Bibliotheken und der deutsche Buchhandel stellen, vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Einschränkungen, ihre digitalen Angebote noch stärker in den Vordergrund, um so den Bedarf an Büchern weiterhin zu decken. Die derzeitigen Restriktionen dürfen allerdings nicht zum Anlass genommen werden, den durch die Pandemie bereits stark angeschlagenen Buchhandel durch einen massiven Ausbau des digitalen Leihangebotes der Öffentlichen Bibliotheken zusätzlich unter Druck zu setzen oder gar dessen Geschäftsmodell zu zerstören.
Im zurückliegenden Jahr 2020 lag die Anzahl der Onleihe-Leihvorgänge von E-Books mit mehr als 30 Mio. bereits auf dem Niveau des gesamten kommerziellen E-Book-Absatzes mit Endkunden in Deutschland.
Die Anzahl der E-Book-Ausleihen von Öffentlichen Bibliotheken ist – nicht zuletzt durch den Einfluss von COVID-19 – überproportional angestiegen im Vergleich zum Absatz-Zuwachs aller E-Book-Händler. Während sich beim E-Book-Markt mit Endkunden in Deutschland gegenüber 2019 ein Mehrumsatz in der Größenordnung von 8-12% abzeichnet, lag der Zuwachs der E-Book-Ausleihen der Onleihe, nach Angaben des dbv, bei 17,7%. Hinzu kommt, dass von den Onleihe-Nutzer*innen, das sind bereits 25% aller Bibliothekskunden, nur rund 13% E-Books kaufen. Sie befriedigen ihren Bedarf vorrangig über die digitale Leihe.
Während der ersten Lockdown-Welle lag die Steigerung der E-Book-Entleihungen sogar weit über den kommerziellen E-Book-Absatzzuwächsen. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Öffentlichen Bibliotheken heute schon das E-Book überproportional in ihrem Angebot gewichten und im freien Markt mit dem Buchhandel konkurrieren, um diesen massiv zu kannibalisieren. Das Angebot an physischen Büchern wird dagegen, aufgrund der begrenzten Budgets, zurückgefahren. Es ist vor diesem Hintergrund fraglich, ob die Öffentlichen Bibliotheken ihrem Auftrag, den kommunalen Zugang zu Büchern und Wissen sicherzustellen, mittelfristig noch gerecht werden können. Die neue Forderung des dbv verschärft die Konkurrenz zu Buchhandel und Verlagen noch einmal dramatisch.
Die vom dbv angeführte Analogie des etablierten Leihmodells von physischen Büchern und deren Übertragung auf E-Books ist aus unserer Sicht nicht tragfähig:
In der physischen Welt existieren bezüglich des Zugangs zu Leihbüchern aufgrund der VorOrt-Situation mehrere “Nutzungshürden”: Der Gang in die Öffentliche Bibliothek, der Erwerb eines Bibliotheksausweises inkl. Entrichtung der Jahresgebühr, die Auseinandersetzung mit Struktur- und Ausleihprozessen vor Ort, Transport der Bücher nach Hause, rechtzeitige Rückgabe, Mahngebühren, teilweise abgegriffene Bücher, etc.