wie bringt man nun Menschen mit unterschiedlichen Meinungen zusammen? Voraussetzung dafür seien Begegnungen, Räume gegen die Vereinsamung: „Das Zeitalter der Sozialen Medien ist zugleich auch das Jahrhundert der Einsamkeit. Jede Buchhandlung, jede Bibliothek, jedes neu eingerichtete Lokal ist Teil einer Gegenbewegung“, so Zadoff. Eine der wichtigsten Übungen für die Demokratie aber sei das Lesen. „Lesen Sie jeden Tag eine halbe Stunde, eher mehr. Es wird Ihnen dann leichter fallen, sich zur Wehr zu setzen“, sagte die Historikerin.

Podiumsrunde zum Sachbuchmarkt

Podiumsrunde zum Sachbuchmarkt

Herausforderungen im Sachbuchmarkt

Christof Blome, Freier Lektor und Host des Sachbuch-Podcasts „Table of Content“, moderierte eine Diskussion zum Thema Sachbuchmarkt in Demokratie-gefährdenden Zeiten. Auf dem Podium: Charlyne Bieniek, Sachbuch-Lektorin bei dtv, Pascal Mathéus von der Hamburger Buchhandlung Wassermann, Sachbuchautorin Katharina Nocun, zugleich Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin, Anne Stadler, Programmleiterin Sachbuch S. Fischer, und Sebastian Ullrich, Programmleiter Sachbuch bei C. H. Beck.

„Flood the Zone with Shit“: Der Vorschlag von Trump-Berater Steve Bannon sei aufgegangen, so Blome in seiner Einführung zur Diskussion. Ein Grundkonsens über Fakten könne immer seltener hergestellt werden. Schlägt jetzt die Stunde des Sachbuchs? Nicht ganz, denn auf den Bestsellerlisten stehen auch Bücher, die Desinformationen verbreiten.

Der Sachbuchmarkt profitiere von den demokratie-gefährdenden Themen, das Debattenbuch, das politische Buch, sei sehr lebendig, so Anne Stadler für S. Fischer. Nicht nur die Thesenbücher, auch Hintergrundbücher würden zulegen, ergänzt Ullrich von C. H.Beck. Reaktionen auf Inhalte gehen bei C. H. Beck selten ein, falls doch, dann in Richtung „ich habe ein Sternchen entdeckt, ich kaufe nie wieder ein Buch bei Ihnen“.

Das bestätigt Pascal Matéus: Auch in der Buchhandlung werde selten über Inhalte geredet. Wie in vielen anderen Sortimenten auch habe das Buch von Angela Merkel bei ihm an der Kasse gelegen und es habe mehrere Kunden gegeben, „die es nicht aushielten, dass die ehemalige Bundeskanzlerin ihnen beim Bezahlvorgang zusah, und die ein anderes Buch auf das Cover gelegt haben“, erzählt der Buchhändler.

Wie sieht es mit der Gatekeeper-Funktion in den Verlagen aus? Sie würde - unter Wahrung „roter Linien“ – immer eine gewisse Breite befürworten, weil sie das Programm interessant machten, so Stadler. Auch Mathéus setzt auf vielfältige Stimmen. Er als Buchhändler sei darauf angewiesen, dass die Verlage ihre Gatekeeper-Funktion sehr gewissenhaft wahrnehmen: „Wir können nicht alles lesen, deshalb müssen wir uns auf Sie verlassen können.“ Er wolle keine Zensur betreiben, sondern mit allen im Gespräch bleiben – was sich seiner Meinung nach am besten bei Veranstaltungen realisieren lässt.

Und Social Media als neuer Resonanzraum für das Sachbuch? Sich auf ein Sachbuch einzulassen, sei das Gegenteil von Social Media, meint Charlyne Bieniek, dtv. Die Autorin Katharina Nocun allerdings erfährt in den Sozialen Netzwerken ein Maß an Anfeindung, das sie dazu zwingt, vor Lesungen nach Sicherheitsvorkehrungen zu fragen – woraufhin manche Veranstaltung abgesagt werde. Zugleich müsse man als Autorin auf Instagram & Co. präsent sein - „teilweise zu Lasten der physischen Unversehrtheit“, so Katharina Nocun.

Literature to Lovers – Bookfluencer und Community-getriebene Genres

Sehr viel mehr Freude in den Sozialen Netzwerken hat die Buchbranche im New Adult- und Belletristiksegment. Community habe man früher Zielgruppe genannt – und wenn über Liebesromane gesprochen wurde, „war uns egal wie viel Spice im Highlander-Schweiß noch mitschwingt“, so Timothy Sonderhüsken, zuletzt Verlagsleiter dotbooks und Moderator der zweiten großen Diskussionsrunde der IG BellSa 2025.

Lisa Strauß, Geschäftsführerin der Bücherbüchse, sieht den Unterschied zwischen Community und Zielgruppe im Miteinander. „Wir spielen ständig Content aus, die Community will wissen, was wir tun. Wir reagieren auf jede Nachricht. Die Leserinnen kommunizieren auf persönlicher Ebene mit uns, das heißt, wir erfahren viel über ihre Wünsche – die wir nach Möglichkeit auch erfüllen.“ Communitiy-Management sei extrem aufwendig und kostenintensiv, aber entscheidend für den Erfolg.  

Mona Lang, Programmleiterin Internationale Literatur bei Kiepenheuer & Witsch und auf Instagram unter @monalalong mit Buchvorstellungen erfolgreich, schaut, wie sie sagt, heute mehr ins Handy als in Manuskripte. 
Dort erfährt sie mehr über Trends – und zwar nicht nur aus dem Bereich New Adult. Es gebe weitaus mehr Communities, die es schnell zu bedienen gelte.

„Wir Buchhändler sind bei BookTok in der reaktiven Position, wir können die Trends nur zurück spiegeln, sagt Ruben Felder, Bookfluencer (@zeileninhalator) und Filialleiter von Thalia in Landshut.

Margit Schulze, Programmleiterin im Forever Verlag (Ullstein), macht gute Erfahrungen mit der zeitgleichen Vermarktung von Buch und Hörbuch in den Sozialen Medien. Mit 30 Bloggerinnen steht Forever im engen Kontakt. Die Frage: Was will die Community? „Wir müssen dann springen“, sagt Schulze. Verkauft werde das Buch über das Marketing, B2 B spiele beim schnellen Publizieren keine große Rolle mehr.

Eva Pramschüfer ist Journalistin, schreibt gerade an ihrem Debütroman und erklärt auf TikTok u.a. wie sie Klassiker liest, die so genannten Tropes wie „Enemies to Lovers“ oder „Friends to Lovers“ gebe es schließlich auch in den Romanen von Jane Austen. Die Sprungweite von New Adult zu Klassikern (und anderen belletristischen Titeln) wünscht der Buchhändler Ruben Felder sich geringer. Das werde aber wohl noch dauern, so seine Einschätzung.

Mona Lang hat erfahren: Ihre Community ist zu 92 Prozent weiblich, zwischen 25 und 45 Jahre alt – und würde gern wieder anfangen zu lesen, weiß aber nicht, mit welchem Buch der Einstieg gelingt. „Die finden das unangenehm von der Buchhändlerin etwas empfohlen zu bekommen, ein bisschen so Generation Drinnies“, vermutet Lang. Eine Rolle spiele auch „der Dünkel, den wir in Verlagen und Buchhandlungen manchmal so haben“. Ihr Rat an die Branche: „Stellt junge Leute für Social Media ein und lasst sie die Kanäle betreuen, die wissen, was sie tun.“