Es ist immer ein Wagnis, sich in den Dialog mit einem oder mehreren Gegenübern zu begeben, weil man nur das eigene Sprechen im Griff haben kann; jede noch so sauber skizzierte Moderation muss alle Unwägbarkeiten abwägen und weiß doch zugleich, dass manche Missverständnisse die Fähigkeit haben, das Gegenüber auf noch klügere Gedanken zu bringen und dass gerade die Abwege durchs wildeste Unterholz und auf die hellsten Lichtungen führen können. Dass Beate Tröger seit 2023 zum Moderationsteam des Erlanger Poetenfests gehört und nun also auch noch unter freiem Himmel spricht, beweist mir nur ein weiteres Mal ihre Hingabe ans Unvorhersehbare und ihr Talent für den Kairos.
Von dieser Offenheit, die auf den intellektuellen Funkenschlag wettet und eigentlich immer gewinnt, zeugen auch ihre Texte. Die Jury nennt es „sprachliche Sorgfalt“ und „analytische Distanz“; ich hänge es mal ein bisschen höher: Beate Trögers Rezensionen zeichnen sich durch die Ernsthaftigkeit aus, mit der sie der Literatur gerecht werden wollen. Nie geht es bei ihr um Daumen-Rauf, Daumen-Runter, sondern immer – da bin ich wieder ganz bei der Jury – darum, sich den Texten „anzunähern und deren Vielschichtigkeit und Reichtum im Dialog […] zu erschließen“.
Wo jedes einzelne Wort und jeder Laut zählt: die Lyrik
Allerdings folgt darauf in der Jurybegründung eine Feststellung, die vermutlich nicht nur ich, sondern alle hier im Raum so oder so ähnlich dort erwartet hatten: Das ist er mal wieder, der Allgemeinplatz, dass die Bedeutung der Lyrik „auf dem Buchmarkt nicht ausreichend gewürdigt wird“.
Ich weiß nicht, ob das falsch oder richtig ist. Aber ich frage mich natürlich: Warum macht der Buchmarkt das denn, die Lyrik nicht ausreichend würdigen? Hat die Lyrik es nicht verdient oder verdient der Buchmarkt an der Lyrik nicht genug?
Ich will diese Laudatio nicht für eine Fastenpredigt missbrauchen, keine Sorge, aber Ihnen doch kurz ein wenig zu nahe oder gar auf die Füße treten. Ich arbeite in einer öffentlichen Bibliothek und weiß, dass die Literatur- und Kulturvermittlung kein einfaches Geschäft ist. Nur: Wer es allein für die Marge betreibt, der macht sich bald überflüssig, denn das kann Künstliche Intelligenz dank ihrer umfassenden Unmenschlichkeit einfach besser. Oder anders gesagt: Wer Literatur in Quantitäten misst, der darf sich nicht wundern, wenn die Menschen das Lesen verlernen oder es ihnen irgendwann vergeht.
Und das können wir uns meiner Meinung nach nicht mehr leisten. Wir alle wissen sehr gut, dass die Sprache zur Waffe taugt und mit populistischer Selbstverständlichkeit immer häufiger auch als solche verwendet wird. Deshalb braucht es jetzt und in Zukunft ein bisschen mehr menschliche Intelligenz: damit wir erkennen und handeln, wenn der Sprache Unrecht getan wird. Und auch das kann man, neben der Lust und der Gerechtigkeit am Text, von Beate Tröger lernen: das gute und das genaue Hinhören. Sie treibt ganz sicher nicht das Mitleid mit dem angeblichen Stiefkind der Branche um, sondern das schlichte Wissen, dass jedes einzelne Wort und jeder Laut zählt, im Leben wie in der Literatur. Und darüber denkt am klarsten und lautesten nunmal die Lyrik nach.
Die größte Kunst: das Vermitteln
Noch ein viertes will ich nennen, wo sie mir Vorbild ist, und das ich fast als die größte Kunst bezeichnen will: das Vermitteln. Auch hinter den Kulissen hat Beate Tröger glücklicherweise ihre Finger im Spiel: Sie ist Mitglied in über einem halben Dutzend Jurys, Autorin auch für Literatur-Lexika und gestaltet als Redakteurin Inhalte, Strukturen und Kontexte. Noch die Tatsache, dass sie besonders Autorinnen gut im Blick hat, will ich ihrem Ethos der Vermittlung ankreiden.
All das kulminiert im besten Sinne im Herausgeben. Für die Anthologie „Fee Nummer 13“ hat Beate Tröger Autor:innen um Gedichte gebeten, um Gedichte, die in einen Dialog mit einem Text treten, dem Märchen „Dornröschen“ der Gebrüder Grimm. Es wurden dann nicht nur Gedichte, weil, wie sie in ihrem Vorwort schreibt, klar wurde, „dass es sinnvoller sein würde, keine Gattungsbeschränkung auszusprechen“ – das ist sie wieder, diese faktisch nicht zu rechtfertigende Gewissheit, dass sich alles auf gute und richtige Weise fügen wird. Und die 13. Fee stellt natürlich selbst jenen Einbruch der widerständigen, nicht selten: weiblichen Wirklichkeit in die Literatur dar, um den es Beate Tröger immer geht.
Ich muss nun auch mit Paul Celan enden, was – Sie ahnen es – einem schönen Zufall geschuldet ist. Nachdem ich das Zitat mit den Bäumen, die zu ihren Vögeln fliegen, endlich gefunden hatte, traf ich auf der nächsten Seite erneut auf einen Baum. Oder besser: auf den Traum vom Baum. Es ist, am Anfang zumindest, keine frohgemute Geschichte, weshalb ich sie so kurz als möglich nacherzähle: Es geht um eine Hinrichtung und um einen längeren Moment, in dem das Publikum die Augen gesenkt hält. Am Ende redet ausgerechnet die groteske Hybris eines buchstäblichen Tot-Holzes der unmöglichsten aller Hoffnungen das Wort:
„Der Galgen aber hielt sich in dieser Minute für einen Baum, und da niemand die Augen offen hatte, ist es nicht möglich, festzustellen, ob er es nicht auch in der Tat gewesen ist.“
Mit dieser Hoffnung – dass mancher Galgen sich wenigstens ab und an für einen Baum und damit sogar recht haben könnte – will ich enden, weil dieses unverbrüchliche Vertrauen in die Literatur auch Beate Trögers Texte auszeichnet.
Und endlich wird sie dafür auch selbst ausgezeichnet: Liebe Beate, ich gratuliere dir von Herzen zum Alfred-Kerr-Preis 2025."