Die Sonntagsfrage

"Ist die Zeit reif für Essays im Buchhandel, Frau Jaksch?"

3. Januar 2021
von Börsenblatt

Stefanie Jaksch hat im Oktober die Programmleitung von Kremayr & Scheriau übernommen – und die Essay-Reihe „übermorgen“ etabliert. Wie leben wir heute? Was wollen wir morgen tun? Seit Corona stellen wir uns alle diese Fragen. Ob die Zeit reif für eine Essay-Reihe für den Buchhandel ist, beantwortet Stefanie Jaksch in der Sonntagsfrage.   

Die Resonanz auf die Essay-Reihe „übermorgen“ ist überwältigend, sowohl was Presse als auch das Feedback der Leser*innen und Buchhändler*innen angeht. Wir scheinen einen Nerv getroffen zu haben – die Zeit ist also reif für Essays. Ich glaube, die Kürze der Form hat damit viel zu tun. Bei Autor*innen renne ich damit offene Türen ein: Der Essay scheint sich großer Beliebtheit zu erfreuen, wobei die Zeichenzahl des Texts ein wenig trügt – die Pointiertheit und Verknappung ist eine Kunst für sich.

Streitkultur ist etwas, was uns verloren geht

Schöne Meldungen bekommen wir auch, was die Gestaltung angeht – umso schöner, weil jede Cover-Illustration tatsächlich auf einem eigens für jedes Buch entwickelten Linolschnitt beruht. Begonnen haben wir mit moderaten Auflagen zwischen 1.500 und 2.500 Exemplaren, mussten aber bereits zwei Titel nachdrucken.

Angedacht sind zwei bis drei Titel pro Saison; in Vorbereitung sind Bände zu den Themen Sorge, Hoffnung, Wir und Pathos. Ich selbst hätte gern eines zum Thema Streit, da Streitkultur etwas ist, was uns verloren geht und weil heutzutage oft der Lauteste gewinnt. Das Wort Skandal beschäftigt mich momentan ebenso wie Spiel und Leichtigkeit. So wichtig wie die thematische Bandbreite ist mir auch die stilistische – ich möchte viele verschiedene Stimmen und Herangehensweisen unter dem „übermorgen“-Deckmantel vereinen.

Das Wort Skandal beschäftigt mich momentan ebenso wie Spiel und Leichtigkeit.

Die Lockdowns haben uns empfindlich getroffen

Dass ich bisher vor allem im Sachbuch beheimatet war, hat meiner Meinung nach weniger Auswirkungen auf unser literarisches Programm als die Tatsache, dass ich einfach ein anderer Mensch bin als meine Vorgängerin. Sicherlich werden neue Namen auftauchen im Lauf der nächsten Programme, das liegt in der Natur der Sache; inhaltlich werde ich gemeinsam mit unserem Team die Arbeit von Tanja Raich weiterführen. Die Reihe „übermorgen“ ist ein Vorbote davon, dass ich die beiden Bereiche nicht als getrennte Sphären denken kann und möchte, denn hier werden Literat*innen und Sachbuchautor*innen eh aufeinandertreffen.

„übermorgen“ macht mir vermutlich auch deshalb so viel Freude, weil das Jahr 2020 für uns eine große Herausforderung war, und ich denke, das wird im kommenden Jahr so bleiben. Die Geschäftsschließungen und der Wegfall von Veranstaltungen in den Lockdowns haben uns empfindlich getroffen – hier liegt es an uns, Alternativen und Strategien zu entwickeln, mehr in Synergien und Kooperationen zu denken. Digitale Formate sehe ich sowohl mit Freude, aber auch mit einer gewissen Ernüchterung. Persönlicher Kontakt ist durch nichts zu ersetzen.