Leseförderung

Das Problem an der Wurzel packen

8. September 2021
Stefan Hauck

Junge Eltern, die selbst nicht gut lesen können, mit niedrigschwelligen Leseförderangeboten zu erreichen: Das gelingt dem REACH-Projekt. Ein wichtiger Ansatz, damit das Lesen wieder positiv besetzt wird und Lesefreude an Kinder weitergegeben werden kann.

Wenn es um die Förderung von Lesekompetenz geht, werden Ursachen von Problemen und Maßnahmen häufig vor allem im Kontext der schulischen Bildung von Kindern und Jugendlichen diskutiert. Im Mittelpunkt steht die Leistungsfähigkeit von Lehrkräften und des Schulsystems. Diese Betrachtung klammert aus, dass die Benachteiligung von Kindern im Zugang zum Lesen bereits vor der ersten Klasse in der frühen Kindheit grundgelegt wird, vor allem in Familien, in deren Alltag Lesen nur eine geringe Rolle spielt. Besonders benachteiligt sind Kinder, wenn ihre Eltern selbst nur eingeschränkte Lesefähigkeiten besitzen.

6,2 Millionen können nur eingeschränkt lesen

In Deutschland leben hochgerechnet 6,2 Millionen deutschsprachige Erwachsene im erwerbsfähigen Alter, die nur eingeschränkt lesen und schreiben können. Dies zeigte zuletzt 2018 die LEO-Grundbildungsstudie der Universität Hamburg. 300.000 dieser Personen können einzelne Buchstaben erkennen, 1,7 Millionen sind in der Lage, einzelne Wörter zu verstehen, 4,2 Millionen können ganze Sätze lesen, tun sich aber mit zusammenhängenden Texten schwer. Vor allem in der größten Gruppe, die auf Satzebene lesen kann, besteht vergleichsweise selten eine Motivation, Kurse zu besuchen, um besser lesen und schreiben zu lernen. Die vorhandenen Kenntnisse werden zwar durchaus als unzureichend erlebt, jedoch finden sich die Betroffenen im Alltag subjektiv meist zurecht. Viele von ihnen sind erwerbstätig, meist in un- und angelernten Tätigkeiten. Schichtbetrieb und körperliche Belastung im Job erschweren die regelmäßige Teilnahme an formalisierten Lernangeboten. Die meist einigermaßen gesicherte Finanzierung des Lebensunterhalts lässt kaum Veränderungsdruck entstehen. Dort, wo sie an Grenzen stoßen, holen sich die Betroffenen Hilfe in ihrem Umfeld.

Fehlende Lese- und Schreibfähigkeiten beeinträchtigen im Alltag nicht nur die Erwachsenen selbst, sondern – wenn sie Eltern werden – auch die Chancen ihrer Kinder, gut lesen und schreiben zu lernen, und damit ihren Zugang zu Lesepraxis und einer umfassenden Bildung. Die betroffenen Erwachsenen haben nur eingeschränkte Möglichkeiten, ihren Kindern vorzulesen, fehlende Lesepraxis lässt sie nicht als Lesevorbilder sichtbar werden. Sie können ihre Kinder später kaum beim Lesen lernen und bei den Hausaufgaben unterstützen. "Damit entsteht ein nachwachsendes Problem, das von den Eltern an die Kinder weitergegeben wird – so wie ihnen selbst häufig in der frühen Kindheit Leseanregungen gefehlt haben", sagt Prof. Dr. Simone C. Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen. "Die Kinder gering literalisierter junger Erwachsener haben von Geburt an ein erhöhtes Risiko, im Lesen zurückzubleiben – das wiederholt sich, wenn sie erwachsen sind und selbst wieder Kinder haben."

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