Deutscher Buchpreis 2025

Dorothee Elmiger: "Schreiben frisst alles andere auf"

17. Oktober 2025
Redaktion Börsenblatt

Musik hören beim Schreiben, übersetzen, die Zusammenarbeit mit Lektor Martin Kordić oder nicht um den heißen Brei herumreden: Im Gespräch mit Börsenblatt-Redakteur Kai Vogt schnitten Buchpreisträgerin Dorothee Elmiger und Hanser-Verleger Jo Lendle unterschiedlichste Themen an. Und: "Man muss den Musen beibringen, wo sie einen finden können."

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Dorothee Elmiger

Das Schlimmste, was einem Verlag passieren kann

Rechtzeitig die Plätze sichern geht auf der Buchmesse auch ohne Handtuch: Die Zuhörer:innen, die auf der Leseinsel der Unabhängigen in Halle 3.1 Schriftstellerin Dagmar Leupold im Gespräch mit Günther Eisenhuber lauschten, blieben kurzerhand sitzen, um nicht das Interview mit der Deutschen Buchpreisträgerin zu verpassen. Flugs füllten sich auch noch die Gänge, bis Börsenblatt-Redakteur Kai Vogt Buchpreisträgerin Dorothee Elmiger in der Eröffnung zum Umgang mit der neuerlichen Popularität fragte.

"Ich denke, wenn ich Frankfurt verlasse, wird alles ruhiger werden - aber als ich vorhin in einer Halle ganz am Rand auf dem Boden saß mit meinem Laptop, hab ich gemerkt, dass mich kein Mensch beobachtet oder wahrgenommen hat, also die Normalität kehrt rasch ein", so Elmiger. Misslich, dass im Moment das gefragteste Buch im Handel nicht lieferbar ist: "Sie wollen das Buch lesen – und wir haben das Buch nicht lieferbar: Das ist das Schlimmste, was einem Verlag passieren kann", bekannte Hanser-Verleger Jo Lendle. Es gebe nicht den einen Grund für die Engpässe im deutschen Druckereigewerbe, "wir sind auch nicht die einzigen Verlage. Aber mit den Deutschen Buchpreis ist die Ehre des deutschen Druckereiwesens geweckt, ab Montag werden es alle in den Buchhandlungen haben können." Die Auszeichnung fokussiere: "Beim Deutschen Buchpreis schauen alle mal auf ein Buch, das es zu entdecken gilt. Und dass Sie hier alle so zahlreich stehen, zeigt, wie sehr dieser Preis interessiert." 

"Das sagst du ja immer ..."

Wie die Zusammenarbeit mit ihrem Zusammenarbeit Lektor Martin Kordić sei, wollte Kai Vogt wissen: lange Treffen, nächtliche Telefonanrufe oder erstmal Schweigen? "Ich bin eine Autorin, die möglichst lange gerne alleine arbeitet", bekannte Elmiger. "Ich habe Martin noch nie angerufen, um zu sagen, 'Du musst mir jetzt helfen'. Das Tolle ist, dass wir uns über den Text unterhalten können – für mich ist es wichtig zu sehen, was liest jemand anderes in meinem Text? Zunächst unterhalten Martin und ich uns, erst dann geht um Fragen." Erst jetzt, da sie nicht mehr in Europa lebe, kommunizieren beide über E-Mails, "schöner ist es, direkt sich gegenüberzusitzen. Es ist eine Freundschaft zu Martin, eine gewachsene Beziehung." Bei dem Roman habe sie immer wieder gedacht, irgendwie geht es nicht, und Martin hat gemeint, 'das sagst Du ja immer ...' Es hat gedauert, bis ich gemerkt habe, all das waren wichtige Vorstufen und Recherchen, ohne die ich das Buch nicht hätte schreiben können."

"Dieses Gespann aus Lektorat und Autorin ist essenziell wichtig", erläuterte Verleger Jo Lendle, "vor 15 Jahren haben sie "Einladung an die Waghalsigen" gemacht, und wenn man bedenkt, dass Martin Kordić  und Dorothee Elmiger bis jetzt vier Bücher gemacht haben: Es ist ein andauerndes Gespräch zwischen beiden." 

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"Man redet nicht um den heißen Brei herum ..."

Lendle und Elmiger haben beide literarisches Schreiben studiert, Lendles aktuelles Buch "Die Himmelsrichtungen" ist bei Penguin erschienen. Verbindet das? "Man redet vermutlich anders mitaneinender. Martin Kordić  ist auch Autor – man redet nicht um den heißen Brei herum ... Manche Autoren wollen ein ständiges Schulterklopfen für jeden Satz, den sie geschrieben haben, hier ist es anders." Jetzt müsse Dorothee Elmiger noch Verlegerin werden, damit wir uns noch ähnlicher werden."

Elmiger ist auch als Übersetzerin tätig. Die letzten beiden Bücher, "die ich übersetzt habe, habe ich übersetzt in einer Zeit, in der ich mit meinen Versuchen gescheitert bin. Beim Übersetzen stelle ich mich in den Dienst einer anderen Autorin – die Arbeit mit Sprache geschieht hier fast noch intensiver als beim eigenen Schreiben", findet Elmiger. 

Auf die Frage von Jo Lendle, "Könntest du vormitags übersetzen und nachmittags schreiben?", meint Elmiger: "Nein, Schreiben frisst alles andere auf, wenn ich schreibe, kann ich gar nicht anderes tun. Ich habe eigentlich einen Büroalltag, ich stehe früh auf, mache mir einen Kaffee und beginne mit dem Schreiben - das ist nicht so spektakulär." Ihre Texte haben eine Musikalität, einen bestimmten Rhythmus: Elmiger hört gern Musik beim Schreiben, "hier vorwärts treibende Stücke, laut, mit Kopfhörern. Ich wollte, dass dieser Text rasch vor sich geht - wenn ich eine andere Autorin wäre, hätte ich vielleicht jetzt zehn Romane, aber ich mag es sehr komprimiert, konzentriert."

"Texte sind wie kleine Kinder, die sagen 'Guck, ich hab hier einen Stein gefunden ...'"

Ob sie schon einmal überlegt habe, "Lesefutter" zu schreiben? Ja, im Studium habe sie mal ausprobiert, aus Spaß einen Ärzteroman zu schreiben, als Übungsstück. "Aber ich möchte etwas schreiben, das ich am Ende auch klug finde. Ich will mit den Texten etwas herausfinden, was ich bis dahin noch nicht weiß. Texte sind wie kleine Kinder, die sagen 'Guck, ich hab hier einen Stein gefunden ...'". "Man muss", ergänzte Lendle, "den Musen beibringen, wo sie einen finden können."

Dieses Jahr hatte Elmiger alle anderen fünf für den Deutschen Buchpreis nominierten Titel interessiert. "Solch eine Liste produziert auch Schatten, Bücher, die neben dem hellen Licht stehen." Jehona Kicajs "e" etwa hat Elmiger als sehr empfehlenswert empfunden.