MEINUNG - Martina Bergmanns Kolumne

"Dem Schönen gilt Aufmerksamkeit"

29. Juni 2020
von Börsenblatt

In Corona-Zeiten sollte die Kunst in den Buchhandel geholt werden, meint Buchhändlerin Martina Bergmann und ruft ihren Kolleg*innen zu: "Machen Sie Ihre Buchhandlung schön! Für Ihre eigenen Augen, für die Seele und natürlich für die vielen Kunden". 

Es ist mit der Kunst in Borgholzhausen und überhaupt in Ostwestfalen nicht allzu weit her. Ich vermute, in anderen Provinzstädtchen ist das nicht anders; zumindest schien es mir auf der Lesereise so. Wenn man Glück hat, kümmert sich eine lokale Initiative um die ästhetischen Belange. Mit viel Fortune sind es sogar Leute, die davon etwas verstehen. Provinz bleibt aber Provinz, und wenn dort künstlerisch etwas Nennenswertes geschieht, geht es fast immer ursprünglich von der Metropole aus. Warum auch nicht.

Als Jugendliche in Bildern gründlich gelangweilt, fand ich beinah das Schönste an meinen Studienorten, dort Kunst zu betrachten. Kunst, die ich mochte und solche, die mir nicht gefiel. Ich lernte, Kunst ist mehr als das Bild an der Wand. Kunst ist neben Malerei auch Plastik, Bildhauerei und vieles darüber hinaus, wovon ich nichts verstehe. Ein Buchladen ist ja auch nicht nur die Abholstation mit einigen Frontalen. Klar, man erbringt dort Dienstleistungen, verkauft seine Inhalte, kümmert sich notwendigerweise um Schulbücher und angrenzende Schreibwaren. Macht man alles, denn damit verdient man Geld.

Aber das Schöne! Papier und Leinen, Bücher mit Tafelteilen, so es sie noch gibt. Globen und Atlanten, Bände mit feinem Vorsatz und seidigem Faden: All dies gehört zur Kunst des Buchhandels. Jede*r Sortimenter hat natürlich seinen eigenen Begriff, wie es schön sein soll; das lässt sich schlecht verallgemeinern. Vielleicht so viel: Weiße Punkte auf rotem Grund sind ein heiteres Dessin, aber Kunst ist das nicht. Lamas, Einhörner und Erdmännchen zieren lustige Postkarten, und auch all die Glücks- und Schicksalswichtel verkaufen sich in Zeiten von Corona eher mehr. Ich bin sicher, man kann eine buchhändlerische Firma kaufmännisch solide führen, ohne sich mit Kunst irgendwie abzugeben. Es wäre nur schade, denn das Auge hängt lieber an Schönem als an noch einer werberischen Botschaft für den Konsum vor Ort.

Es gibt in der langen Geschichte des Buchhandels Zeiten, wo die Kunst mehr galt. Dass damit jemals nennenswert Geld verdient wurde, glaube ich nicht. Aber es waren eben Phasen, da neigte der Buchhandel stärker zu der Ästhetik von Schrift und Bild als letzthin. Romane waren mehr als angelsächsische Wälzer oder Mord und Totschlag von der See. Gedichte taugten nicht nur zum reimenden Sinnspruch auf Doppelkarten mit Spotlack, und an den Wänden hing manchmal ein Gemälde. Ob das in Ostwestfalen auch so war? Ich habe Zweifel, und doch fällt mir seit einer Weile auf, besonders seit Corona: Dem Schönen gilt Aufmerksamkeit. Wenn ich Kunstkarten auslege, sind sie bald weg, und auch die Umsätze mit Bibliophilem nehmen zart zu. Es liegt womöglich daran, dass wir zur Muße gezwungen werden, weil wir festsitzen. Hier in Borgholzhausen gilt das gerade wieder wörtlich. Kreis Gütersloh, und die Osnabrücker lassen uns nicht in ihre Museen.

Wie gut, dass ich von langer Hand her weiß, die echte Kunst kommt sowieso aus der Metropole, also aus Berlin, Paris und London. Und sie kann in diesem Sommer, wo wir sie nicht besuchen, wenigstens auf Papier und im Einband zu uns kommen. Wo sonst als in der Buchhandlung sollten wir sie präsentieren? Nach unserem Geschmack und vielleicht mit Lust zu Neuem. Machen Sie Ihre Buchhandlung schön! Für Ihre eigenen Augen, für die Seele und natürlich für die vielen Kunden, die ich Ihnen bei allem Abstand wünsche.