E-Lending: Filialisten reagieren auf Offenen Brief des dbv

"Ein Frontalangriff auf unser Geschäftsmodell"

18. Februar 2021
von Börsenblatt

Die Filialisten Thalia, Hugendubel, Osiander, Weltbild und Lehmanns Media richten einen Offenen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, kritisieren die Forderungen des dbv zum E-Lending. Umgesetzt, würde durch diese "die Geschäftsgrundlage für Buchhändler entzogen oder zumindest stark geschädigt".

Wir geben den offenen Brief hier im Wortlaut wieder:

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

wir – die Buchhändler Thalia Bücher GmbH, die H. Hugendubel GmbH & Co. KG, die Weltbild Gruppe, die Osiandersche Buchhandlung GmbH sowie die Lehmanns Media GmbH – möchten aus Sicht des deutschen Buchhandels Stellung beziehen zu dem im Januar vom Deutschen Bibliotheksverband (nachfolgend: dbv) publizierten offenen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages.

Die Forderung des dbv, künftig sämtliche E-Book-Titel für die Ausleihe durch Öffentliche Bibliotheken verfügbar zu machen, um diese den Nutzer*innen ab dem Moment ihres Erscheinens kostenfrei überregional bereitzustellen, kommt einem Frontalangriff auf unser Geschäftsmodell gleich. Nicht nur die Autor*innen werden enteignet, sondern perspektivisch auch der Buchhandel als Grundversorger eliminiert.

Nicht nur die Autor*innen werden enteignet, sondern perspektivisch auch der Buchhandel als Grundversorger eliminiert.

Offener Brief der Filialisten

Bibliotheken und der deutsche Buchhandel stellen, vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Einschränkungen, ihre digitalen Angebote noch stärker in den Vordergrund, um so den Bedarf an Büchern weiterhin zu decken. Die derzeitigen Restriktionen dürfen allerdings nicht zum Anlass genommen werden, den durch die Pandemie bereits stark angeschlagenen Buchhandel durch einen massiven Ausbau des digitalen Leihangebotes der Öffentlichen Bibliotheken zusätzlich unter Druck zu setzen oder gar dessen Geschäftsmodell zu zerstören.

Im zurückliegenden Jahr 2020 lag die Anzahl der Onleihe-Leihvorgänge von E-Books mit mehr als 30 Mio. bereits auf dem Niveau des gesamten kommerziellen E-Book-Absatzes mit Endkunden in Deutschland.

Die Anzahl der E-Book-Ausleihen von Öffentlichen Bibliotheken ist – nicht zuletzt durch den Einfluss von COVID-19 – überproportional angestiegen im Vergleich zum Absatz-Zuwachs aller E-Book-Händler. Während sich beim E-Book-Markt mit Endkunden in Deutschland gegenüber 2019 ein Mehrumsatz in der Größenordnung von 8-12% abzeichnet, lag der Zuwachs der E-Book-Ausleihen der Onleihe, nach Angaben des dbv, bei 17,7%. Hinzu kommt, dass von den Onleihe-Nutzer*innen, das sind bereits 25% aller Bibliothekskunden, nur rund 13% E-Books kaufen. Sie befriedigen ihren Bedarf vorrangig über die digitale Leihe.

Während der ersten Lockdown-Welle lag die Steigerung der E-Book-Entleihungen sogar weit über den kommerziellen E-Book-Absatzzuwächsen. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Öffentlichen Bibliotheken heute schon das E-Book überproportional in ihrem Angebot gewichten und im freien Markt mit dem Buchhandel konkurrieren, um diesen massiv zu kannibalisieren. Das Angebot an physischen Büchern wird dagegen, aufgrund der begrenzten Budgets, zurückgefahren. Es ist vor diesem Hintergrund fraglich, ob die Öffentlichen Bibliotheken ihrem Auftrag, den kommunalen Zugang zu Büchern und Wissen sicherzustellen, mittelfristig noch gerecht werden können. Die neue Forderung des dbv verschärft die Konkurrenz zu Buchhandel und Verlagen noch einmal dramatisch.

Die vom dbv angeführte Analogie des etablierten Leihmodells von physischen Büchern und deren Übertragung auf E-Books ist aus unserer Sicht nicht tragfähig:

In der physischen Welt existieren bezüglich des Zugangs zu Leihbüchern aufgrund der VorOrt-Situation mehrere “Nutzungshürden”: Der Gang in die Öffentliche Bibliothek, der Erwerb eines Bibliotheksausweises inkl. Entrichtung der Jahresgebühr, die Auseinandersetzung mit Struktur- und Ausleihprozessen vor Ort, Transport der Bücher nach Hause, rechtzeitige Rückgabe, Mahngebühren, teilweise abgegriffene Bücher, etc.

