Stiftung Buchkunst lud zur Preisgala

Das Schönste der Schönsten ist: "Shell Reader"

8. September 2023
von Börsenblatt

Gut 300 ganzseitig, in Nahaufnahmen präsentierte Muschelfragmente bilden den Kern des mit dem "Preis der Stiftung Buchkunst 2023" prämierten Begleitbuchs zu einer Installation der schwedischen Künstlerin Nina Canell. Überaus passend fand die Preisgala am Freitagabend im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst statt.

Der Katalog zu den 25 Schönsten Deutschen Büchern 2023

Schweres Papier, Kratzspuren und Perlmutt

Die Preisverleihung für das Allerschönste unter den 25 Schönsten Deutschen Büchern 2023 fand am Freitagabend (8. September) im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main statt: Carolin Blöink, interimistische Leitung der Stiftung Buchkunst, und Joachim Unseld, Verleger der Frankfurter Verlagsanstalt und Vorstandsvorsitzender der Stiftung, vergaben den Preis im Foyer des Museums.

Joachim Unseld dankte Museumsdirektor Matthias Wagner K, dass man die Veranstaltung in diesem tollen Rahmen, in diesem "Architekturwunder" durchführen konnte. Auch das gut gemachte Buch erzeuge die gewisse, bestimmte Aura, die den Leser zum weiterlesen auffordert. 

Der mit 10.000 Euro dotierte "Preis der Stiftung Buchkunst" ging dann am Ende des offiziellen Teils des festlichen Abends an das vom Canell / Watkins Studio gestaltete Buch "Shell Reader", aus der Kategorie "Kunstbücher, Fotobücher, Ausstellungskataloge". Der "Shell Reader" begleitet eine aus mehreren Tonnen Muscheln bestehende Installation der schwedischen Bildhauerin Nina Canell. Nicht nur die Papierauswahl sei passend zur Thematik gewählt, auch der Schnitt des Buches und viele andere Details seien auf das Werk und den Inhalt abgestimmt, heißt es in der Mitteilung der Stiftung Buchkunst zur Preisverleihung.

Buchschnitt mit Kratzspuren

"Mehrere Tonnen Muschelstücke bedecken den Boden zwischen vier Wänden", so setzt die Begründung der Jury für die Aufnahme des Titels unter die 25 Schönsten Deutschen Bücher 2023 ein. Wer die Installation von Nina Canell betritt, erzeuge mit jedem Schritt ein Knirschen. Viele Schritte erzeugen einen rauschenden Klang. Der "Shell Reader" ergänze diese Installation. Schweres Papier ergebe einen mächtigen Buchblock. Allerdings – und das sei so rar wie eine Perle – zeigt der dreiseitige, breite Buchschnitt Scharen heftiger Kratzspuren. Die Blattkanten sind angefräst, während Perlmutt im inneren Buchdeckel schimmert. Diese allegorischen Merkmale von Rauheit und Glanz umhüllen den Inhalt. Er zeigt die harten Schutzhüllen der weichen Meerestiere in Nahaufnahme. Man schaue auf die gut 300 ganzseitig präsentierten Schalenfragmente, als wären es Portraits. Tatsächlich sind es skelettierte Mollusken, ehemalige Individuen, deren selbst gebaute, gewachsene Behausung man bestaune wie ein antikes Artefakt.

Eine Doppelseite aus dem "Shell Reader"

Die riesige Menge von Muschelschalen in der Kunstgalerie repräsentiere die noch riesigeren Mengen, die aus dem Meer gebaggert, zermahlen und als Kalklieferung der Betonindustrie zugeführt werden. Bereits vor 2000 Jahren hatten die Römer:innen Monumentalbauten in Beton gegossen. Das Abstrakte dieses Werkstoffes nehme das Übernatürliche der modernen Plastikstoffe vorweg. Zurück zur Installation: Die Wände werden wie eine Bauschalung mit Sprießen gestützt. Das Publikum betrete anstatt eines Estrichs dessen Rohstoff. Fußtritte verschmelzen zur Komposition einer archaischen Trauermusik. Nina Canell gehe es um "eine körperliche Verbindung – von Knochen zu Knochen".

"Was unsere buchherstellerische Welt buchstäblich trägt, ist der Werkstoff Papier. Das perlmutt-schimmernde Vorsatzpapier empfand die Jury als eine ausgezeichnete Wahl, die Buchseiten fühlen sich an wie Textil, und die raue Schnittkanten des Buchs lassen tatsächlich an eine Muschel denken. Die unglaublich schöne Gesamtkonzeption und harmonische Umschlaggestaltung wirkt wie eine Verlängerung der Galerie, lässt dem Besucher, der Besucherin viel Raum zum Atmen, zum Reflektieren", so Sonja Pham, Mitglied der diesjährigen Jury und stellvertretende Chefredakteurin des Grafikmagazins, in ihrer Laudatio. Das Team hinter dem Buch habe eine "unglaubliche Arbeit geleistet". Das Buch vermittle eine "schwerlose Zeitlosigkeit" aber auch die "gewaltsame menschliche Extraktion" aus der Natur.

Der portugiesische Verlagsname "Bom Dia Boa Tarde Boa Noite", bedeute auf Deutsch "Guten Morgen Guten Nachmittag Guten Abend", erklärte Pham. Das solle ausdrücken, dass Bücher Gegenstände unseres Alltags sind, unabhängig von der Tageszeit.

