Literadtour

"Die Antwort auf die größte Sehnsucht unserer Zeit"

23. Juli 2025
Lennart Schaefer

Leseförderung hört nicht mit der Kindheit auf, stellt Lennart Schaefer fest. Auf seiner Literadtour durch Deutschland begegnet er der Frage, warum so viele Erwachsene nicht (mehr) lesen. Sein Zwischenfazit: Wer Ruhe sucht, findet sie im Buch. Und: Kinder brauchen lesende Vorbilder.

Unterwegs am Rhein

Unterwegs am Rhein

Über drei Monate und über 5.000 km Fahrt mit dem Lastenrad liegen hinter mir, noch genauso viele Kilometer und Monate bis zum Finale zur Frankfurter Buchmesse vor mir. Und nach unzähligen Gesprächen traue ich mich an ein erstes Zwischenfazit: Das Buch kann die größte Sehnsucht unserer Zeit stillen und gleichzeitig verschenken wir als Buchbranche dieses große Potential.

Leseförderung für Erwachsene?

Wenn ich Menschen erzähle, dass ich durch Deutschland fahre und dabei Buchhandlungen, Verlage, Autor:innen, Illustrator:innen und weitere Buchmenschen und Literaturorte besuche, um fürs Lesen und fürs Buch zu begeistern, gehen viele direkt davon aus, dass ich mich damit an eine junge Zielgruppe wende. Wenn man von Leseförderung spricht, denkt ein Großteil unmittelbar an Kinder und Jugendliche. Lohnt sich Leseförderung bei den Erwachsenen nicht mehr?

In Berlin treffe ich den Kinderbuchautor Martin Muser ("Kannawoniwasein!"), der mir erzählt, dass er ein Problem mit dieser Anspruchshaltung der Erwachsenen hat, alle Kinder sollen zu begeisterten Leser:innen werden. Kinder haben unterschiedliche Interessen und Talente, und da ist es auch in Ordnung, wenn einige keine Bücherwürmer werden. Außerdem solle man sich da auch mal an die eigene Nase fassen: Wie viele von den Menschen, die sich beklagen, dass die jungen Menschen nicht mehr lesen, lesen denn selbst regelmäßig? Und damit trifft er einen wichtigen Punkt. Wenn ich auf Social Media unterwegs bin, merke ich, dass sich da meine Generation nicht allein tummelt – vom Lesen lassen sich Menschen aller Altersgruppen ablenken. Anfällig für den schnellen Dopamin-Kick sind nicht nur die Teenies, sondern auch die Boomer. Klar, dass das Buch da mal zu kurz kommt.

Überreichen des Welttag des Buches-Buch an Berliner Schüler:innen

Überreichen des Welttag des Buches-Buch an Berliner Schüler:innen

Kinder sollten Eltern beim Lesen sehen

Deshalb ist für mich ein großes Learning der Tour: Es ist unglaublich wichtig, dass Eltern ihren Kindern vorlesen, aber ebenso wichtig ist es, dass Kinder ihre Eltern lesend sehen. Sie sind die Vorbilder, an denen sich der potenzielle Leser:innen-Nachwuchs orientiert. Um also Kinder und Jugendliche zu Leser:innen zu machen, braucht es lesende Erwachsene. Kein leichtes Unterfangen, insbesondere dann, wenn die Eltern selbst in jungen Jahren nie Zugang zur Literatur gefunden haben. In meinem letzten Beitrag habe ich die Umwege zum Buch angesprochen, die es sich immer wieder lohnt zu identifizieren. Das gelingt bei Kindern aber leichter: Bei meinen Schulbesuchen frage ich die Schüler:innen nach ihren Lieblingsbüchern und höre dann oft Filmtitel. Zuletzt vermehrt "Lilo & Stitch". Auch die Buchhändler:innen sagen mir: Bücher zu Filmen funktionieren im Kinderbuchbereich sehr gut, bei den Erwachsenen aber nicht. Was also tun? Muss Christoph Kramer im Alleingang alle nicht lesenden Fußballfans zu Leser:innen machen? Oder gibt es eine andere Lösung?

Um also Kinder und Jugendliche zu Leser:innen zu machen, braucht es lesende Erwachsene.

Lennart Schaefer

Lesen bringt Ruhe

Wenn ich bei einer Pause am Wegesrand von Interessierten auf mein Lastenrad angesprochen werde, erzähle ich kurz von meinem Projekt und frage dann: "Und, lesen Sie denn?" Oft höre ich dann: "Nein, dazu fehlt mir die Ruhe". Ich antworte dann immer: "Aber genau die Ruhe, nach der Sie suchen, bietet das Lesen". Ich glaube, dass Ruhe gerade das Kernbedürfnis unserer Gesellschaft ist, die in weite Ferne gerückte Sehnsucht, und wir sind dabei in der besten Position: Im Vergleich zu Yoga-Kursen, Tiny Houses in der Natur oder Wellness-Retreats sind Bücher unschlagbar günstig. Unsere Konkurrenz ist nicht Netflix, sondern Meditationen (und da sind Bücher doch deutlich zugänglicher). Folgt man nun aber der Ruhe als zentralem Punkt der Buchvermarktung, merkt man schnell: Viele Buchhandlungen spiegeln diese Ruhe gar nicht wider, sind mit ihren prall gefüllten Regalen eine komplette Reizüberflutung. Und auch für die Marketing-Abteilungen der Verlage ist es schwer, diese Ruhe in den Mittelpunkt zu rücken, wenn es eigentlich nur darum geht, möglichst laut für die eigenen Titel zu werben.

Besuch bei Kinderbuchautor Martin Muser

Besuch bei Kinderbuchautor Martin Muser

Das Lastenrad im Hammer Park in Hamburg

Das Lastenrad im Hammer Park in Hamburg

Impulse aus dem Handel

Aber: Dafür gibt es Lösungen. Viele der größeren Buchhandlungen eröffnen kleine Cafés auf ihrer Fläche, andere veranstalten Silent Book Clubs – beides zahlt perfekt auf das Thema Ruhe ein. Gerade habe ich ein Podcast-Interview mit Felicitas von Lovenberg gehört, in dem sie den Wunsch einer gemeinsamen Kampagne für das Buch und das Lesen geäußert hat. Wenn sich dafür zahlreiche Verlage und Buchhandlungen zusammentun, muss man sich nicht gegenseitig mit lauter Werbung übertönen, sondern kann gemeinsam die Ruhe ins Zentrum rücken. Und vielleicht fällt Ihnen auch noch ein, wie wir besser kommunizieren können, dass wir mit dem Buch die Antwort auf die größte Sehnsucht unserer Zeit haben. Ich bin gespannt auf Ihre Ideen!