Nur wenn Titel nicht in der Onleihe verfügbar sind, wird notgedrungen auch ein Kauf in Erwägung gezogen

Offener Brief der Filialisten

In der digitalen Welt ist das Leih-Angebot der Bibliothek dagegen nur einen Mausklick entfernt und steht somit im direkten Wettbewerb zum kommerziellen Angebot der Buchhändler. Login, Titelsuche, Erwerb und Konsum funktionieren bei einem öffentlichen Leihportal wie der Onleihe absolut vergleichbar.   
Die Öffentlichen Bibliotheken werden nicht nur als Grundversorger für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen oder Kinder und Jugendliche tätig. Vielmehr konkurrieren sie gerade um die Kundinnen und Kunden, auf die der Buchhandel unverzichtbar angewiesen ist. Wie die auch vom dbv zitierte GfK-Studie eindeutig belegt hat, sind Onleihe-Nutzer besonders einkommensstark. Man könnte sie in ihrem Nutzungsverhalten als klassische „smart shopper“ bezeichnen, da der E-Book-Service automatisch in der marginalen Jahresgebühr ihrer Bibliothek enthalten ist, quasi als “kostenlose E-Book-Flatrate-Beigabe”. Nur wenn Titel nicht in der Onleihe verfügbar sind, wird notgedrungen auch ein Kauf in Erwägung gezogen. Den Nutzern ist in diesem Moment nicht bewusst, dass das Onleihe-Angebot nur aufgrund der steuerlichen Subventionierung so günstig sein kann.

Aus dem geschilderten Sachverhalt ergibt sich, dass neben dem positiven Effekt der Onleihe auf das digitale Lesen bereits heute auch eine signifikante Kannibalisierung des E-Book-Geschäfts mit Endkunden resultiert. Der Kannibalisierungseffekt wird sich massiv verstärken und auf das physische Buch ausweiten, sollten künftig – wie vom dbv gefordert – Verlage dazu gezwungen werden, ihre gesamte “Frontlist” (Neuerscheinungen und Toptitel wie die Spiegel-Bestseller) zeitgleich zu deren Verkaufsstart auch in der “Onleihe-Flatrate” frei zugänglich zu machen und damit quasi zu verschenken.

Kommerzielle E-Book-Angebote wären schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig im Vergleich zu einer für die Unternehmen am freien Markt ruinösen “steuersubventionierten E-Book-Flatrate”. Im E-Book-Umfeld werden in der Regel mehr als 45% des Umsatzes mit  Frontlist-Titeln erwirtschaftet, die vor weniger als 12 Monaten erschienen sind. Bei physischen Büchern ist der Frontlist-Umsatzanteil noch deutlich höher.

Die Attraktivität der Onleihe-Flatrate nimmt bereits seit Jahren zu und wird so schleichend zu einer existentiellen Bedrohung für Buchhändler, Verlage und Autoren.

Offener Brief der Filialisten

Unabhängig von der Diskussion um vermeintlich fehlende Frontlist-Titel nimmt die Attraktivität der Onleihe-Flatrate bereits seit Jahren zu und wird so schleichend zu einer existentiellen Bedrohung für Buchhändler, Verlage und Autoren. Immer häufiger bündeln verschiedene Bibliotheken ihre digitalen Budgets, um ihr E-Book-Sortiment bzgl. Breite und Verfügbarkeit in einer gemeinsamen Onleihe-Instanz auszubauen. Bereits vor, vermehrt aber auch seit COVID-19, werden die Eintrittshürden aus Kundensicht noch geringer, da man nicht mehr in der örtlichen Bibliothek Mitglied sein muss, sondern stattdessen mit wenigen Klicks bei einem beliebigen größeren Onleihe-Verbund in Deutschland Mitglied werden kann – das Wohnortprinzip entfällt. Um Neukunden und -kundinnen zu gewinnen, wird dabei teilweise auch der sonst übliche Jahresbeitrag ausgesetzt, was wiederum auf populären und reichweitenstarken Portalen wie mydealz.de gerne als “Hot Deal“ empfohlen wird.

Der Kundentraum einer legalen “0-Euro-Flatrate” wird damit wahr; aus Sicht von Autoren, Verlagen und Buchhändlern wird die “Wertschöpfung Buch” damit allerdings weitgehend vernichtet. Spätestens mit diesem Schritt werden Öffentliche Bibliotheken sowie die durch sie finanzierten Onleihe-Instanzen zu Marktteilnehmern auf Augenhöhe mit kommerziellen EBook-Anbietern. Bereits im Mai 2017 kam die Stiftung Warentest beim Vergleich verschiedener E-Book-Angebote zu dem Fazit: “Klare Preis-Leistungs-Sieger sind öffentliche Bibliotheken“.

