Wirbel um Gorman-Gedicht

Rote Karte für Übersetzer

12. März 2021
von Börsenblatt

Nachdem Victor Obiols Amanda Gormans Gedicht "The Hill We Climb" auftragsgemäß übersetzt hatte, wurde ihm mitgeteilt, dass sein "Profil" nicht passe – gesucht würde jetzt "eine junge Aktivistin, im besten Fall schwarz."

Nach dem Fall der niederländischen Autorin Marieke Lucas Rijneveld, die sich vor einer Woche nach Kritik in sozialen Medien von der Übersetzung zurückzog, hat nun der Verlag Univers in Barcelona dem katalanischen Übersetzer Victor Obiols den Auftrag entzogen. Dabei hatte Obiols laut "The Guardian" bereits das Gedicht fertig übersetzt. Er hatte den Auftrag vor drei Wochen bekommen.

Ihm sei mitgeteilt worden, dass er für die Übersetzung nicht geeignet sei, sagte Obiols, der Werke etwa von Oscar Wilde und William Shakespeare ins Katalanische übersetzt hat, der Agence France-Presse. "Dabei wurde nicht meine Qualifikation infrage gestellt, sondern sie suchten nach jemanden mit einem anderen Profil, einer jungen Aktivistin, im besten Fall schwarz." Aber wenn er eine Dichterin nicht übersetzen könne, weil sie jung, weiblich, schwarz und eine Amerikanerin des 21. Jahrhunderts sei, dann könne er auch keinen Homer übersetzen, "denn ich bin kein Grieche aus dem 8. Jahrhundert vor Christus. Oder ich hätte auch Shakespeare nicht übersetzen können, weil ich kein Engländer aus dem 16. Jahrhundert bin."

Offenbar kam die rote Karte aus den USA – Oriols konnte nicht genau sagen, ob die Mitteilung an Univers von Gormans Agent oder dem Originalverlag kam. Im "Gurdian" sagte Obials, dass ihm zugesichert worden sei, dass er für seine Übersetzungsarbeit bezahlt wird.

"Die Identität dieser Person allein garantiert für nichts"

In Bezug auf die niederländische Schriftstellerin Marieke Lucas Rijneveld hat der renommierte Übersetzer Frank Heibert im "Kölner Stadt-Anzeiger" am 12. März die Frage, wie sich die Kompetenz der übersetzenden Person ermessen lassen soll, differenziert betrachtet. Seine Antwort: "An ihrem übersetzten Text! Die Identität dieser Person allein garantiert für nichts." In der Debatte sei oft völlig ausgeblendet worden, dass Rijneveld, die der Meulenhoff Verlag als Übersetzerin ausgewählt hatte, keine Übersetzungserfahrung habe. Unglückseligerweise habe sie in einem älteren Interview noch erwähnt, nicht besonders gut Englisch zu können.

Die Namen auf der Liste von niederländischen black, indigenous people of color, die die Aktivistin Janice Deul in ihrer Kritik an Rijneveld als mögliche Übersetzerinnen genannt hat, seien wie Gorman Spoken Word Poetry Artists. "Keine einzige Übersetzerin dabei, da wird derselbe Fehler gemacht. Die Identität und die Beschäftigung mit Spoken Word Poetry genügt ihr. An der Stelle muss man verlangen, dass das Ganze ein wenig differenzierter betrachtet wird. Wenn es in den Niederlanden schwarze Übersetzerinnen gibt, die mit dieser Textform Erfahrung haben, wunderbar! Die sollen vortreten. Die sollen das machen. Selbst das wäre keine Garantie, auch da könnte es welche geben, die es nicht gut machen. Falls es so ist, dass es schwarze Übersetzerinnen gibt, denen der Beruf schwergemacht wird, dann muss sich das dringend ändern. Aber es wäre keine Verbesserung, einfach eine niederländische BIPoC-Autorin zu engagieren, die dann die erste Übersetzung ihres Lebens macht."