Debatte zur Literaturförderung in Leipzig

„Zur Hölle, die müssen auch essen!“

8. Mai 2023
von Nils Kahlefendt

Nach dem Ende der Corona-Hilfsprogramme sehen nicht nur notorische Bedenkenträger die Vielfalt des literarischen Lebens akut gefährdet. Eine Debatte im Leipziger Literaturhaus fragte danach, welche Aufgaben die Literaturförderung jetzt wahrnehmen muss.  

Literaturförderung an der Abbruchkante? In Leipzig diskutierten (v.l.) Lothar Müller, Katharina E. Meyer, Maria Hummitzsch, Hauke Hückstädt, Kerstin Preiwuß und Pauline Stolte, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten (ALG)

Vor Corona hatte man geglaubt, über Literaturförderung sei schon alles gesagt worden, nur noch nicht von allen. Das in Deutschland über Jahrzehnte gewachsene Netz von Angeboten ist für die einen Weltspitze, für die anderen der berühmte Tropfen auf den heißen Stein; zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben. Nach dem Auslaufen der Hilfsprogramme beginnt das große Neusortieren. Droht nun das große Roll-back, der Rückbau der Strukturen? Nur wenige Tage nach dem großen Antidepressivum Buchmesse hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ins Leipziger Literaturhaus eingeladen, um eine vom langjährigen SZ-Feuilletonisten Lothar Müller moderierte Leipziger Debatte über Literatur fortzusetzen. Aus der Perspektive der Geförderten ging es in einem Zeitspalt zwischen dem, was war, und dem, was viele befürchten, um die letzten Fragen: Was können, was müssen wir von der Literaturförderung erwarten?

Weg von der „belohnenden Kulturförderung“

„Die Förderpolitik ist in den 1990er Jahren steckengeblieben, in jenen Jahren, als die Idee der Literaturhäuser Fahrt aufnahm“, konstatierte Hauke Hückststädt, Chef des Literaturhauses Frankfurt/Main und Sprecher des Netzwerks der Literaturhäuser, das fünfzehn dieser Einrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz vereint. Im Februar hatte das Netzwerk einen flammenden Appell veröffentlicht, der eine verlässliche finanzielle Ausstattung für Literaturvermittlung forderte – und durchaus auch kritische Reaktionen aus der Branche provozierte. Durch die Bank beklagen die Literaturhäuser Finanzierungsprobleme als Folge der allgemeinen Teuerung: Honorare, Energiekosten und Mitarbeitergehälter steigen – bei unveränderter Förderung durch die öffentliche Hand. Das ist Klagen auf noch immer hohem Niveau, könnte manch Buchhändler entgegnen, der nach Geschäftsschluss Stühle für die abendliche Lesung rückt. Doch Hückstädt ruft nicht einfach nur nach mehr Staatsknete: Was ihm fehlt, ist ein „konstruktiv gestaltendes, ermöglichendes Fördern“, er möchte weg von der „belohnenden Kulturförderung“. Angesichts der schon jetzt notorisch klammen öffentlichen Hände seinen auch Stiftungen und private Mäzene gefordert, sich an Strukturkosten zu beteiligen. Dabei sei der Luxus eines Literaturhauses vergleichsweise günstig zu haben: Ab 500.000 Euro Jahresbudget, so rechnete Hückstädt vor, könne man eigentlich loslegen – dafür sei im Stadttheater nicht einmal die Beleuchtung finanziert.

Zwischen Wertschöpfung und Wertschätzung

„Ohne Literaturübersetzter gibt es keine Weltliteratur“, meinte Maria Hummitzsch, langjähriges VdÜ-Vorstandsmitglied, mit José Saramago. Noch zur Buchmesse-Eröffnung im Gewandhaus hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Transporteure der Literatur als systemrelevant bezeichnet – im Alltag kämpfen Hummitzsch und ihre Kolleginnen einen täglichen Kampf zwischen „Wertschöpfung und Wertschätzung“. Inflationsbereinigt sinken die Normseiten-Honorare seit 30 Jahren. Der Deutsche Übersetzerfonds, 1997 in Berlin gegründet und mit rund vier Millionen Euro im Jahr ausgestattet, setzt sich mit einer Vielzahl von Stipendien und Förderprogrammen für die Existenz- und Qualitätssicherung des Transports der Literatur über Sprachgrenzen ein. Allerdings, daran ließ Hummitzsch keinen Zweifel, steht man auch hier „an der Abbruchkante“. Vorbildlich sind Förderungen wie das vom Übersetzerfonds aufgelegte, aus „Neustart Kultur“-Mitteln finanzierte Programm extensiv initiativ – das beiden Seiten zu Gute kommt: den Übersetzenden, die etwas entdecken, und den Verlagen, die ins Risiko gehen.

