Jubliäumsfeier in Tübingen

"Osiander ist und bleibt ein eigenständiges Unternehmen"

30. Oktober 2021
von Christina Schulte

Einen doppelten Grund zum Feiern gab es für Osiander am Freitagabend in Tübingen: Die Buchhandlung beging ihr 425-jähriges Jubiläum und die Familie Riethmüller feiert gut 100 Jahre Unternehmertum in der zweitältesten Buchhandlung Deutschlands.

Ein abwechslungs- und lehrreiches, vor allem aber kurzweiliges Programm im Sparkasse Caré beschäftigte sich mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Traditionsunternehmens.

Ein launiges Grußwort des Oberbürgermeisters Boris Palmer, zwei Generationen der Riethmüllers sowie eine „familienfremde“ Geschäftsführerin an den Mikrofonen, kurze Talkrunden, fantastische und fantasievolle Einlagen des Wortkünstlers und Zauberers Helge Thun – so sieht ein gelungener Jubiläumsabend aus. Heinrich Riethmüller, Gesellschafter von Osiander, freute sich, mit Familie und Freunden feiern zu können. Stellvertretend für alle Autorinnen und Autoren begrüßte er den Schriftsteller Rafik Schami, der dem Unternehmen seit mehr als 30 Jahren verbunden ist.

Boris Palmer hob zunächst hervor, „dass bei Osiander in den letzten 25 Jahren so viel passiert ist, wie in den 400 Jahren zuvor". So sei die Anzahl der Filialen zwischen 2012 und 2020 von 25 auf 70 Läden angewachsen: „Ein unglaublicher Entwicklungssprung“, sagte der Oberbürgermeister. „Wo immer ich hinkomme, Osiander ist schon da. Das ist wie Hase und Igel.“ Osiander würde den Innenstadthandel in 50 baden-württembergischen Städten bereichern, das sei eine großartige Leistung. Ihm gefalle insbesondere der Fahrrad-Lieferservice in Tübingen, „bei dem die Chefs auch schon einmal selbst der körperlichen Ertüchtigung nachgehen“. Solch innovative Ideen wie den umwelt- und CO2-freundlichen Lieferdienst habe Osiander schon lange vor der Fridays-for-Future-Bewegung gehabt. Der Händler habe zwar in letzter Zeit einige Rückschläge einstecken müssen, wie etwa den Hackerangriff auf den Webshop oder die Corona-bedingten Schließungen, zeige sich aber als „Stehaufmännchen“ und sei davon überzeugt, die Firma weiter erfolgreich führen zu können. Palmer ist sich seinerseits sicher, dass sich der Buchhandel in den Städten weiter behaupten kann, selbst wenn es für andere Handelsbranchen schwieriger würde.

Was ist das für ein Unternehmen, für das Palmer diese lobenden Worte fand? Einen kurzen Ritt durch die Firmengeschichte unternahmen die drei Brüder Hermann-Arndt, Michael und Heinrich Riethmüller gemeinsam mit Torsten Casimir, Chefredakteur des Börsenblatts und Moderator des Abends. Schlaglichter waren natürlich das Gründungsjahr 1596, in dem Erhard Cellius, Professor der Poetik, eine Druckmaschine kaufte und in den Buchhandel einstieg. Weiter ging es mit dem Jahr 1659 und Johann Georg Cotta über das Jahr 1813 und Christian Friedrich Osiander bis hin zum Jahr 1920, als Richard Jordan (Großvater der drei Brüder Riethmüller) sowie sein Kompagnon Gustav Pezold das Unternehmen übernahmen. Nicht alles war rühmlich in dieser Zeit. "Leider haben Intellektuelle den Nationalsozialisten als Wegbereiter gedient", so Hermann-Arndt Riethmüller. Wer sich für die gesamte Unternehmensgeschichte interessiert, dem sei das gerade erschienene und fast 300 Seiten umfassende Werk „Osiander – 425 Jahre Buchhandel in Deutschland“ von Günther Fetzer, Molino Verlag, ans Herz gelegt.

