Gastland 2026

14 Monate liegt Tschechien am Meer

20. Oktober 2025
Redaktion Börsenblatt

"Wenn wir einander Bücher ausleihen, werden wir Freunde – so einfach ist das", meinte Lyriker Petr Hruška im sympathischen Gespräch zum Gastland-Auftritt mit Schriftstellerin Bianca Bellová. "Tschechien: Ein Land an der Küste", ist das Motto, zu dem es auf der Buchmesse erste Einblicke gab.

Bianca Bellová und Petr Hruška

Bianca Bellová und Petr Hruška 

"Wir sind ein Hafen, der der Welt offensteht"

"Mit vielschichtigen, besonderen Stimmen wird Tschechien im nächsten Jahr in Frankfurt präsent sein und die literarische Kraft dieses Landes sichtbar machen", hatte Buchmesse-Sprecher Torsten Casimir angekündigt – "es liegt ein großes Potenzial auf dem gemeinsamen Weg in den nächsten zwölf Monaten." Eigentlich seien es sogar 14 Monate, meinte Tomáš Kubíček, Direktor der Mährischen Landesbibliothek Brünn: "Wir wollen von Oktober 2025 bis Dezember 2026 mit 31 Autor:innen in 27 Veranstaltungen und sechs Literaturfestivals in Deutschland und Österreich die tschechische Literatur greifbar machen." Dank Shakespeares "Wintermärchen" wisse jeder, dass Böhmen am Meer liege, griff Kubíček in einer Veranstaltung auf der Frankfurter Buchmesse das Gastland-Leitmotiv "Tschechien: Ein Land an der Küste" auf und ergänzte: "Wir sind ein Hafen, der der Welt offensteht." Der Gastland-Auftritt habe zwei Ziele: "Wir wollen über die Literatur zeigen, dass die tschechische Kultur ein Teil der europäischen Kultur ist, sowie durch die Aufmerksamkeit in Frankfurt die Stellung der tschechischen Literatur festigen." 

"Wir möchten Wellen machen"

Martin Krafl, ehemaliger Chef der Presseabteilung der Präsidentenkanzlei von Václav Havel und jetziger Leiter des Tschechischen Literaturzentrums, begrüßte mit einem "Ahoj! Diesen Gruß werden Sie in den nächsten Monaten öfter hören." Ahoj  wird in Tschechien wie ein Hallo benutzt, es wurde von Kanuten in den 1920er Jahren als cooler neuer Gruß gegen das Bürgertum eingeführt und später allgemein übernommen; im Kirchenkampf in den 1950er Jahren wurde es von Katholiken als Akronym für "ad honorem Jesu" (Jesus zur Ehre) verwendet. Das Meer sei ein flüssiger Kontinent, der Länder verbinde, sagte Krafl als Programmleiter des Gastlandauftritts: "Ist eine Küste eine Grenze oder ein Ort der Begegnung? Wir möchten in unserem Programm die Wahrnehmung von Küste verändern - wir möchten Wellen machen." Mit dem Gastlandauftritt wolle er die Arbeit von Literaturübersetzern fördern und die Buchbranche unterstützen.

13.000 Novitäten pro Jahr

In die Problematik der sozialistischen Planwirtschaft führte Martin Vopěnka, Vorsitzender des Verbands der tschechischen Verleger und Buchhändler, kurz zurück. "In der Planwirtschaft von 1948 bis 1989 wusste man genau, wie hoch eine Auflage sein wird, denn die Papiermenge wurde dafür zugeteilt". Heute erscheinen etwa 13.000 Novitäten pro Jahr, im tschechischen Buchmarkt würden 340 Millionen Euro umgesetzt, wobei es eine hohe Inflation gebe und der Markt stagniere. "Jüngere lesen gerne in Frendsprachen, 30 % wird im Internethandel verkauft und bei einem Bücherrabatt zwischen 50 und 69 % liegt das Risiko ganz erheblich beim Verlag." Aber: "Wir haben es geschafft, dass Bücher umsatzsteuerfrei sind." 

Tschechien ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2026: (von links) Simone Bühler, Leiterin Ehrengast-Programm bei der Buchmesse, Buchmesse-Sprecher Torsten Casimir, Lyriker Petr Hruška, Schriftstellerin Bianca Bellová, Tomáš Kubíček, Direktor der Mährischen Landesbibliothek Brünn, Martin Krafl, Leiter des Tschechischen Literaturzentrums, und Ines Bachor von der Buchmesse

Tschechien ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2026: (von links) Simone Bühler, Leiterin Ehrengast-Programm bei der Buchmesse, Buchmesse-Sprecher Torsten Casimir, Lyriker Petr Hruška, Schriftstellerin Bianca Bellová, Tomáš Kubíček, Direktor der Mährischen Landesbibliothek Brünn, Martin Krafl, Leiter des Tschechischen Literaturzentrums, und Buchmesse-PR-Managerin Ines Bachor

Was macht die tschechische Literatur aus?

"Die tschechische Literatur hat ein bisschen Angst vor großen Worten - in ihr versteckt sich ein Sinn für das Gewöhnliche, Banale, Normale, das im nächsten Moment umkippen kann und zu Wunderbarem führt", so Lyriker Petr Hruška im Gespräch. Unbedingt gehöre der Humor zur tschechischen Literatur. "Wir sind auch Zyniker, verwenden gerne Humor und Satire", stimmte Schriftstellerin Bianca Bellová zu, "und wir vermeinden ein Pathos." Als ein besonderes Merkmal der tschechischen Literatur sah sie, dass Autorinnen eine große Rolle spielen und sehr gerne gelesen würden.  Auf die Frage, welche Rolle Literatur spiele, meinte Hruška: "Wir halten die Welt nicht in unserer Hand, wir sind ein wenig verloren – und die Rolle der Literatur ist es, dem Leser zu zeigen, dass er nicht allein ist, dass andere auch nicht verstehen." Der Leser habe die Möglichkeit, Geschichten miteinander zu teilen, so Bellová, der eine Leser sehe es so, die andere so; "und es ist kein Zufall, dass die Demokratie zu einer Zeit entstanden ist, als die Leute in Europa angefangen haben, massenhaft zu lesen." Beim Lesen könne man die Zeit verlangsamen, man komme durch Lesen in einen anderen Rhythmus, ergänzte Hruška - "der Akt des Lesens schafft eine Distanz zwischen uns und der verrückten Welt um uns herum."

Welche Rolle spielt der Gastlandauftritt in Deutschland?

"Wir sind ja Nachbarn: Ich bin zu Gast bei Nachbarn", so Bellová, und Hruška: "Wenn wir einander Bücher ausleihen, werden wir Freunde - so einfach ist das."