Interview mit Stephanie Lunkewitz

"Eine kalte Hölle für unschuldige Menschen"

5. Februar 2025
Petra Kammann

Bei den Bränden in L.A. wurde auch das Haus des früheren Aufbau-Verlegers Bernd F. Lunkewitz zerstört. Was er noch retten konnte, waren die Illustrationen seiner Frau Stephanie Lunkewitz zu dem gerade im Ariella-Verlag erschienenen Buch "Ich war Eva Diamant". Im Interview mit Petra Kammann berichtet sie, wie wichtig dieses Buch für sie ist und wie sie es mit der Auschwitz-Überlebenden Eva Szepesi erarbeitet hat.

Seit rund zehn Jahren lebt Illustratorin Stephanie Lunkewitz mit ihrem Mann, dem früheren Aufbau-Verleger Bernd F. Lunkewitz, ihren beiden Söhnen und ihrer Tochter in Los Angeles. Bei den verheerenden Waldbränden wurde am 7. Januar ihr Haus samt der gemeinsamen Bibliothek mit rund 15.000 kostbaren Büchern restlos zerstört. Dabei fielen ihre Illustrationen wie auch die wertvolle Sammlung ihres bibliophilen Mannes den Flammen zum Opfer – darunter signierte Erstausgaben, die Sammlung der in Leder gebundenen Bücher des Aufbau-Verlages, die Thomas-Mann-Bronzebüste von Gustav Seitz, die Mann 1955 im Aufbau-Verlag sehr gelobt hatte, aber auch das allererste Exemplar nach der ersten Millionen-Auflage des so erfolgreichen Buches "Die Päpstin" von Donna Cross,  die Bücher des Verlags Rütten & Loening, die Tagebücher sowie wichtige Akten von Bernd F. Lunkewitz. 

Das Letzte, was er noch aus den Trümmern retten konnte, waren Stephanie Lunkewitz' Illustrationen zu dem gerade im Januar in Deutschland erschienenen Buch "Ich war Eva Diamant" (Ariella Verlag). Darin wird die bewegende Geschichte der Auschwitz-Überlebenden Eva Szepesi für Kinder nachvollziehbar geschildert. Eva Diamant war der Name des ungarisch-jüdischen Mädchens, das sich brutal von den Eltern trennen und allein unter unwürdigen Bedingungen leben musste und 1945 durch die Sowjetarmee befreit wurde. Petra Kammann wollte mehr darüber erfahren und hat mit Stephanie Lunkewitz gesprochen.

2024 hielt Eva Szepesi im Bundestag die Ansprache zur Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus. Wie wurden Sie auf ihre Geschichte aufmerksam?

Stephanie Lunkewitz: Eva Szepesi erzählt den Kindern in den Schulen ihr Überleben in Auschwitz. Auch ich habe ihr zugehört und mich an den Satz von Elie Wiesel erinnert: "Jeder, der heute einem Zeitzeugen zuhört, wird selbst ein Zeuge werden", und an ein Kinderbuch gedacht. Die Reise dieses zwölfjährigen Mädchens durch das Inferno in Auschwitz, das eine kalte Hölle für unschuldige Menschen war, hat mich sehr erschüttert. In Dantes "Göttlicher Komödie" quälen Satan oder Luzifer ihre schuldigen Opfer, aber hier haben es Menschen den unschuldigen Mitmenschen angetan. Ich hatte sofort die Vorstellung eines Buches über dieses singuläre Verbrechen in der Geschichte der Menschheit vor Augen, aber ich war noch nicht bereit dafür. Ich musste noch vieles lernen, auch über die jüdische Kultur und Tradition und die Perfidie des Nationalsozialismus.

Stephanie Lunkewitz

Stephanie Lunkewitz

Auf welche Weise haben Sie sich Eva Szepesi als Person genähert?

Stephanie Lunkewitz: Eva erzählt mit einem leichten ungarischen Akzent. Ich habe ihr zugehört und mir Notizen gemacht. Als ich mit meinem Mann und den Kindern 2015 nach Kalifornien gezogen bin, habe ich sie meist zweimal im Jahr in ihrer Wohnung im Frankfurter Nordend besucht. Sie hat mir viele ihrer Erlebnisse erzählt. Einiges davon muss man nicht Kindern oder Jugendlichen erzählen, aber den Kern ihrer Geschichte in Auschwitz haben wir gemeinsam gestaltet.

Sie gehören zu einer anderen Generation, in der es kaum noch Zeitzeugen gibt. Welche Gedanken – zum Beispiel hinsichtlich der Wahl der gestalterischen Mittel – haben Sie sich bei der Entstehung des Buches gemacht?