Mehrfach war die Buchhandlung auch von Zensur betroffen, wie Hermann-Arndt Riethmüller ausführte - etwa bei den Zinzendorfer Liedern im Jahr 1769, oder, ein ganz anderer Fall, als vor 40 Jahren der Sexualratgeber "Joy of Sex" durch die Polizei beschlagnahmt wurde.

Das Jahr 1977 nahm Michael Riethmüller in den Blick: Damals gründete er Osiander Buch mobil und fuhr mit einem Transporter durch Orte ohne Buchhandlungen, z.B. Weil der Stadt. "Wir waren schon damals innovativ", so Michael Riethmüller. 1992 folgte dann die Gründung von Ravensbuch, seinem eigenen Unternehmen, gemeinsam mit seiner Frau Margarete in Ravensburg.

Heinrich Riethmüller nannte einige prominente Autor*innen, die im Verlauf der Jahrzehnte bei Osiander gelesen haben - das Who is Who der Literatur: Von Günter Grass über Martin Walser bis hin zu Astrid Lindgren oder Siegfried Lenz. Eines seiner Highlights: als das Literarische Quartett 1996 zur 400-Jahr-Feier live aus Tübingen im ZDF übertragen wurde.

Nach dem Ausflug in die Geschichte gab Wortkünstler und Zauberer Helge Thun unter anderem seine Reime zum Besten, belustigte und verzauberte das Publikum mit seinen Tricks. Kostprobe? Was ein Wortkünstler so alles im Firmennamen entdeckt, zum Beispiel: "O si an, der Chef persönlich!"

Dann war es Zeit für die Herausforderungen von heute, denen sich unter anderen Christian Riethmüller, sein Cousin Martin sowie die Geschäftsführerin Susanne Gregor stellen. Gregor ist neben Karin Goldstein eine von zwei „familien- und branchenfremden Geschäftsführerinnen“. Warum Osiander auf das Know-how von außen setzt, begründetet Christian Riethmüller so: „Wir haben es mit viel mehr zu tun als nur mit dem Buchhandel, mit Einzelhandel, mit Digitalisierung, daher müssen wir uns anders aufstellen und neues Wissen ins Unternehmen holen.“

Martin Riethmüller ging auf die Familienfusion ein, die Verschmelzung von RavensBuch mit Osiander, die im Mai besiegelt wurde: Er und sein Cousin Christian verstünden sich gut, hätten sich vor allem während der Corona-Zeit intensiv ausgetauscht, die gleichen Herausforderungen identifiziert und seien zu dem Schluss gekommen: „Es wäre unlogisch, wenn wir all das nicht zusammen machen.“ Seinen Vater Michael zu überzeugen, sei nicht ganz leicht gewesen, zum Schluss sei man sich aber einig gewesen, dass das alles schon passe. Christian Riethmüller bedankte sich für das Vertrauen der „älteren Herrschaften, die ihr Lebenswerk an uns abgegeben haben. Davor habe ich großen Respekt.“

Susanne Gregor, knapp drei Jahre im Unternehmen, zählt die bisherige Zeit bei Osiander zu der spannendsten ihres Lebens. „Kaum ein Stein ist auf dem anderen geblieben, durch den IT-Crash, durch Corona, die Partnerschaft mit Thalia.“ Sie habe bei den Riethmüllers erst einmal durchblicken müssen: „Immer tauchten wieder neue Familienmitglieder auf“, scherzte sie. Es sei ihr aber sehr leicht gemacht worden, in das Familienunternehmen einzusteigen und die Branche kennenzulernen.

Christian Riethmüller blickte näher auf die Partnerschaft mit Thalia und betonte, dass Freundschaft und Vertrauen zu den Inhaberfamilien von Thalia groß seien. Aber, das unterstrich Martin Riethmüller: „Osiander ist und bleibt ein eigenständiges Unternehmen. Mit Thalia haben wir uns zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen multinationale Konzerne anzukommen.“