200 Jahre Börsenverein: Geburtstagsabend in Leipzig

"Wir sind Kultur. Und Politik!"

2. Mai 2025
Nils Kahlefendt

Was für ein Anlass, was für ein Fest! Der Börsenverein hat am Gründungsort Leipzig seinen 200. Geburtstag gefeiert. Auf dem Podium der Schaubühne Lindenfels gab es dabei auch viele nachdenkliche Töne. Die schönsten Bilder und Momente für alle, die nicht nach Leipzig kommen konnten.

Die Schaubühne Lindenfels ist immer Schauplatz zahlreicher Kulturveranstaltungen, auch der Buchbranche

Die demokratische Kraft von Büchern

1925, zum 100. Geburtstag des ältesten Branchenverbands Europas, hielt kein Geringerer als Thomas Mann die Festrede („Das deutsche Buch“) – zu einer Zeit, da „die äußere Reichseinheit erhalten ist, es aber um die innere Einheit so schmerzlich und gefährlich“ stehe

Kommt einem irgendwie bekannt vor. Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Die Linke) schlug hundert Jahre später in ihrem Grußwort zur Feier des Börsenvereins-Geburtstags andere, gleichwohl eminent politische Töne an: „Bücher können Demokratien nicht retten“, sagte Jennicke, „aber die Bücher-Angst von Despoten und Autokraten gibt Aufschluss über die demokratische Kraft von Büchern.“ 

Leipzig ist ein guter Ort, um von dieser Kraft zu erzählen: Die Leipziger Buchmesse war immer auch Umschlagplatz für verbotene, zensierte Bücher. Die Demokratiegeschichte, auf die die Stadt zurecht stolz ist, ist immer eng mit ihrer Buchtradition verbunden gewesen. 

Die Gründung des Börsenvereins vor genau 200 Jahren ist dafür nur ein, wenn auch sehr prominentes Beispiel. Und was wünscht Jennicke dem Jubilar? „Kampfgeist, Durchsetzungsvermögen und Innovationskraft für die Buch- und Verlagsszene. Es steht vieles, es steht viel auf dem Spiel. Leipzig dürfen Sie dabei an Ihrer Seite wissen.“

Ich wünsche dem Börsenverein Kampfgeist, Durchsetzungsvermögen und Innovationskraft für die Buch- und Verlagsszene. Es steht vieles, es steht viel auf dem Spiel. Leipzig dürfen Sie dabei an Ihrer Seite wissen.

Skadi Jennicke, Kulturbürgermeisterin von Leipzig

Skadi Jennicke, Kulturbürgermeisterin der Stadt Leipzig

Zwischen Zeilen und Zeiten

Rund 300 Gäste aus der Verlags- und Buchwelt, viele von weither, sind an diesem fast frühsommerlich warmen Abend in die Schaubühne Lindenfels gekommen, um den Geburtstag des Börsenvereins am Ort der Gründung zu feiern. Der festliche Abend findet eine Woche nach der Eröffnung der Ausstellung „Zwischen Zeilen und Zeiten“ im Deutschen Buch- und Schriftenmuseum statt

Kleiner Einschub: Die durch Zuwendungen von zwei Dutzend Verlagen, Institutionen und Einzelpersonen aus der Branche möglich gewordene, bilderreiche Publikation „Zwischen Zeilen und Zeiten. Buchhandel und Verlage 1825 – 2025“ (Wallstein) mit über 200 kurzen Essays zur Geschichte des Börsenvereins sei hier wärmstens empfohlen (mehr dazu hier). Anfang Juni wird in Berlin mit dem Branchen-Kongress „Neue Kapitel“ weitergefeiert (Anmeldung und Programm hier). Die Stadt Leipzig hat anlässlich des Börsenvereins-Jubiläums das Themenjahr „Mehr als eine Geschichte. Buchstadt Leipzig“ initiiert (ein Interview mit Skadi Jennicke dazu hier).

Der Börsenverein hat verstanden!

Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs über die Lehren aus der NS-Zeit

Katrin Schumacher, MDR Kultur, moderierte den Abend

Gespräch mit Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs und Christoph Links (Verlagshistoriker und Publizist, Mitglied Historische Kommission des Börsenvereins) 

Podium in der Zeitmaschine

In einer ersten der zwei von Katrin Schumacher (MDR) moderierten Talk-Runden vor der Party setzten sich Karin Schmidt-Friderichs und Christoph Links in die Zeitmaschine. Die zweite weibliche Börsenvereins-Vorsteherin in 200 Jahren und der Ex-Verleger und Verlags-Historiker musterten den Branchenverband und seine politische Haltung über die Jahrhunderte im Schnelldurchgang. 

