Interview mit Suhrkamp-Lektor Simon Lörsch

"Für jedes Jahrzehnt einen literarischen Anker"

14. Januar 2022
von Börsenblatt

Spanien ist Gastland der Frankfurter Buchmesse 2022 - und im Herbst wird der Suhrkamp Verlag eine "Spanische Bibliothek" herausgeben: Fragen an Simon Lörsch, Lektor für spanischsprachige  Literatur.

Warum machen Sie gleich zehn Bände auf einen Schlag?
2017, als Frankreich Gastland der Frankfurter Buchmesse war, hatten wir schon einmal ein ähnliches Projekt: Wir haben eine französische Bibliothek herausgegeben. Zum Gastlandauftritt von Spanien haben wir uns unsere Backlist angeschaut und entschieden: Wir machen eine spanische Bibliothek mit zehn spanischen Titeln, die schon länger nicht mehr lieferbar sind. 

 

Nach welchen Kriterien haben Sie die Auswahl der Bände getroffen?
Wir wollten für jedes Jahrzehnt einen literarischen Anker, der erste Roman in unserer Reihe ist 1905 erschienen, der letzte 2001. Und die Mischung war uns wichtig: Gedichte, Romane, Essays, eine Bandbreite eben – oft neigt man ja von der Verwertungslogik stärker zu Romanen. Dazu haben wir bei den Autor:innen auf den Gendermix geachtet. 

 

Nur ein Titel pro Jahrzehnt: Da fällt die Entscheidung schwer, oder?
Schon. Aber das Buch sollte eben zeittypisch sein; also wir haben uns gefragt: Wer steht für das Erzählen, für das Schreiben in diesem Zeitraum? Und wir kamen auf Ramón María del Valle-Inclán ("Frühlingssonate"), Federico García Lorca ("Zigeunerromanzen"), Luis Cernuda ("Wirklichkeit und Verlangen"), Carmen Laforet ("Nada"), Juan Benet ("Rostige Lanzen"), María Zambrano ("Waldlichtungen"), Adelaida García Morales ("Der Süden"), Julio Llamazares ("Der gelbe Regen"), Jorge Semprun ("Federico Sánchez verabschiedet sich") und Esther Tusquets ("Abschied von Don Juan"). 

 

Wie hoch soll die Auflage der Reihe sein?
Wir drucken Print on Demand; die Bände werden einheitlich von Brian Barth gestaltet und kommen dann in der Septemberauslieferung, der jeweilige Preis hängt vom Umfang ab. Und wir planen eine Veranstaltung dazu. 

 

Wenn man die Reihe als Ganzes betrachtet: Was ist typisch für die spanische Literatur?
Nicht leicht zu beantworten – aber der Bürgerkrieg und die unfassbare bleierne Zeit danach haben Gräben in der Gesellschaft zementiert; eine republikanische Gesinnung durfte noch nicht einmal in Ansätzen geäußert werden, ihre Vertreter waren geächtet und existenziell bedroht. Das verändert eine Gesellschaft und die Autor:innen, die in ihr leben. Auch der Verlust des Weltmachtstatus, die Dychotomien Konservatismus und Moderne, Stadt und Land waren prägend; als die Dörfer verlassen wurden, entstand der Begriff des "leeren Spanien".