Preisgala der Schönsten Deutschen Bücher - ein Bericht

"Erziehung der Gefühle"

11. September 2023
von Nils Kahlefendt

Haute Couture auf Papier: Im Museum für Angewandte Kunst Frankfurt wurden die "Schönsten deutschen Bücher" des Jahrgangs 2023 gefeiert.

Joachim Unseld bei seinem Grußwort

"Lesen wir also auf Papier!"

Wenn im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst an einem gefühlten Hochsommerabend die "Schönsten deutschen Bücher" des Jahrgangs 2023 gefeiert werden, lädt der Abend zum miteinander reden ein, zum Bücher empfehlen und sich empfehlen lassen, zum Staunen und Blättern. Ein großer Tisch im Museums-Foyer macht’s möglich. Höchst praktisch die kleinen Kartenstapel hinter jedem Werk – jedes Buch wird mit seinen Eckdaten erfasst, man muss also in der Lieblingsbuchhandlung nicht groß recherchieren lassen.

Nachdenkliche Worte sind in diesem tollen Rahmen aber auch zu hören, etwa von Joachim Unseld. In Zeiten, da bereits Grundschüler "digital natives" sind, macht dem FVA-Verleger und Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Buchkunst die Entwicklung des digitalen Lesens Sorgen: Ist es ausreichend, Kinder für ein rein digitales Leben zu rüsten? Unseld hält beileibe kein Plädoyer für die büttenselige Welt von Gestern – aktuelle Studien sehen allerdings das vertiefte Quality Reading über längere Strecken am Lesegerät in Gefahr. Im Folgenden bricht Unseld eine Lanze fürs Papier, dessen stabile Materialität schon immer eine ideale Projektionsfläche für eigene Gedenken geboten hat. Womit der Verleger genau beim Thema des Abends ist. Es gehe beim schönen Buch um unsere Fähigkeiten allgemein: "Um die Erziehung der Gefühle, unser Einfühlungsvermögen in menschliche Beweggründe", ums "Abmessen der Zeit, derer es bedarf, um eine Geschichte zu erobern, der Möglichkeit, einen Schritt zurückzumachen". Und auch um "die Bildung einer Fantasie, die nicht durch Algorithmen immer nur auf die eigenen Neigungen zurückgeführt wird, sondern nach außen gerichtet ist“. Unselds Fazit: "Lesen wir also auf Papier!"

Urkunde für das schönste Buch (v.l.): Laudatorin Sonja Pham, Verlegerin Elena Malzew und Joachim Unseld

Muschelfragmente als Models

Nichts lieber als das, wenn der Werkstoff, der unsere Buchwelt trägt, so kongenial inszeniert wird wie beim Gewinner des mit 10.000 Euro dotierten Preises der Stiftung Buchkunst: Das von Nina Canell und Robin Watkins herausgegebene Buch "Shell Reader" (Verlag Bom Dia Boa Tarde Boa Noite, Berlin) begleitet eine Installation der schwedischen Künstlerin Nina Canell: Mehrere Tonnen Muschelstücke bedecken den Boden zwischen vier Galeriewänden; jeder Schritt erzeugt ein Knirschen, zerstört das Kunstwerk. Das Buch begleitet dieses Experiment in fast schwereloser Leichtigkeit. Eigentlich funktioniert es wie eine Verlängerung der Galerie-Situation: Mit perlmuttschimmerndem Vorsatzpapier, Buchseiten, die sich wie Textil anfühlen, die rauen Schnittkanten wiederum lassen an eine Muschel denken. Wer blättert, sieht die harten Schutzhüllen der weichen Meerestiere in Nahaufnahme; man schaut auf gut 300 ganzseitig präsentierte Schalenfragmente, als wären’s Portraits.

In ihrer berührenden Laudatio geht Jurymitglied Sonja Pham, Designjournalistin und stellvertretende Chefredakteurin des "Grafikmagazins", auch auf die hinter uns liegenden Jahre der Corona-Pandemie ein, eine "Mikroepoche", die Spuren in der Branche, in unserer Arbeitswelt, in Familien und Freundschaftsnetzwerken hinterlassen hat. "Nicht berühren zu dürfen", so Pham, "fällt uns als haptisch veranlagten Buchmenschen womöglich doppelt schwer. Nachdem wir Abstand halten mussten zu den Dingen und Menschen, die wir gern anfassen, wurde neu gefragt: Wer sind wir in der Welt? Was ist die Welt in uns?" Dass mit "Shell Reader" ein zutiefst berührendes Werk ausgezeichnet wurde, das mit Sanftheit und Kraft Gänsehaut erzeugt, findet Pham großartig.

Der Katalog der 25 Schönsten war auch da

Doch nicht wie ein Telefonbuch

Eine erste Begegnung mit den 25 Ausgezeichneten und den Prämierten des Förderpreises für junge Buchgestaltung bietet der Katalog der "Schönsten Deutschen Bücher 2023" (ISBN 978-3-9822108-2-7). Konzept und Gestaltung lagen heuer bei der Münchner Agentur PARAT.cc. Eigentlich, so erzählen Jonas Beuchert und Tilman Schlevogt augenzwinkernd, sollte es diesmal "etwas ganz anderes" sein: "Ganz wenig Gestaltung, ein Telefonbuch mit Stanzung, richtig rotzig gedruckt". Als dann klar war, dass die DZA Druckerei zu Altenburg den Auftrag übernehmen wird, wurde in Sachen Gestaltungs-Punk zurückgerudert. "Das können wir denen nicht antun!" Dank der DZA, dem Papiersponsor Igepa und zahlreichen weiteren helfenden Händen kam der rosa Ziegel von fast 500 Seiten genau am Freitag in Frankfurt an.

DZA-Geschäftsführer Peer-Philipp Keller hätte sich gleich auf der Bühne festkleben können – die Ausnahme-Firma aus Ost-Thüringen ist an zehn der 25 ausgezeichneten Produktionen beteiligt. Jan Wenzel, der für Spector Books (Leipzig) an den Main gekommen war, durfte sich immerhin fünfmal freuen. In Sachen Schönheit ist der Osten also gut unterwegs. Ach ja: Der Berliner Kunstbuchverlag von Elena Malzew und Manuel Reader, der "Shell Reader" herausbrachte, trägt den schön zungenbrechenden Namen Bom Dia Boa Tarde Boa Noite. Das ist Portugiesisch und steht für: Guten Tag, guten Nachmittag, gute Nacht. Wir lernen: Bücher wollen fester Bestandteil unseres Alltagslebens sein – egal, zu welcher Tageszeit.      

Auf einem Tisch konnten alle 25 Schönsten Deutschen Bücher 2023 begutachtet werden

Voll besetzte Stuhlreihen und viel Applaus für alle Gewinner:innen