Interview mit Carel Halff im Herbst 2020

"Ruhestand ist nicht mein Plan"

27. September 2020
von Christina Schulte

Carel Halff hat die Buchbranche entscheidend mitgeprägt. Jetzt verlässt er Bastei Lübbe, denkt aber nicht ans Aufhören. Zeit für ein Fazit.

Carel Halff

Sie waren jetzt fast 50 Jahre in der Buchbranche tätig. Welches sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Disruptionen der letzten fünf Dekaden?
1. Die Entwicklung einer bildungs­bürgerlichen und verklemmten Nachkriegswelt zu einer offenen, liberalen und global denkenden Gesellschaft. Ein Genuss.

2. Die selbst verursachte Bedeutungsschrumpfung der christlichen Kirchen und der Gewerkschaften. Ein Jammer.

3. Die neuen Möglichkeiten der ­Vernetzung, der Kommunikation und der Prozessgestaltung durch die digitale Technik. Ein Segen.

Wie würden Sie das Miteinander und den Umgang in der Branche beschreiben: heute – im Vergleich zu früher?
Die Umgangsformen sind etwas lockerer und kollegialer geworden, der harte wirtschaftliche Kampf ist immer gleich geblieben. Nur die Teilnehmer haben gewechselt. Eine »gute alte Zeit« gab es nie.

Welche Managementscheidung hätten Sie im Nachhinein anders getroffen?
Zu den großen Entscheidungen stehe ich bis heute. Sie waren sorgfältig erwogen und vorbereitet, auch wenn einige sich im Nachhinein als Flops und Misserfolge herausstellten. Zum Beispiel noch bei Weltbild die Errichtung einer Buchgesellschaft in Russland nach Perestroika und Glasnost. Russland hat sich anders als erwartet entwickelt und das Vorhaben wurde zum Flop. Fehler habe ich als Manager viele gemacht. Zu früh, zu spät, zu klein, zu groß investiert. An falsche Menschen geglaubt etc. Aber da ich erkannte Fehler sofort korrigiere, vergesse ich sie auch sofort wieder.

Wen und was aus der Buchbranche werden Sie in Ihrem Ruhestand vermissen?
Ruhestand? Das ist nicht mein Plan. Ich habe großen Respekt vor meinem Lebensalter und werde sicher nicht mehr alles machen, was man besser mit 40 oder 50 macht. Drei Monate stehe ich Bastei Lübbe noch als Berater zur Verfügung und bin an ca. zwei Tagen pro Woche in Köln. 2021 bin ich dann wieder als freier Berater im Medien-, Handels- und Bekleidungsbereich unterwegs – und ja, bei allem Wehmut über den Abschied bei Bastei Lübbe freue ich mich auf neue Anfragen und Aufgaben.

Bei Weltbild galten Sie vielen als »Billigheimer« und bei Bastei Lübbe als »Sparfuchs«. Fühlen Sie sich damit hinreichend beschrieben?
Bei Weltbild wollte ich die damaligen Nr. 1 und 2 im Markt, den Bertelsmann Buchclub und die Warenhäuser, vom Thron stoßen. Bei Bastei Lübbe ging es um nacktes Überleben. Als Manager spiele ich eine Rolle auf Zeit. Wir neigen als Branche dazu, Rollen mit Personen zu verwechseln. Meine persönlichen Interessen liegen bei den Geisteswissenschaften, aber das hat in meinem beruflichen Alltag nichts verloren.

Das Einkaufsverhalten ändert sich, zuletzt beschleunigt durch die Corona-Krise. Wo sehen Sie den stationären Buchhandel in zehn Jahren?
Menschen mögen Menschen, gerade die aktuellen Beschränkungen durch Corona haben uns das bewusst gemacht. Die Endlos-Filialisierung und die sterilen Einkaufscenter haben dem Einzelhandel vielleicht mehr genommen als der Onlinehandel. Der Einzelhandel und der Buchhandel werden in neuer Form neu erfunden werden. In Utrecht, Arnheim, Innsbruck, und nicht nur dort, sieht man erste Vorläufer. Intelligente Concept-Stores mit Büchern oder rund um Bücher reüssieren gewaltig. Hier sind jetzt wieder Entrepreneurs gefragt.

Welche Eigenschaften muss man mitbringen, um in der Buchbranche zu erfolgreich zu sein?
Neugier, Lust auf Neues, Mut zum Risiko, Liebe zu Büchern und ehrliche Wertschätzung der Leserinnen und Leser. Aufsteigend in dieser Reihenfolge.

Welchen Tag in Ihrem Berufsleben werden Sie nie vergessen und warum?
Die Gesellschafterversammlung bei Weltbild Anfang 2014 vor der Insolvenz­anmeldung. Warum? Hier schweigt der Gentleman.

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