Stephanie Lunkewitz: Die Häftlinge, die Bewacher, deren Kleidung und die Gebäude des Lagers farblich und realistisch darzustellen war etwas schwierig, weil Farben diese Bilder für Kinder schöner machen. Die Bilder habe ich als Bleistiftzeichnungen entworfen und sie mit einem Projektor auf Aquarellpapier übertragen; die 18 Bilder habe ich dann in der Gouache-Technik gemalt. Auf meinem Instagram-Account poste ich mehr als 600 Portraits von Personen, die zu den Armen und Reichen der Menschheit gehören, so wie auch die Häftlinge im Lager Auschwitz.

Illustrationen aus "Ich war Eva Diamant"

Die Geschichte beginnt in Ungarn. Sie selbst sind noch zu DDR-Zeiten im Anhaltinischen aufgewachsen; Ungarn war seinerzeit durchaus ein beliebtes Reiseziel der DDR-Bürger. Kannten Sie Ungarn?

Stephanie Lunkewitz: Ja, ich bin als Kind mit meiner Familie in den Sommerferien nach Ungarn gereist, aber die jüdische Gemeinde in Ungarn hat nur noch etwa 90.000 Mitglieder, etwa so wie die jüdische Gemeinde in Deutschland. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in beiden Ländern mehr als 500.000 jüdische Menschen. Die Machthaber in den Regierungen und Behörden Deutschlands und Ungarns schürten den Hass gegen die jüdische Minderheit. Die von Eva erzählten Geschichten ergänzen die Illustrationen. Schon bevor sie den Judenstern tragen musste, wollten ihre Schulfreunde nicht mehr mit ihr spielen. Diesen Judenhass begreife ich noch immer nicht.

Als die Gewalt einsetzt, in den Transportzügen, im KZ selbst: Was wollten Sie zeigen, was nicht?

Stephanie Lunkewitz: In dieser Geschichte sind die Menschen der staatlichen Gewalt ausgesetzt. Die Selektion durch einen SS-Mann entscheidet ihr Schicksal, ob sie noch ein paar Monate länger leben können. Auch der "Struwwelpeter" von Heinrich Hoffmann zeigt Grausamkeit und Tod, aber als mögliche Folge eigener Fehler, die jeder vermeiden könnte. In Auschwitz gab es keinen Ausweg. Ich habe im Holocaust Museum in Los Angeles einige Überlebende getroffen, die mir von ähnlichen Erlebnissen in Auschwitz und anderen Lagern erzählten. Auch Eva hätte noch eine Woche im Lager nicht überlebt.

Wie wichtig ist dieses Buch für Sie?

Stephanie Lunkewitz: Die jüdischen Gemeinden in Deutschland kennen die Geschichte der Shoah, aber aus meiner Sicht ist es besonders die Verantwortung der nicht-jüdischen Deutschen, auch der in Deutschland lebenden 6 Millionen Muslime, die Jugend darüber aufzuklären. Das Buch ist für das Alter ab 12 Jahren empfohlen. In dem Alter sind Kinder und Jugendliche schon reif, auch problematische Themen zu verstehen. Ich hoffe, dass Lehrer dieses Buch in der Schule verwenden und die wichtige Geschichte der Shoah den Schülern erklären.

Was bedeutet es für Sie, dass mit dem Großbrand in Kalifornien, an dem Ort, an dem etliche deutsche Exilanten Zuflucht gefunden hatten, Ihre künstlerische Arbeit vernichtet wurde – und ausgerechnet die Illustrationen für das Buch gerettet werden konnten?

Stephanie Lunkewitz: Meine Familie und ich, wir haben am 7. Januar 2025 unser sehr schönes Haus an der Küste des Stadtteils Pacific Palisades in dem Feuersturm verloren. Die mehr als zehntausend Bücher unserer Bibliothek, die Sammlung der Gemälde, der Skulpturen, des Porzellans und des Silbers, der Möbel aus der Zeit des Klassizismus und des Jugendstils sind mit der gesamten Einrichtung dieses schönen Gebäudes verbrannt. Alle Akten, Tagebücher, Dokumente, Fotos und Andenken sind zerstört. Aber die Familie hat das überlebt. Wir werden neu anfangen und ich habe mich erinnert, dass vor ein paar Wochen Joe Alexander, ein Überlebender der Shoah, an seinem 103. Geburtstag sagte: "Never give up hope and believe that tomorrow will be a better day."

Eva Szepesi

Eva Szepesi

 DAS BUCH

"Ich war Eva Diamant"
von Eva Szepesi und Stephanie Lunkewitz
Illustrationen: Stephanie Lunkewitz
Ariella Verlag, 60 Seiten, 18,95 Euro