Genossenschaft zur Rettung von Tübingens Traditionsbuchhandlung

​​​​​​​„Wir starten am 24. September mit Gastl neu durch“

25. August 2021
von Sabine van Endert

Ende August sollte es vorbei sein mit Gastl in Tübingen (120 qm), doch Tübinger Bürgerinnen und Bürger wollten das nicht hinnehmen - und gründeten eine Genossenschaft zur Rettung der Traditionsbuchhandlung. Wird Gastl nun bleiben? Wer verkauft dort künftig die Bücher? Wie ist die Genossenschaft organisiert und wer trägt die Verantwortung? Gerhard Ziener, Theologe und Vorstandsmitglied der Genossenschaft Buchhandlung Gastl eG iG, hat Antworten.

Warum engagieren Sie sich für die Rettung der Buchhandlung Gastl?
Ich bin Theologe und als Schwabe hat man in Tübingen studiert und Examen gemacht - und das war ohne Gastl gar nicht möglich. Und tatsächlich war ich selber mal drei Jahre Buchhändler bei Gastl. Mein Engagement für den Erhalt der Buchhandlung ist also ein Ausdruck von,  altmodisch gesagt: Treue. Das geht wohl den meisten Unterstützerinnen und Unterstützern so. Aber das sind vergangene Zeiten, jetzt müssen wir die Transformation schaffen.

Wie viele zahlende Unterstützer*innen gibt es?
Etwa 250 Menschen wollen der Genossenschaft beitreten, die meisten mit einem Anteil, manche aber auch mit fünf oder gleich 20 Anteilen. Jeder Anteil steht für 300 Euro. Bisher handelt sich erst um Absichtserklärungen, der Genossenschaft beigetreten ist man erst, wenn Geld geflossen ist. Das ist noch viel Handarbeit, alle Bereitwilligen noch einmal anzuschreiben und dann ihre Daten einzupflegen, aber es geht jetzt los. 

Ist Gastl schon gerettet? Wann soll die Umwandlung in eine Genossenschaft vollzogen werden?
Ja, zumindest kurzfristig ist Gastl gerettet, die Genossenschaft ist gegründet und demnächst wird tatsächlich Geld fließen. Wir rechnen mit einem Kapital von etwa 130.000 Euro. Jetzt arbeiten wir mit Hochdruck an der Personalplanung, an Mietvertragsfragen, der Sortimentsplanung. Schon nächste Woche führen wir die Inventur durch, um daran anschließend die Lücken in den Regalen, die durch den Ausverkauf entstanden sind, wieder zu schließen. 

Bisher handelt sich erst um Absichtserklärungen, der Genossenschaft beigetreten ist man erst, wenn Geld geflossen ist. Das ist noch viel Handarbeit, alle Bereitwilligen noch einmal anzuschreiben und dann ihre Daten einzupflegen, aber es geht jetzt los. 

Und wann werden die Türen wieder geöffnet?
Wir peilen den 24. September an, vom 24. bis 26. September findet das Tübinger Bücherfest statt, da würde der Termin perfekt passen. Das Geld für die Öffnung wäre da. Und uns würde mit dem Schulbeginn, dem Semesterbeginn, der Frankfurter Buchmesse und dem Weihnachtsgeschäft ein tolles Quartal bevorstehen!

Wer steht dann im Laden, verkauft die Bücher und organisiert den Buchhandlungsbetrieb? Doch sicher nicht die Genossenschafter*innen im Ehrenamt?
Nein, es wird keine Lohnarbeit durch Ehrenamt ersetzt werden. Es gibt zwar viel Euphorie und Unterstützungsangebote, auch von ausgebildeten Buchhändler*innen, aber die werden keinesfalls im Verkauf eingesetzt. Das verbietet sich allein schon politisch. Vorsorglich wurde allen zwölf Mitarbeiter*innen termingerecht gekündigt, einige waren geringfügig bei Gastl beschäftigt, außer der Inhaberin Angelika Gocht gab es zuletzt keine Vollzeitkraft mehr. Wir planen mit 400 Prozent, also vier Vollzeitkräften, verteilt auf sechs bis acht Personen. Zwei der Gastl-Buchhändler*innen – zwei Männer - werden übrigens bei Gastl weitermachen. Mittelfristig ist auch die Einstellung eines Geschäftsführers, einer Geschäftsführerin, beschlossen.

Alles neu, alles anders - wird sich das Profil der Buchhandlung mit der neuen Eigentümerstruktur verändern?
Gastl soll seinen traditionellen, in gewisser Weise musealen Charme und Charakter behalten, es wird also keine Nonbooks geben und keinen Kaffee. Das Inventar, die Böden, Licht, Fenster usw. sind völlig in Ordnung, was uns natürlich sehr hilft. Anpassungsbedarf gibt es bei den Sortimentsanteilen: Es stehen zu viele Bücher in den Regalen, was zwar das Profil prägt, aber zu wenig zum Umsatz beiträgt. Verkleinert man die Lyrikecke? Sollen die Geisteswissenschaften zugunsten von rascher verkäuflicher Belletristik ausgedünnt werden? Da muss mit Fingerspitzengefühl herangegangen werden. Mittelfristig gibt es so einige Pläne, zum Beispiel eine individuelle Internetseite. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Es gab Irritation mit zwei kleinen Buchläden in der unmittelbaren Nachbarschaft, aber das hat sich inzwischen gelegt.

Kann man mit Gastl-Genossenschaftsanteilen eigentlich reich werden?
Damit sollte man nicht rechnen, aber ausgeschlossen ist es nicht. Über Überschüsse entscheidet die so genannte Generalversammlung, in der alle Mitglieder eine Stimme haben, unabhängig von der Höhe der Einlage. Es ist Sinn einer Genossenschaft, dass zumindest die Einlage mittelfristig refinanziert wird.

Die Reaktionen auf Gastls Rettung sind erwartungsgemäß positiv, doch es gab auch negative Stimmen. Das Gastl-Modell würde den Wettbewerb verzerren, hieß es in den Leserbriefspalten der örtlichen Presse.
Es gab Irritation mit zwei kleinen Buchläden in der unmittelbaren Nachbarschaft, aber das hat sich inzwischen gelegt. Unter den kleineren, unabhängigen Buchhandlungen gönnt man sich hier in Tübingen seine Nische, einige der Selbständigen beteiligen sich sogar an Gastl und werden Genoss*innen. Das Genossenschaftsmodell hat hier in anderen Branchen bereits Tradition.  

Wie steht es mit der Mitgliedschaft im Börsenverein?
Der Antrag läuft. Außerdem sind wir natürlich demnächst Mitglied im Genossenschaftsverband und auch bei der Büchergilde Gutenberg bleiben wir dabei.

Ihre Vision: Wie sieht es bei Gastl im August 2022 aus?
Wir werden dann ein Kalenderjahr mit allen Phasen durchlaufen haben. Ich hoffe sehr, dass nach diesem Jahr eine schwarze Null steht und sich das Modell als tragfähig erweist. Die Abläufe sollten sich bis dahin eingespielt und verselbständigt haben. Wir werden sehr genau Bilanz ziehen und nachjustieren, wo es notwendig ist.