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Abschied

22. Mai 2025
TONI HECHT

Jede Zeit hat ihre großen Romane. Dieser hier wurde nie veröffentlicht – bis jetzt: "Abschied" von Sebastian Haffner. 1932 innerhalb weniger Tage zu Papier gebracht, lange verschollen und posthum veröffentlicht, ist dieser Roman eine der großen Entdeckungen dieses Jahres: ein atemloses, rauschhaftes Buch über das Jungsein, die Liebe und den Schmerz. 

Der, der hier schreibt, hat keine Zeit zu verlieren: Der junge Rechtsreferendar Raimund ist aus Berlin nach Paris gereist, um seine Freundin, die lebensfrohe, allseits umschwärmte Studentin Teddy, zu besuchen. Es sind die Jahre zwischen den Kriegen, in denen das Leben noch leuchtet, aber düstere Zukunftsahnungen ihre Schatten bereits in die Gegenwart werfen. Gemeinsam mit einer Gruppe junger Menschen ziehen Raimund und Teddy durch Paris und feiern das Leben und die französische Freiheit.

Eine Liebe in Paris

Raimund ist verliebt. Nicht nur ein bisschen. Es ist diese Art von Liebe, bei der die Zeit stehen bleibt. Raimund spürt dem Gefühl nach: "Was empfindet man eigentlich in so einem Augenblick? Rausch? Vergessen? Das große Glück? Ich weiß es nicht. Ich glaube Heimkehr", schreibt er. Das Gefühl ist umso intensiver, da die Abreise naht, Raimund muss nach Berlin zurück. Es bleiben wenige Stunden – eine Nacht und ein Tag – und das intuitive Wissen, dass dieser Abschied für immer ist: Die Beziehung mit Teddy ist vorbei.

Atemlos und mit hoher innerer Taktung hält der Roman "Abschied" fest, was enden wird. "Zum Schluss, wenn man sich endlich wieder klargemacht hat, dass es eben doch vorbei ist, ist man in einem Zustand, als hätte man sich die Seele irgendwo festgeklemmt. Es tut schrecklich weh, beinahe wie ein geklemmter Finger."

Vom Juristen zum Chronisten seiner Zeit

Wer verfasste diese Zeilen, die auf so zarte und gleichsam ins Mark treffende Weise inneres menschliches Erleben nach außen bringen? Sebastian Haffner, geboren 1907 in Berlin, war 24 Jahre alt, als er "Abschied" schrieb. Den herannahenden Nationalsozialismus konnte er damals allenfalls erahnen. Sein Lebensweg würde maßgeblich davon geprägt werden: Der studierte Rechtswissenschaftler konnte seinen Beruf als Jurist im Nationalsozialismus nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Er wurde Journalist und emigrierte 1938 nach England, wo er unter anderem seine ebenfalls erst postum veröffentlichte "Geschichte eines Deutschen" verfasste. 1954 kehrte er zurück nach Deutschland und wurde mit Werken wie "Anmerkungen zu Hitler" ein zentraler Publizist der Bonner Republik. Sebastian Haffner starb 1999.

Sebastian Haffner

Ein großes Glück: Der Nachlassfund "Abschied"

Dass "Abschied" von Haffners Sohn im Nachlass gefunden wurde und Jahrzehnte später veröffentlicht wird, ist nun ein großes Glück. Der Roman zeigt uns einen Haffner, den wir bisher nicht kannten: verletzlich, suchend, schwärmend, jung. In Teddy, die im wahren Leben Gertrude Joseph hieß, hatte sich Sebastian Haffner bereits vor 1932 in Berlin verliebt und sie öfter in Paris besucht. 1934 erwog er sogar, dorthin ins Exil zu gehen, bevor es ihn nach London verschlug. Mit Joseph, die später nach Stockholm floh, blieb er in Kontakt. "Abschied" ist ein zeitloses Bekenntnis seiner großen Liebe zu dieser Frau.

Darüber hinaus ist der Roman auch ein politisches Zeitdokument mit tragischer historischer Tiefenschärfe: Übermütig scherzen die jungen Menschen in "Abschied" über einen Zukunftskrieg, über Maschinengewehre, Gasbomben und Flammenwerfer – und feiern umso intensiver das Leben. Vorahnung und Ahnungslosigkeit klingen gleichermaßen durch diese Zeilen, sie könnten fast wie eine Mahnung wirken, stets mit allem zu rechnen. 

"Ich hatte mir zu viel von dieser Reise versprochen. Was eigentlich alles? Wahrscheinlich Wunder.", sinniert Raimund in "Abschied". Von der Lektüre dieses großartigen Buches wird keine Leserin und kein Leser zu viel erwarten. Dieser Roman hält jedes Versprechen.

 

Abschied
Sebastian Haffner
24,- € (D)
ISBN 978-3-446-28482-1
HANSER