Bremen

Das 55. Weihnachtsgeschäft!

27. Dezember 2023
von Stefan Hauck

Das kommt nun wirklich nicht alle Tage vor: Gerade hat die Bremer Buchhändlerin Irene Nehen (Buchhandlung Melchers) ihr 55. Weihnachtsgeschäft hinter sich. Wie es gelaufen ist, was sich geändert hat und was ein Eisregen, Cognac und Ehepaare vorm Abholfach damit zu tun haben, erzählt sie im Interview.

Irene Nehen

Frau Nehen, wie war das diesjährige Weihnachtsgeschäft?
Schon anstrengend, man ist hinterher immer rechtschaffen müde, aber zufrieden. Ich war von morgens um sieben bis abends halb acht im Laden, nicht alleine, nein, meine Mitarbeiterinnen waren ebenso früh zur Stelle, damit die Lieferungen bei Ladenöffnung für die Kunden parat und zu einem großem Teil geschenkmäßig verpackt waren. Der Anspruch der Kunden auf verpackte Geschenke ist größer geworden. Aber es hat alles gut geklappt. Es gab nichts, was die Abläufe behindert hätte – wenn im Abholfach ein Buch falsch einsortiert ist, kann daraus ja schnell mal eine Warteschlange werden … Dieses Jahr hat im Prinzip eine Adventswoche gefehlt, und dadurch waren die Kunden viel gelassener – interessanterweise werden die Kunden sonst oft zwischen dem dritten und vierten Advent hektischer. Und nach den Pandemiejahren gab es in diesem Jahr auch keine Einschränkungen mehr, die Verweildauer im Laden ist wieder länger gewesen, die Kunden haben mehr in Ruhe gestöbert. Vom Umsatz her habe ich das Vorjahresniveau gehalten, da bin ich dankbar.

 

Wenn Sie auf 55. Weihnachtsgeschäfte zurückblicken: Was gleicht sich?
Eigentlich verläuft die Adventszeit immer relativ ähnlich: Die Regale sind rappelvoll, die Warenumschlagsgeschwindigkeit ist rasant, ein paar Bücher werden zu Bestsellern, mit denen keiner gerechnet hat, dafür bleiben bestsellerverdächtige Titel liegen – und dann wird durch Empfehlungen ein bestimmtes Buch so nachgefragt, dass man mit den Nachbestellungen kaum hinterher kommt. Aber in all den Jahren haben die Barsortimente eigentlich immer ordentlich geliefert, klar, ab und an fehlt mal eine Kiste, aber am Ende ist dann doch alles da. In der Adventszeit müssen wir nach wie vor aufpassen, dass die sich ja auch gegenseitig beschenkenden Ehepartner getrennt abholen und nicht der Titel aus dem Abholfach gezogen wird, der als Überraschung für unterm Tannenbaum gedacht war … Und in unserer kleinen Buchhandlung können wir auch ab und an vorsichtig "abraten", wenn Frau schon gekauft hat, was Mann gerade bestellen will. Das hat schon sehr nette Situationen ergeben.

 

Und was war früher anders?
Früher hatten die Kunden klarere Vorstellungen vom Inhalt eines Buchs, waren aber auch nicht so auf einen bestimmten Titel fixiert. Es gab zwar auch die Schlagwortverzeichnisse in den Katalogen, die mehrbändig waren und Hunderte von Seiten hatten, aber wenn der Kunde den Titel nicht genau im Kopf hatte, war die Wahrscheinlichkeit ihn zu finden eher gering. Aber es musste auch meist nicht dieser eine Titel sein, die Kunden ließen sich gerne beraten und verließen sich dann auf unsere Empfehlungen. Was auch anders ist: Seit 28 Jahren bin ich selbstständig und da gucke ich jeden Tag im Advent natürlich ganz anders auf die Zahlen als zu der Zeit, als ich noch angestellt war.

 

Gab es besondere Ereignisse in diesen 55. Weihnachtsgeschäften?
Am Heiligabend 2002 gab es Blitzeis, die Leitungen der Straßenbahnen waren durch den Eisregen  gefroren, die Straßen spiegelglatt, Autos sind mehr gerutscht als gefahren. Da war es bei uns fast menschenleer und es kamen verständlicherweise nur wenige Leute in den Laden. Das war schon absolut ungewohnt, weil es sonst ja immer rappelvoll ist. Und mir fällt noch ein anderer Moment ein, 1995, da hatten wir zu DM-Zeiten in unserer Buchhandlung einen sechsstelligen Umsatz gemacht. Es war, wie in diesem Jahr, Samstag der 23. Dezember, der letzte Einkaufstag vor Weihnachten. Damals gab es noch die sogenannten “langen Samstage” vor Weihnachten. Hinterher haben alle gesagt: Gut für die Kasse – aber bitte nie wieder! Denn dass man am 24. Dezember schlagkaputt ist, gehört zum Weihnachtsgeschäft dazu – bloß so fix und fertig wie damals waren wir alle noch nie gewesen.

 

Erinnern Sie sich noch an Ihr allererstes Weihnachtsgeschäft?
Damals haben wir abends nach Ladenschluss Berge von Durchschriften der Kassenzettel  durchgesehen und anschließend beim Bremer Barsortiment Döll Bücher telefonisch nachbestellt; es gab ja noch keinerlei Warenwirtschaftssysteme. Das Barsortiment war zu Fuß etwa 20 Minuten und als Lehrmädchen musste ich da manchmal auch zwischendurch tagsüber hinlaufen und Bücher abholen, wenn Dr. Wichtig drängelte. Und wenn wir die ganzen Kassenzettel abgearbeitet hatten, haben wir mit dem Chef einen Cognac getrunken.

 

Gibt es bestimmte Rituale?
Es gab lange Jahre ein nettes: Der Inhaber von Libri, Kurt Lingenbrink, hat grundsätzlich am 23. Dezember angerufen und mir frohe Weihnachten gewünscht. Inmitten der Weihnachtsgeschäft-Hektik habe ich da nie dran gedacht, aber wenn es dann hieß: "Herr Lingenbrink möchte Sie sprechen" war die Freude groß. Es sind ja meist die kleinen menschlichen Momente, die in unserer Branche so wichtig sind.  Und natürlich gibt es für mein tolles Team am Abschluss immer ein Glas Sekt und einen kurzen Austausch über die vergangenen Wochen.