Zwar sei der Ur-Impuls zur Gründung ein „praktisch-kommerzieller“ gewesen, so Links, rasch seien jedoch Fragen nach dem Schutz von Urheberrechten und vor Zensur hinzugekommen. Die „Anbiederung schrecklicher Art“ des Verbands an die NS-Machthaber erklärt der Historiker unter anderem mit der ökonomischen Schieflage, in dem sich Branche und Verein in den 1920er Jahren befanden. 

Für das Angebot der Diktatur, die Pflichtmitgliedschaft für alle Buchhandlungen im Börsenverein durchzusetzen, den Buchexport zu fördern oder Schutzfristen zu verlängern, glaubte man, demokratische Prinzipien über Bord werfen zu können. Eine fatale Fehlentscheidung. 

Am Ende kehrte der von Deutschland entfesselte Krieg zurück, waren Leipzig und das Grafische Viertel zerstört, gab es ein geteiltes Deutschland und zwei Börsenvereine. Die nach der friedlichen Revolution allerdings „schneller als Schriftstellerverbände und PEN-Zentren“ wieder zusammenfanden. 

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Geschichte für heute? „Der Börsenverein hat verstanden“, sagt Karin Schmidt-Friderichs. Erstes, deutliches Signal war die Einrichtung des Friedenspreises Anfang der 1950er Jahre; heute wird etwa die Woche der Meinungsfreiheit jährlich von der 2023 gegründeten Stiftung Freedom of Expression ausgerichtet. „Wir sind Kultur“, sagt Schmidt-Friderichs. „Und Kultur ist immer auch Politik.“ 

Christoph Links machte darauf aufmerksam, dass der Verband aus sich selbst heraus immer wieder kulturelle Aufgaben übernommen hat – so etwa die Gründung der Deutschen Bücherei in Leipzig. „Es gab eben vorher kein Reichspflichtexemplarabgabegesetz“, so der Verlagshistoriker, mit Freude am Zungenbrecher.

Trends bringen Gegentrends mit sich, wenn sie einen bestimmten Kipp-Punkt überschreiten

Transformationsexpertin Maja Göpel über die Digitalisierung

Christoph Links (Verlagshistoriker und Publizist, Mitglied Historische Kommission des Börsenvereins) 

Bijan Moini (Autor und Bürgerrechtler) neben Maja Göpel 

 

Kommunale Buchhandlungen?

Nach Buch-Visionen für die Zukunft suchten in einem zweiten Panel die Transformations- und Nachhaltigkeitsexpertin Maja Göpel, die Leipziger Verlegerin Annika Bach (Seemann Henschel) und der Schriftsteller, Sachbuchautor und Jurist Bijan Moini („Der Würfel“, Atrium 2019). 

Was die Zukunft des guten, alten Leitmediums anbelangt, gab sich Moini, der im Herbst bei Atrium die Dystopie „2033“ veröffentlichen wird, optimistisch: „Selbst Influencerinnen, die sonst ununterbrochen Videos produzieren, bringen am Ende des Tages ein Buch heraus.“ 

Auf grassierende Buchhandlungs-Schließungen angesprochen, wagte Annika Bach die auch an diesem Abend immer wieder als höchst dringlich angesprochene strukturelle Verlagsförderung weiter zu denken, etwa in Richtung „kommunaler Buchhandlungen“ in abgehängten Regionen. Die Politökonomin Göpel, die in solchen Runden routiniert zu großer Form aufläuft, träumte gar von regelrechten „Kulturversorgungs-Zentren“

Und wo sehen wir, etwas bescheidener, das Buch in zehn Jahren? „Jeder Satellit hat einen Killersatelliten“, dichtete einst Sascha Anderson. „Trends bringen Gegentrends mit sich, wenn sie einen bestimmten Kipp-Punkt überschreiten“, weiß die Transformations-Expertin Göpel, BuchTok und Silent-Reading-Clubs lassen grüßen. 

Nach jeder letzten Seite folgt: Ein neues Kapitel.

Momentaufnahmen vom Empfang

Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs und Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff im Gespräch

 

Volles Haus!

In Leipzig wurde geredet - und auch viel gelacht

Fachverleger Jürgen Hogrefe (links) mit Jo Lendle (Mitte) und Michael Justus (beide Hanser Verlag)

Unter den Gästen: Dieter Wallenfels. Der inzwischen 90jährige hat die Branche seit 1964 begleitet, davon viele Jahre als Preisbindungstreuhänder der Verlage

Aus Berlin angereist: Martina Tittel, Inhaberin der Nicolai'schen Buchhandlung und beim Börsenverein Vorsitzende des Landesverbands Berlin-Brandenburg

Anmerkung: Um historisch genau zu sein, hat Thomas Mann seine eingangs erwähnte Festrede im Herbst 1925 gehalten - zur Eröffnung der Buchwoche in München, aber aus Anlass des Jubiläumsjahres.