Der dbv weist immer wieder auf die Erfüllungspflicht seines Bildungsauftrags hin. Diesen respektieren und unterstützen wir als Buchhändler. Allerdings ist zur Wahrnehmung dieses Bildungsauftrags nicht implizit das Anbieten der vollständigen SPIEGEL-Bestsellerliste notwendig, wie der offene Brief suggeriert.
Buchhändler tragen massiv zum Erhalt der Medienvielfalt bei, indem sie die Verfügbarkeit und den einfachen Zugang zu allen Darreichungsformen von Buchinhalten flächendeckend vor Ort sicherstellen und somit den Zugang zu Bildung fördern.

Bibliotheken sind auch im digitalen Raum unverzichtbar. Gerne bringen wir uns in eine Diskussion ein, wie die verschiedenen Beteiligten am Buchmarkt in der digitalen Welt echte Synergien entstehen lassen und die Angebotsvielfalt noch ausweiten können.

Offner Brief der Filialisten

Wir gehen davon aus, dass die Öffentlichen Bibliotheken nicht in einen Verdrängungswettbewerb mit dem Buchhandel eintreten wollen. Im Endeffekt wäre aber genau das der Fall. In letzter Konsequenz würde auch der stationäre Buchhandel mit seinem physischen Sortiment unter einer nahezu kostenlosen “Super-Onleihe-Flatrate inkl. Frontlist” für wenige Euro Jahresgebühr massiv leiden. Die Geschäftsgrundlage für Buchhändler würde entzogen oder zumindest stark geschädigt.  

Zu Ende gedacht müssten die Innenstädte künftig ohne Buchhandlungen auskommen. Letztlich würden aber auch Autoren und Verlage leiden, da die Ausschüttungen aus den verhältnismäßig günstigen Verleihlizenzen deutlich geringer ausfallen als die wegfallenden Verkaufserlöse. Zuletzt würde auch die Buchvielfalt leiden, auf die Deutschland zu Recht stolz ist.

In dieser Situation sehen wir es nicht als Aufgabe der Politik an, die Vielfalt hochwertiger Angebote und einen lebendigen Buchhandelsmarkt durch die Schaffung einer umfassenden gesetzlichen Erlaubnis zum E-Book-Verleih durch Öffentliche Bibliotheken zu zerstören. Ein massiver Einsatz von Steuergeld zugunsten einkommensstarker Bevölkerungsschichten bei gleichzeitiger Schädigung der – auch fiskalisch relevanten – Erlösmöglichkeiten von Buchhandlungen, Autoren und Verlagen würde der Rolle des Staates im Bereich der kulturellen Daseinsvorsorge nicht gerecht.

Nicht zuletzt binden die Onleihe-Aktivitäten Budgets, die den Öffentlichen Bibliotheken fehlen, um sich in Partnerschaft mit dem lokalen Buchhandel noch stärker um gesellschaftlich wichtige Themen wie Leseförderung und kulturelle Bildung zu kümmern. Die Struktur der E-Book-Angebote Öffentlicher Bibliotheken ist dabei derzeit nur scheinbar lokal orientiert. Zwar werden diese Angebote aus den kommunalen Haushalten finanziert. Sie basieren aber nicht auf einer echten Bindung der Nutzerinnen und Nutzer an ihre örtliche Bibliothek, sondern werden stattdessen – mit dem unausgesprochenen einzigen Argument des Preisvorteils – von einem kommerziellen Unternehmen über dessen zentrale Plattform abgewickelt und im Wesentlichen auf das Geschäft mit Bestsellern fokussiert.  

Bibliotheken sind auch im digitalen Raum unverzichtbar. Gerne bringen wir uns in eine Diskussion ein, wie die verschiedenen Beteiligten am Buchmarkt in der digitalen Welt echte Synergien entstehen lassen und die Angebotsvielfalt noch ausweiten können. Die Forderungen im offenen Brief des dbv sind leider nicht geeignet, diese erstrebenswerten Ziele zu erreichen.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Detlef Büttner, Geschäftsführer, Lehmanns Media GmbH
Michael Busch, CEO und geschäftsführender Gesellschafter, Thalia Bücher GmbH
Nina Hugendubel, geschäftsführende Gesellschafterin, H. Hugendubel GmbH & Co. KG
Christian Riethmüller, Mitglied der Geschäftsführung, Osiandersche Buchhandlung GmbH  
Christian Sailer, CEO, Weltbild Gruppe