Interview

"Bei deutschen Krimi-Autoren gibt es zum Teil große Schwächen"

31. August 2022
von Michael Roesler-Graichen

Martin Compart, Krimiherausgeber, -Kritiker und -Autor über die herausragenden literarischen Kunstgriffe des Krimi-Autors Kenneth Fearing.

Martin Compart

Im Elsinor Verlag bringen Sie einen Klassiker heraus: »The Big Clock« von Kenneth Fearing, erschienen in den 1940er Jahren. Gehört der Autor zu den großen Unbekannten der Kriminalliteratur – zumindest bei uns?
Wenn man bedenkt, dass sein Roman »The Big Clock« zweimal verfilmt und in alle großen Sprachen übersetzt wurde, nur nicht ins Deutsche, dann kann man das bejahen. Kenneth Fearing hat insgesamt sieben Romane geschrieben, von denen – gemessen an seinem Symbolgehalt oder seiner Plotstruktur – keiner an »The Big Clock« heranreicht.

Raymond Chandler war der Meinung, dass ihm Fearing als Autor mindestens ebenbürtig war. Ist er damit allein?
Chandler war nicht dafür bekannt, andere neben sich gelten zu lassen, aber in einem Brief an seinen Verleger hat er Fearing großen Respekt gezollt. Eine Eloge auf »The Big Clock« hat aber auch der englische Autor und Kritiker Julian Symons in seiner Kriminalgeschichte »The Bloody Murder« geschrieben. Ausgerechnet die Passage zu Fearing fiel in der deutschen Ausgabe einer Kürzung zum Opfer. In den USA hat man Fearing in den vergangenen Jahren wegen seiner marxistisch-proletarischen Lyrik wiederentdeckt, die Beat-Poeten wie Allen Ginsberg beeinflusst hat.

Schlummern in den USA und Großbritannien noch weitere Klassiker, die eine Wiederentdeckung wert sind?
Wir haben bei Elsinor drei weitere Romane in der Pipeline, gemeinfreie Titel, für die wir kein Honorar zahlen müssen und die wir von Jakob Vandenberg übersetzen lassen. 

Was können deutsche Krimiautorinnen und -autoren von Fearing lernen?
Bei deutschen Autoren gibt es zum Teil große Schwächen. Besonders bei der Konstruktion des Plots oder bei der Anlage der Erzählerstimmen können sie von Fearing lernen. Dass der Protagonist in »The Big Clock« gegen sich selbst ermitteln muss, ist einer der großartigen Kunstgriffe, die etwa an Agatha Christies »Mord im Orient-Express« denken lassen. Und die Handlung wird aus der Perspektive von insgesamt sieben Figuren geschildert.

Haben Sie selbst Schreibpläne für die nächste Zeit?
Ich habe mich immer als Herausgeber und Sekundärliterat gesehen und niemals eine Karriere als Kriminalschriftsteller angestrebt. Neben meiner Tätigkeit für den Elsinor Verlag betreibe ich auch noch einen Blog, überwiegend zu Spannungsthemen. Aber ich möchte gern noch einen dritten Krimi rund um Privatdetektiv Gill nachschieben, um wenigstens als Verfasser einer Trilogie ins Grab zu steigen. 

Mit Börsenblatt Plus ins Branchengeschehen eintauchen

Sie wollen diesen Plus-Artikel weiterlesen?
Dafür benötigen Sie ein Benutzerkonto sowie ein Abonnement!

  • Zugriff auf alle Plus-Artikel (Analysen und Kommentare der Redaktion, exklusive Branchenzahlen, Interviews, Hintergrundberichte, Reportagen und Artikel aus dem gedruckten Börsenblatt)
  • Alle E-Paper-Ausgaben seit 2019, die aktuelle bereits am Mittwochabend abrufbar
  • Plus-Newsletter mit Highlights und Empfehlungen aus der Redaktion