Lesetipp: Navid Kermani zur Ausladung von Lisa Eckhart

"Es wirft einen Schatten"

10. September 2020
von Börsenblatt

Friedenspreisträger Navid Kermani hat anlässlich der Eröffnung des Hamburger Harbour Front Literaturfestivals in einer Erklärung die Ausladung der umstrittenen Autorin und Kabarettistin Lisa Eckhart scharf kritisiert. Seine Erklärung veröffentlicht die "Zeit" exklusiv.

Die unangekündigte Erklärung von Navid Kermani, dem Eröffnungsgast des Harbour Front Literaturfestivals am 9. September in der Elbphilharmonie, erscheint exklusiv in der "Zeit"-Ausgabe vom 10. September und Online ("In aller Offenheit"; hinter einer Zahlschranke).

Navid Kermani, der die Ausladung von Lisa Eckhart vom Literaturfestival in seiner Erklärung scharf kritisiert, macht für den Eklat zwei anonym gebliebene Autoren verantwortlich, die er in einer unangekündigten Erklärung direkt ansprach: "Ihre Weigerung, mit Frau Eckhart auf einer Bühne zu stehen, gilt nicht dieser oder jener Aussage, sie gilt nicht der Kabarettistin, sie gilt dem Menschen, den Sie für verächtlich erklären." Es zeuge, so Kermani, "von enormer Selbstgerechtigkeit und Unhöflichkeit, eine Kollegin, die missfällt, anonym davonjagen zu lassen".
 
Weiter kritisiert Kermani die Autoren: "Sie haben eine Kollegin zur Unperson erklärt, indem Sie sich weigerten, überhaupt nur in ihrer Nähe zu sein." Die "verehrten Kollegen" hätten im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals jede Gelegenheit gehabt, öffentlich und auch in Anwesenheit von Lisa Eckhart zu sagen, was sie von dem inkriminierten Video (von einem Auftritt Eckharts vor zwei Jahren in der WDR-Kabarettsendung "Mitternachtsspitzen") halten. Eckhart sei nicht aufgrund ihrer kabarettistischen Fähigkeiten zum Harbour Front Literaturfestival eingeladen worden, sondern weil eine unabhängige Jury ihren Debütroman "Omama" für literarisch bemerkenswert hielt. Bis heute habe niemand den Roman für politisch untragbar oder menschenfeindlich befunden. 

Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels fährt fort: "Wo immer die freie Meinungsäußerung eingeschränkt wird, haben wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller am meisten zu verlieren. Umso mehr erschrecke ich, wenn wir jetzt schon anfangen, uns gegenseitig zu verbieten."

Es sei für ein demokratisches Gemeinwesen elementar, die Mindestregeln zivilisatorischen Anstands zu respektieren. Kermani mahnte: "Wir sind keine Feinde mehr und sollten uns dagegen verwahren, uns als solche zu betrachten, denn wir riskierten Zustände wie in einem Bürgerkrieg."

Kermani schließt mit dem Satz: "Dass die Leitung des Harbour Front Literaturfestivals Ihre Forderung erfüllt hat, wirft einen Schatten auch auf die folgende Lesung."

Hintergrund

Im Vorfeld des diesjährigen Harbour Front Literaturfestivals 2020 in Hamburg gab es eine heftige öffentliche Debatte um die Ausladung von Lisa Eckhart durch die Festivalleitung. Die österreichische Kabarettistin und Autorin war eigentlich mit ihrem Debütroman "Omama" zusammen mit sieben Konkurrenten für den Klaus-Michael-Kühne-­Preis nominiert, der am 20. September verliehen wird.