Bibliografische Angaben:

Nina Canell
Shell Reader
BOM DIA BOA TARDE BOA NOITE, Berlin
Nina Canell, Robin Watkins, Berlinische Galerie (Hrsg.)
Gestaltung: Robin Watkins
Canell Watkins Studio, Berlin
Druck: Druckerei Zwaan Lenoir, Wormerveer
Buchbindung: Buchbinderei Patist, Zaltbommel
ISBN 978-3-96436-057-1 Preis: 56 Euro

Urkunden für die 25 Schönsten

Eine fünfköpfige Jury wählte das ausgezeichnete Buch aus den 25 "Schönsten Deutschen Büchern", die im Juni aus insgesamt 603 Einsendungen hervorgegangen waren.

Bevor schließlich das allerschönste Buch verkündet und geehrt wurde, präsentierte Carolin Blöink munter, auf den Punkt und einfach sympathisch noch einmal alle 25 Schönsten Deutschen Bücher 2023 – und überreichte den anwesenden, freudestrahlenden Vertreter:innen der Macher:innen hinter den prämierten Büchern unter viel Beifall aus dem zahlreichen Publikum ihre wohlverdienten Urkunden. 

Joachim Unseld, Vorstandsvorsitzender der Stiftung, und Elena Malzew, Verlagsleiterin des auf Kunstpublikationen spezialisierten Berliner Verlags BOM DIA BOA TARDE BOA NOITE, der das Buch "Shell Reader" herausgebracht hat

Die Förderpreise

Darüber hinaus würdigte die Stiftung Buchkunst am Freitagabend die Prämierten des "Förderpreises für junge Buchgestaltung". Die mit je 2.000 Euro dotierten Preise gingen an drei Titel, die das Medium Buch weiterdenken: Ausgezeichnet wurden Anna Wank ("Entblößen & Verdecken"), Shinichiro Shiraishi mit Enno Pötschke ("Samsara") sowie Carlota Barberán Madruga ("Willkommen").

Auch hier konnten die Preisträger:innen die Urkunden und den Applaus für ihre innovativen Werke aus den Händen von Carolin Blöink entgegennehmen.

Für den "Förderpreis für Junge Buchgestaltung" hatte es in diesem Jahr 164 Einsendungen gegeben. Joachim Unseld (Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung Buchkunst) rief bei seinem Grußwort zu Beginn des Abends ins Gedächtnis: "Papier hat eine besondere Qualität und Haptik. Druck auf Papier überdauert nicht nur Jahrhunderte, die stabile Materialität des Papiers bietet eine Projektionsfläche für eigene Gedanken. Lesen wir also auf Papier!"

Praktiker der Buchkunst

Der Katalog

Zudem wurde der festliche Anlass dazu genutzt, den jährlich erscheinenden Katalog der "Schönsten Deutschen Bücher 2023" erstmalig zu präsentieren, den das Team von PARAT.cc aus München gestaltet und umgesetzt hat. Vorbestellung in der lokalen Lieblingsbuchhandlung via ISBN 978-3-9822108-2-7.

Die 25 Schönsten Deutschen Bücher 2023

Die prämierten Bücher gehen auf Reise

Die prämierten Bücher werden ab sofort auf große Wanderausstellung gehen und an zahlreichen Orten im In- und Ausland zu sehen sein. Den Start machen z.B. die Bücherhallen Hamburg noch bis Ende September, das Goethe Institut im französischen Nancy, die Karl Krämer Fachbuchhandlung in Stuttgart, die Altstädter Bücherstuben in Osnabrück und die Stadtbibliothek Bilke in Pößneck.

Auch die Kooperation mit dem Literaturhaus Frankfurt wird fortgeführt: Die 25 prämierten Bücher sind das ganze Jahr über im Foyer des Hauses zu sehen. Eine Übersicht aller Ausstellungsorte finden sie HIER

Hintergrundinfos zu den Wettbewerben

Schönste Deutsche Bücher

Im Wettbewerb der "Schönsten Deutschen Bücher" wählen zwei Expert:innenjurys in einem aufwändigen Verfahren die 25 schönsten Bücher des Jahres aus. Die 25 ausgewählten Bücher sind vorbildlich in Gestaltung, Konzeption und Verarbeitung und zeigen eine große Bandbreite gestalterischer und herstellerischer Möglichkeiten.

Die Auswahl berücksichtigt auch das leisere, solide gemachte Lesebuch. Die prämierten Bücher setzen Zeichen und zeigen wichtige Trends und Strömungen der deutschen Buchproduktion.

In jeder der fünf Kategorien "Allgemeine Literatur", "Wissenschaftliche Bücher, Fachbücher, Schul- und Lehrbücher", "Ratgeber, Sachbücher", "Kunstbücher, Fotobücher, Ausstellungskataloge" und "Kinderbücher, Jugendbücher" gibt es fünf Preisträger.

Die prämierten Titel sind gleichzeitig für den mit 10.000 Euro dotierten "Preis der Stiftung Buchkunst" nominiert, der für das allerschönste deutsche Buch vergeben wird.

Förderpreis

Der "Förderpreis für junge Buchgestaltung" möchte außergewöhnliche, zukunftsweisende Ideen zu gedruckten Büchern oder hybriden Buchformen – und damit Entwicklungen im Bereich Buchgestaltung – aufspüren und Buchimpulse für morgen sowie Qualitätskonzepte von heute sichtbar machen. Hier steht nicht die technische Perfektion, sondern die Idee im Vordergrund.

Im Förderpreis-Wettbewerb werden von einer mit Gestalter:innen und Hochschulexpert:innen besetzten Jury drei mit je 2.000 Euro dotierte Gewinnertitel ausgewählt, die das Medium Buch weiterdenken.

Alle Preisgelder wurden von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Claudia Roth gestiftet.