Poetische Bildungsarbeit

Kerstin Preiwuß erinnert an die Wirtschafts- und Sozialreformen des New Deal, die US-Präsident Franklin Delano Roosevelt einst als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise durchsetzte. Damals wurde netterweise auch an hungerleidende Kulturschaffende gedacht: „Zur Hölle, die müssen auch essen!“, das war für Roosevelt keine Frage. Preiwuß, die derzeit dem Deutschen Literaturinstituts Leipzig vorsteht, hier aber aus der Perpektive der Vorsitzenden des Netzwerks Lyrik sprach, ging out oft the box und in die Offensive: Während Lyrik, einem Kalauer Wiglaf Drostes gemäß als „schwürig“ gilt, möchte die Autorin die Förderstrukturen vermittels der sui generis anarchischen Lyrik herausfordern: Gerade am Beispiel der Dichtung, die mit performativen Mitteln agiert oder technikaffin sogar KI in die Schranken weist, lässt sich erkennen, dass die an Print gebundenen und in einem Flickenteppich von Richtlinien sich verstolpernden Förderstrukturen der Realität hoffnungslos hinterherhinken. Stattdessen kämpfe das Netzwerk Lyrik für einen „Lyrikfonds“, der den spezifischen Bedingungen von Produktion, Distribution und Vermittlung von Lyrik gerecht werde. Wie wichtig poetische Bildungsarbeit ist, zeige sich, so Preiwuß, auch am „Drama um die Huchel-Preis-Verleihung“ zu Anfang des Jahres: Als der SWR als Mitveranstalter die Preisträgerin vorstellte, hagelte es Häme und Beleidigungen – offenbar sind Gedichte für viele Menschen nur Sprachgebilde mit Endreim.

Verlagspreis als Brücken-Lösung

„Wenig Verständnis für die Strukturen der Branche“ sieht Katharina E. Meyer, Merlin-Verlegerin und Vorstandsvorsitzende der Kurt Wolff Stiftung, auf Seiten der Kulturbürokratie. Dabei seien die Kulturproduzenten, die in Sonntagsreden als Garanten von Vielfalt der Literaturlandschaft gelobt werden, durchaus auch ein „Wirtschaftsfaktor“. Zumindest habe man in der Politik verstanden, dass es bei vielen kleineren Verlagen derzeit um die Existenz geht – so wurde der Deutsche Verlagspreis als „Brücke“ hin in eine andere, noch zu findende Struktur konzipiert. Die Ampel schrieb in ihren Koalitionsvertrag, dass eine von Bund und Ländern zu bewerkstelligende Strukturförderung „geprüft“ werden solle. Nach der Zeitenwende wurden, so Meyer, zwar „etliche Konzeptpapiere“ vollgeschrieben, jedoch: „Es hakt.“ 

Dauerhafte Stabilisierung der Strukturen

Dass es dem Patienten Kulturbetrieb schon mal besser ging, scheint mit Händen zu greifen. Die Ökonomie hat längst im Betrieb Einzug gehalten, der massive Einbruch des literarischen Lebens ist nicht nur rhetorisches Schreckgespenst. „Der Ruf nach Geld erreicht die Politik nicht“, so Hückstädt, „wir müssen Potenziale zeigen“. Und da ist deutlich Luft nach oben: Zu oft steht die Literatur unter Rechenschaftsdruck oder landet gar in der Hobby-Ecke: Sie haben Spaß – und wollen auch noch Geld dafür? Statt der noch immer viel zu starken Projektorientierung müssen Strukturen gesichert werden – „sonst bröckelt das System“, wie es Bernd Busch, Generalsekretär der Akademie, auf den Punkt brachte. Und: Anstelle der ewigen Orientierung aufs Ergebnis, bei dem huldvoll Preise ausgereicht werden, geht es um die Sicherstellung von offenen Arbeitsprozessen. Mit einer warmen Mahlzeit sind die Förder-Empfänger längst nicht mehr ruhigzustellen. Hauke Hückstädt weiß, wo der Hammer hängt: „Wollen wir Teil des Problems – oder Teil der Lösung sein?“