Nora Bossong über ihr erstes Sachbuch

»Ambivalente Generation«

26. Januar 2022
von Michael Roesler-Graichen

Nora Bossong über ihr erstes Sachbuch »Die Geschmeidigen« – und ihr Verhältnis zu Verantwortung und Demokratie.

Was macht Ihre Generation so »geschmeidig«?
Dieses Wort habe ich gewählt, weil es die Ambivalenz, die für meine Generation bezeichnend ist, sehr zutreffend beschreibt. Geschmeidig sein, das ist Stärke und Schwäche zugleich. Will man böse sein, kann man eine Nähe zum Opportunismus vermuten. Es ist aber auch die Fähigkeit, sich souverän in jede Situation einzufügen. Ein Begriff wie »Millennials« würde weder das Phänomen noch die Altersgruppe zureichend bezeichnen – Menschen, die in der Zeit zwischen 1975 und 1985 geboren wurden.

Weshalb haben Sie nur mit Verantwortungsträgern gesprochen?
Es ging mir um eine Fokussierung auf eine Gruppe, die in der Zeit der Wende und in den 90er Jahren prägende Erlebnisse hatte und die heute bereit ist, politische Verantwortung zu übernehmen. Menschen, die im besten Fall dafür verantwortlich sein werden, dass Demokratie und Parlamentarismus verteidigt und mit Leben gefüllt werden. Dabei sollten Unterschiede in der Sozialisation – Herkunft aus Ost oder West, Migrationsgeschichte, Aufstieg aus prekärem Milieu – eine Rolle spielen. Insgesamt habe ich mit 25 Personen gesprochen.

In der Politik ereignet sich gerade ein Generationswechsel. Wie kommen die »Geschmeidigen«, denen manche Härte früher Geborener erspart blieb, damit zurecht?
Christian Lindner sagt in meinem Buch einmal, es habe selten eine Generation gegeben, die so gut ausgebildet und so weltläufig gewesen sei. Aber, fragt Lindner auch, verfügt unsere Generation auch über die Härte, unangenehme Entscheidungen durchzubringen? Es ist eine Generation, in der viele behütet aufgewachsen sind und manche früh großes Selbstbewusstsein zeigten, sogar für allerhöchste Positionen. Annalena Baerbock und Jens Spahn sind nur zwei Beispiele, sie haben sich mit gerade mal 40 bis zum Kanzleramt gestreckt. 

Der erste Teil Ihres Buchs arbeitet biografisch die politische Entwicklung der letzten 40 Jahre auf.
Es ging mir darum, die Epoche einzufangen. Welchen Blick hatte man in der alten Bundesrepublik auf die DDR, was wurde aus den Demokratieversprechen der 90er, wie hat 9 / 11 das Sicherheitsgefühl des Westens erschüttert, und wie hat Hartz IV uns junge Berufseinsteiger auf dem Arbeitsmarkt empfangen? Eine Generation versteht man ja erst vor dem Hintergrund der Zeit, die sie geprägt hat.

Würden Sie Ihre Generation als eher verantwortungsscheu bezeichnen?
Man muss sehen, dass es nach der Jahrtausendwende eine zunehmende Institutionenmüdigkeit gab. Die Kritik am politischen System ging in ablehnende Skepsis über. Dabei spielte Colin Crouchs These vom Verfall der demokratischen Institutionen (aus seinem Buch »Postdemokratie«) eine wichtige Rolle. Demokratie schien nicht mehr als eine Pappkulisse zu sein. Eigentlich sehr kluge Autoren wie Roger Willemsen und Carolin Emcke schrieben in den folgenden Jahren mit latentem Ressen­timent über das Parlament. Dass man das Vertrauen in institutionalisierte Demokratie so aushöhlte, wurde dann von ganz anderer Seite dankbar genutzt. Heute finden wir die radikalisierten Fortführungen dieses Misstrauens etwa bei Querdenkern und Neuen Rechten. Vertrauen in Institutionen zu erneuern, darin sehe ich die Verantwortung meiner Generation.

Spielen Sie mit dem Gedanken, selbst in die Politik zu gehen?
Ich verspüre schon den Wunsch danach, mich aktiv zu engagieren. Seit 15 Jahren schreibe ich Bücher, meist zu politischen Themen, aber es gibt natürlich direktere Möglichkeiten politisch zu handeln. Beides muss sich ja nicht ausschließen. 

Ist Ihr Buch auch ein Plädoyer für eine liberale Demokratie?
Ja, für die liberale, repräsentative Demokratie, deren Vorteile gegenüber einer plebiszitären meiner Meinung nach überwiegen. Wenn repräsentative und plebiszitäre Elemente mit­einander vermengt werden, kann es problematisch werden. Der Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungsgesellschaften in Berlin ist ein Beispiel, der Brexit ein anderes. Die repräsentative Demokratie ist besser als ihr Ruf, und man sollte versuchen, das Misstrauen ihr gegenüber zurückzudrehen.

Und welche Art von Liberalismus schwebt Ihnen vor?
Der Sozialliberalismus, den ich auch in der Ampel-Koalition wiederfinde. Wichtig scheint mir zudem, dass man nicht nur Politik für heute und morgen macht, sondern auch eine Prise Utopie, Vision, Traum mit einfließt – mit einem Horizont für die nächsten 20 oder 30 Jahre. Nicht die revolutionäre Utopie der 68er, sondern die nüchterne Utopie einer ideologiefrei sozialisierten Generation.

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