Presseschau zum Friedenspreis an Serhij Zhadan

„Naheliegend, aber perfekt“

28. Juni 2022
von Börsenblatt

Breite Zustimmung und Jubel über den Friedenspreis an Serhij Zhadan - so lässt sich das Presseecho zusammenfassen. Interessant: Die Rezensent:innen haben auf den Autor und sein Werk sehr unterschiedliche Blickweisen.

Serhij Zhadan im Nationalmuseum Kiew (2018)

In der „Neuen Zürcher Zeitung“ erinnert Andreas Breitenstein daran, wie früh Zhadan den Ukrainekonflikt literarisch aufgegriffen habe. "Eigentlich wusste Serhij Zhadan schon immer, was in der Luft lag. 'Später wird es einmal Krieg heißen' war im August 2014 ein Beitrag von ihm im Feuilleton der NZZ überschrieben. Darin schilderte er, wie sich die Kämpfe intensivierten, die nach der russischen Annexion der Krim ferngesteuert aus Moskau von den auf Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit pochenden Separatistengebieten Donezk und Luhansk ausgingen.“ Zhadan habe auf „unnachahmliche Weise“ die wachsende Angst in der Ukraine, und das „verwirrliche Aufkommen einer Parallelwelt und die kollektive Lähmung“ in Worte gefasst.

„Hätten wir ihm nur früher zugehört“, bedauert Lothar Müller auf sueddeutsche.de im Rückblick und lobt, die Auszeichnung erhalte er „mit großem Recht“.

Für Björn Hayer hingegen ist es gar nicht die Tatsache, dass Zhadan geradezu prophetisch den Ukrainekrieg vorweggenommen hat, die den Ausschlag für den Friedenspreis gegeben haben könnte, erklärt der Autor auf Zeit online. "Als entscheidend erweise sich vielmehr seine in unterschiedlichen Genres entfaltete Poetik des Mutes und der Selbstermächtigung.“

In der „Frankfurter Rundschau“ gibt Judith von Sternburg zu Bedenken: "In seinen Büchern bewegt sich Zhadan mit wunderbarer Sicherheit zwischen den Sprachen und Bevölkerungen - man könnte darüber lächeln, wie die einen Charkiw und die anderen Charkow sagen, aber das Lächeln ist einem vergangen."

Im „Tagesspiegel“ fasst Gerrit Bartels zusammen: "Diese Wahl ist naheliegend - aber sie ist perfekt, im Grunde lange überfällig und die beste, die der Stiftungsrat des Friedenspreises in diesem Jahr treffen konnte".

In der Berliner Zeitung“   lobt Cornelia Geißler, die Wahl und legt ein besonderes Augenmerk auf die Lyrik Zhadans. „Man musste Serhij Zhadan nicht jetzt erst entdecken, weil die demokratische Welt seit dem Überfall von Putins Armee auf die Ukraine schaut. Er gehört schon lange zu den prägenden Stimmen der osteuropäischen Literaturszene.“

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kehrt Anna Prizkau das humanitäre Engagement Zhadans hervor, der Soldaten und Zivilisten mit Nahrung, Wasser und Technik beliefert. „Die Großinvasion der Russen, machte aus Serhij Zhadan einen Poeten der Wirklichkeit im Internet. Und einen Beschützer Charkiws in der Wirklichkeit.“

Katharina Raabe, Zhadans langjährige Lektorin im Suhrkamp Verlag, erklärt im Deutschlandfunk, warum der Friedenspreisträger ein dezidiert politischer Autor ist. „Bücher helfen den Krieg nicht beenden, aber Bücher helfen uns selbst zu finden“, sage der Autor selbst sinngemäß. Zahdans Bücher entstünden „in engster Berührung mit der Wirklichkeit“ und mit Blick auf Militarismus und Oligarchentum. Das Interview gibt’s hier zu hören.

Im Interview mit der Zeitung „Welt“ erklärt Zhadan, warum er in Charkiw bleibt und nicht ins Ausland geht: In der Ukraine könne er wenigstens etwas tun. "Wir bringen Soldaten, wie jeden Tag seit Monaten, GeschenkeMilitärausrüstungetwas Munition. (…) Wir bringen ihnen Schuhe, Kleider, Unterwäsche, alles finanziert durch private Spenden. (…) Wir bringen Pickups und Vans an die Front, die im Ausland gekauft wurden. (…) Wir verteilen Sachen. Spielen Konzerte mit einem Ensemble aus Musikern und Lyrikern. Jetzt hilft uns der Westen, und die Russen werfen Bomben auf uns. So ist das Leben. Wir spielen aber auch auf der Straße für normale Passanten und für die Armee."